Siegen. Die Krankenhausreform hätte für Siegen weitreichend negative Folgen, fürchtet Klinikums-Chef Ingo Fölsing. Auf Patienten kämen längere Wege zu.

Die auf Bundesebene geplante Krankenhausreform könnte die medizinische Versorgung in der Region dauerhaft verschlechtern: Diese Befürchtung legte Ingo Fölsing, Geschäftsführer des Klinikums Siegen, nun im Aussschuss für Soziales, Gesundheit und Bevölkerungsschutz des Kreises Siegen-Wittgenstein dar. Wesentlicher Punkt seiner Kritik: Wegen des in den Reformplänen vorgesehenen Wegfalls bestimmter Abteilungen und Leistungen in einigen Häusern würden diesen wirtschaftlich wichtige Standbeine wegbrechen.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

„Krankenhäuser sind immer chronisch unterfinanziert“, leitete Ingo Fölsing seine Ausführungen im Ausschuss ein. Aktuell komme „eine explosionsartige Kostenentwicklung“ nach der Corona-Krise und wegen des Kriegs in der Ukraine hinzu, außerdem steigende Personalkosten. Sollte bei den laufenden Tarifverhandlungen zum Beispiel ein Plus von 7,5 Prozent herauskommen, wären das für das Klinikum Siegen rund 2,75 Millionen Euro mehr pro Jahr. Um dies zu kompensieren, müssten rein rechnerisch 25 Ärztinnen oder Ärzte oder aber 50 Pflegekräfte weniger beschäftigt werden – wobei deutlich wurde, dass Ingo Fölsing nicht von tatsächlich geplanten Entlassungen sprach, sondern lediglich die Dimension deutlich machen wollte. Steigende Kosten seien dennoch irgendwie auszugleichen: „Gegen die Unterfinanzierung müssen wir Gewinne erwirtschaften.“ Dabei würden Einnahmen aus lukrativen Bereichen fehlende Einnahmen aus anderen Feldern abfangen. Um ein umfassendes Angebot machen zu können, seien aber alle Bereiche wichtig, hebt der Chef im Gespräch mit der Redaktion hervor: Der Krankenhausbetrieb „ist ein Mannschaftssport“.

Ingo Fölsing, Geschäftsführer des Klinikums Siegen, sieht die geplante Krankenhausreform nach dem aktuellen Stand kritisch: „Wenn ich ins Krankenhaus komme, erwarte ich eine ganzheitliche Behandlung“ – und die ist seiner Einschätzung nach gefährdet.
Ingo Fölsing, Geschäftsführer des Klinikums Siegen, sieht die geplante Krankenhausreform nach dem aktuellen Stand kritisch: „Wenn ich ins Krankenhaus komme, erwarte ich eine ganzheitliche Behandlung“ – und die ist seiner Einschätzung nach gefährdet. © Klinikum Siegen

Krankenhausreform: Klinikum Siegen befürchtet Verschlechterung in vielen Bereichen

Die Krankenhausreform, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorantreibt, zielt eigentlich auf eine Verbesserung der Situation. Lokale Mehrfachversorgungen sollen abgebaut werden, indem innerhalb eines Gebiets nicht mehr mehrere Krankenhäuser eine bestimmte Leistung anbieten – statt dessen soll dies eine besonders spezialisierte Einrichtung übernehmen. Zudem sollen die Häuser bundesweit in drei Stufen eingeteilt werden: Häuser zur Grundversorgung, Häuser zur Regel- und Schwerpunktversorgung und so genannte Maximalversorger wie die Unikliniken. In diesem Zuge sollen die bisher 22 offiziell definierten Fachabteilungen in 32 Leistungsbereiche mit 64 untergeordneten Leistungsgruppen differenziert werden.

+++ Passend zum Thema: Schon voll: Einblicke in neue Siegener Psychiatrie-Klinik +++

Doch gerade hier sieht Ingo Fölsing die Probleme. „Sie können heute moderne Medizin nicht machen, wenn sie keine Kardiologie haben“, gibt er ein Beispiel. Diese Disziplin sei nach derzeitigem Reformvorschlag in Siegen künftig dem St. Marien-Krankenhaus zugeteilt. Klinikum Siegen und Diakonie Klinikum Jung-Stilling seien aber „zu groß“, um ohne Kardiologie auszukommen. Dies gelte umso mehr, als aufgrund der demografischen Entwicklung immer mehr ältere Patientinnen und Patienten zu behandeln seien, von denen altersbedingt viele (auch) Herzerkrankungen hätten. Selbst wenn diese nicht der eigentliche Grund für die Vorstellung im Krankenhaus seien, müssten sie doch bei der Behandlung mit entsprechender Expertise berücksichtigt werden. „Wenn ich ins Krankenhaus komme, erwarte ich eine ganzheitliche Behandlung“, betont der Geschäftsführer.

Klinikum Siegen kritisiert Krankenhausreform auch wegen Auswirkungen auf Ausbildung

Dabei müsse es nicht einmal so sein, dass das Aus für eine Abteilung bereits mit dem ersten Schritt der Reform komme, sondern erst als Folge einzelner Vorgaben, so die Befürchtung. Dürfe etwa nur noch ein einziges Krankenhaus in Siegen Herzschrittmacher einsetzen, würden die anderen Kliniken sich mit zwei massiven Auswirkungen konfrontiert sehen: Patientinnen und Patienten würden mit hoher Wahrscheinlichkeit von vorneherein nur Häuser aufsuchen, die ein komplettes Leistungsspektrum abdecken – um Verlegungen, Transporte und sonstigen zusätzlichen Aufwand zu vermeiden. Und in der Facharztausbildung müssten Kandidatinnen und Kandidaten das Haus wechseln, um alle relevanten Inhalte zu erlernen. Das Problem, so Ingo Fölsing: Wer einmal weg ist, kommt vielleicht nicht wieder. Erst Recht nicht, wenn der Exkurs in Städte wie Köln führt und dem Nachwuchs auch dort gute Jobangebote unterbreitet werden.

+++ Lesen Sie hier: Corona-Bonus spaltet Pflege: „So unfair, gemein, demütigend“ +++

Laut derzeitigem Stand des Reformplans müsste sich das Klinikum Siegen von Orthopädie, Elektrophysiologischer Untersuchung (EPU; eine Herzkatheteruntersuchung bei Herzrhythmusstörungen), Bariatrischer Chirurgie (die bei Adipositas eingesetzt wird) und Thoraxchirurgie trennen. Letztere umfasst Eingriffe unter anderem an Lunge, Brustkorb oder Zwerchfell; laut Ingo Fölsing gibt es allein in diesem Bereich am Klinikum Siegen rund 400 Fälle pro Jahr. Diese Patientinnen und Patienten müssten, wenn die Reform wie momentan angedacht kommt, künftig nach Dortmund, Lünen, Herne oder Hemer fahren. Für Bariatrische Chirurgie müssten Betroffene nach Hagen oder Witten. Auch hier sei davon auszugehen, dass dieser Aufwand vor allem für ältere Menschen zusätzliche Belastungen bedeuten würde.

Geschäftsführer des Klinikums Siegens hofft auf starkes gesellschaftliches Zeichen

Gegen Spezialisierung, das betont der Geschäftsführer des Klinikums Siegen, habe er überhaupt nichts einzuwenden: „Das alle alles machen sollen, ist auch Unsinn.“ So sei das St. Marien-Krankenhaus etwa die Adresse, wenn es um Hüften gehe. Es gebe ein sehr gutes Miteinander mit dem St. Marien-Krankenhaus und Jung-Stilling, „wir arbeiten medizinisch auf hohem Niveau und sehr gut zusammen“.

+++ Auch interessant: Pflegepersonal in Siegen: „Die Leute sind am Ende“ +++

Eine gute Krankenhauslandschaft sei für eine Region ein Standortfaktor, ist Ingo Fölsing überzeugt. Von daher sei sie auch angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels in anderen Branchen von großer Bedeutung. Ungeachtet dessen gebe es aber das Problem, dass viele Menschen die Krankenhäuser gar nicht auf dem Schirm hätten, bis sie selbst hinmüssten. Ein Punkt sei ihm nun gerade im Hinblick auf die weiteren Reformverhandlungen sehr wichtig: „Wir brauchen eine gesellschaftliche Übereinkunft, dass wir starke Krankenhäuser wollen.“

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++