Siegen. Der Bedarf ist immens: Das Klinikum Siegen hat in der früheren Effexx-Zentrale in Weidenau eine neue psychiatrische Tagesklinik eröffnet.

Nach nur wenigen Tage waren die allermeisten der 37 Plätze in der neuen psychiatrischen Tagesklinik bereits belegt. Die Warteliste reicht bis weit ins Jahr 2023, sagt Ingo Fölsing, Geschäftsführer des Klinikums Siegen: Die vormalige „Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik“ heißt nun „Zentrum für Seelische Gesundheit“, die neue Tagesklinik gehört dazu. Der Bedarf, so die Verantwortlichen des Kreisklinikums, ist immens.

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Bereits 2019 erhielt das Kreisklinikum Siegen den Feststellungsbescheid der Bezirksregierung für die Einrichtung der Tagesklinik – dann begann die lange Zeit der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten, die von „herben Rückschlägen“geprägt war, wie Landrat Andreas Müller in Erinnerung ruft. Fündig wurde man schließlich gleich gegenüber des Klinikum-Hauptstandorts, an der Grube Neue Haardt. Dort stand die Effexx-Firmenzentrale leer, seit das Unternehmen nach Netphen gezogen ist. Errichtet wurde das Gebäude seinerzeit als Wohnhaus der Unternehmerfamilie Fries, denen Ingo Fölsing für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit dankt.

In psychiatrischer Tagesklinik in Siegen „soll nichts an Klinikalltag erinnern“

1000 Quadratmeter Fläche hat das Team um die ärztliche Leitung Dr. Sandra Knipp und pflegerische Leitung Sonja Loos zur Verfügung. Entstanden sind helle, freundliche Räume, die so gar nichts mit einem Krankenhaus zu tun haben: „Hier soll nichts an Klinikalltag erinnern“, sagt Sonja Loos. Die durchaus etwas verschachtelten Grundrisse der vier Etagen begünstigen das: Funktions-, Aufenthaltsbereiche und Therapieräume sind miteinander verzahnt, gehen ineinander über.

37 Plätze hat die Tagesklinik, in der sich die Patientinnen und Patienten werktags in der Zeit von 8.30 bis 16 Uhr aufhalten und danach und am Wochenende nach Hause zurückkehren, was einen hohen therapeutischen Stellenwert habe. Das kann etwa der Fall sein nach einem stationären psychiatrischen Aufenthalt, oder wenn eine ambulante Versorgung nicht mehr ausreicht, eine Klinik-Aufnahme aber noch nicht nötig oder möglich ist. Der Alltag ist gleichzeitig strukturiert und variabel, ganz nach den Bedürfnissen der Patienten zugeschnitten. Manche benötigen zum Entspannen körperliche Anstrengung, andere Meditation; entsprechend groß ist das Therapie-Spektrum.

Tagesklinik schließt Lücke in psychiatrischer Versorgung – das ist bitter nötig

Pfarrerin Silke Panthöfer und Constanze Dette-Habscheid, evangelische und katholische Klinikseelsorgerin, ziehen als Vergleich zur Aufgabe der Tagesklinik das erste Buch der König, Kapitel 19 heran: Der Prophet Elia setzt sich in der Wüste unter einen Ginsterstrauch und wünscht sich den Tod, Gott gibt ihm Brot und Wasser und fordert ihn auf, aufzustehen. Viele kennen das: Da zu sitzen, nicht mehr weiterzuwissen, sich ganz weit unten zu fühlen und nicht mal mehr die Kraft zu haben, um den Kopf zu heben und den weiteren Weg zu sehen, so die beiden Geistlichen. Dann aber die Erfahrung zu machen, dass es Menschen gibt, die in dieser Situation unterstützen, Struktur geben, sagen „Du bist wertvoll“ – gewissermaßen Brot und Wasser anreichen: diese Stärkung sei unverzichtbar. Die Tagesklinik sei der geeignete Ort für Menschen, die sozusagen in der Wüste sitzen und nicht mehr weiterwissen.

Die Tagesklinik schließt die Lücke zwischen ambulanter und stationärer psychiatrischer Versorgung und das ist auch bitter nötig. Fast jeder dritte Mensch ist Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums im Lauf seines Lebens von einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung betroffen, zehn Prozent aller Fehltage am Arbeitsplatz gehen auf solche Erkrankungen zurück. Die Corona-Pandemie hat das Problem in der Fläche erheblich verschärft. „Das wissen wir alles nicht seit gestern“, sagt Landrat Müller als Vorsitzender der Klinikum-Gesellschafterversammlung – aber die Mühlen des Gesundheitswesens mahlen eben langsam. „Das Angebot an Tageskliniken ist in der Region sehr überschaubar, die Wartelisten sind unendlich lang“, so Müller.

Chefarzt freut sich „wie Bolle“ dass die psychiatrische Tagesklinik in Betrieb ist

Die neue Einrichtung, Teil des Zentrums für seelische Gesundheit unter Chefarzt Dr. Heiko Ullrich, nimmt zumindest etwas Druck aus dem Kessel, kann als wichtiger Baustein der Psychiatrie mehr Menschen eine Spezialversorgung ermöglichen. Dr. Ullrich ist sichtlich begeistert, dass die dringend benötigte Einrichtung nun endlich arbeitet, „das Projekt beschäftigt uns sei dem letzten Jahrtausend“, sagt er. Der damalige Geschäftsführer Bertram Müller habe damit angefangen, sein Nachfolger Ingo Fölsing „den Deckel drauf gemacht“ – und ohne seine Leute und das Projektteam hätte es ohnehin nicht geklappt. „Ich freu’ mich wie Bolle!“, ruft der Chefarzt.

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Für die psychiatrische Tagesklinik wurden neue Beschäftigte angestellt, das multiprofessionelle Behandlungsteam besteht aus Ärzten, Pflegekräften, Psychologen, Kreativ-, Sport- und Bewegungstherapeuten, Sozialarbeitern und einer medizinischen Fachangestellten. Kontakt: 0271/705-1961, tagesklinik@klinikum-siegen.de.