Siegen-Wittgenstein. Der Kreistag mit seinen neun Fraktionen lernt: Es gäbe Mehrheiten – man darf nur nicht krank werden.

Der Kreistag hat den Haushalt für 2023 mit der großen Mehrheit von SPD, CDU, Grünen, FDP, UWG und SWM beschlossen. Der Hebesatz für die Kreisumlage beträgt 34,7 Prozent – das sind 0,1 Prozentpunkte weniger als bisher. Die von Landrat und Kämmerer empfohlene Erhöhung auf 35,3 Prozent findet nicht statt. Der 540-Millionen-Euro-Haushalt des Kreises nimmt von den Städten und Gemeinden gut drei Millionen Euro weniger als die eingeplanten rund 185 Millionen Euro ein.

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Der Weg dorthin war weit. Hinter dem Kreistag liegen eine nach sieben Stunden geplatzte Sitzung im Dezember und der Bruch der Kooperationsgemeinschaft von SPD und CDU. Auch am Freitag braucht es noch einmal fast vier Stunden und zwei Sitzungsunterbrechungen bis zur relativen Einigung – weniger eine Auseinandersetzung um gravierende inhaltliche Differenzen als vielmehr die Machtprobe, ob es denn eine neue „bürgerliche“ Mehrheit im Kreistag gibt. Die Antwort darauf allerdings wird schon früh am Nachmittag erkennbar: Es gäbe sie – wenn alle da wären.

Der Auftakt: Machtproben beim Stellenplan

Die Probe aufs Exempel macht der Kreistag bei dem ziemlich unbedeutenden Antrag der CDU, dreieinhalb Stellen aus dem Stellenplan zu streichen, die dort zwar durch ein Versehen jetzt erst neu hineingekommen, aber längst besetzt und auch bezahlt sind. Ablehnung mit 27 Stimmen von SPD, Grünen, Linken und Landrat gegen 26 von CDU, FDP, UWG, SWM, AfD und LKR. Wenn bei CDU und SWM nicht je ein Kreistagsmitglied gefehlt hätte, wäre es 28:27 ausgegangen. „Was wir heute beschließen, ist ein Zufallsergebnis“, stellt Guido Müller (FDP) später fest, nachdem die bürgerliche Mehrheit ein ums andere Mal keine Mehrheit findet. Er ruft zu „klaren Bündnissen“ auf. Jetzt, so beobachtet der FDP-Fraktionschef, sei die Stimmung doch „ziemlich versauert“.

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Zuerst geht es um den Stellenplan der Verwaltung - das Thema, an dem der Kreistag im Dezember gescheitert ist. Die CDU will nicht, dass zwei neue Radwegplaner eingestellt werden; stattdessen sollen 75.000 Euro Planungsmittel bereitgestellt werden, um externe Planungsbüros zu beauftragen. Es könnten auch mehr werden, bietet Hermann-Josef Droege (CDU) an: „Das muss nicht das Ende der Fahnenstange sein.“ Das sei „für uns ein absolutes No-Go“, sagt Ulrich Schmidt-Kalteich (Grüne), zumal die Städte und Gemeinden sich schon darauf eingerichtet hätten, diese Planer gegen Kostenerstattung ebenfalls zu beauftragen – so wie es der Kreis angeboten habe. Ullrich Georgi (Linke) erinnert daran, dass der Kreistag selbst die neuen Stellen erst im September gefordert habe. „Wir machen uns lächerlich“, findet Julian Maletz (SPD).

Die Stellen für die Radwegeplaner bleiben, die CDU, die am Ende eine der beiden Stellen akzeptieren will, unterliegt mit 25:28. Ähnlich geht es mit der beantragten Streichung von zwei Stellen für die Öffentlichkeitsarbeit, 26:27. Längeres Gehakel gibt es um eine neue halbe Stelle für die Philharmonie, obwohl die von der Philharmonie bezahlt wird und nur deshalb im Kreis-Stellenplan erscheint, weil die Aufgabe nun von einer Kreis-Beamtin wahrgenommen wird, 22:29 bei zwei Stimmenthaltungen. Und so weiter. Landrat Andreas Müller wird gegen seine Art unfreundlich. Der Personalausschuss möge doch „seine Aufgabe wieder etwas ernster nehmen“. Der war nämlich mit seiner Vorberatung schneller durch. Noch einmal 27:26. Und das war erst der Stellenplan.

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Die Hauptsache: Haushalt – und übers Sparen reden

Nun also der Haushalt. „Der eine spart so, der andere so“, sagt Thomas Helmkampf (CDU) ein wenig resigniert. „Natürlich haben wir keinen Sparwillen“, behauptet Guido Müller (FDP), bevor Ullrich Georgi (Linke) beinahe den Beweis des Gegenteils antritt. Der Antrag seiner Fraktion, das 1000-Dächer-Programm (1000 Euro Zuschuss für 1000 Photovoltaikanlagen) in diesem Jahr nach 750 Dächern einzustellen, findet durchaus Sympathie, etwa bei FDP, LKR und AfD. Um den Abstimmungserfolg bringt sich Georgi aber mit dem neuen Antrag, die eingesparten 250.000 Euro zu verwenden, um auch aus dem Mobilitätsticket für Menschen mit kleinem Einkommen (29 Euro) ein Deutschlandticket (49 Euro) zu machen.

Die SPD bringt die Anträge auf den Tisch, die sie im Dezember noch gemeinsam mit der CDU gestellt hat: Mit großen Mehrheiten beschließt der Kreistag, die aus den Haushalt herausisolierten Belastungen durch Pandemie und Krieg ab 2026 über 20 Jahre abzutragen, Kostensenkungen im Sozialbereich anzustreben und bei den „freiwilligen“ Leistungen mindestens zehn Prozent einzusparen. Wobei Christian Zaum (AfD) anregt, sich auch die Pflichtaufgaben anzuschauen, „wo wir wirklich Geld sparen können“, indem sie „anders“ wahrgenommen werden. Beschlossen werden auch Anträge der CDU, die vor allem auf die Kosten des Jugendamts zielen. Die Forderung, freiwillige Leistungen auf den Betrag von 2022 einzufrieren, wird abgelehnt, 24:27. Keine Mehrheit bekommt die LKR für ihren Antrag, Unternehmensbeteiligungen des Kreises – das sind vor allem Kreisbahn und Flughafen – „auf den Prüfstand“ zu stellen.+

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Der Höhepunkt: Kreisumlagen-Basar

Der Kreistag nähert sich seiner Königsdisziplin, der Festsetzung der Kreisumlage. Wie immer einsam bleibt Ullrich Georgi (Linke) mit seiner Feststellung, selbst nach einer Erhöhung – wie vom Landrat vorgeschlagen – wäre der von den Städten und Gemeinden zu zahlende Beitrag „immer noch zu niedrig“. Ob das verbleibende Defizit durch das Aufbrauchen der Ausgleichsrücklage oder durch mehr „Isolieren“ von kriegsbedingten Mehrbelastungen beglichen werde, spiele keine Rolle. „Das fällt uns sowieso auf die Füße.“ Überhaupt: „Es gibt Städte im Kreis, die auf hohem Niveau jammern.“ Hermann-Josef Droege (CDU) nutzt die Gelegenheit, Kritik aus den Rathäusern und Appelle zur Solidarität in der „kommunalen Familie“ zu kontern. Es habe „unflätige Äußerungen“ gegeben, „die nichts mit familienfreundlichem Umgang zu tun haben“. Und: „Ich kann jeden Bürgermeister ermuntern, endlich mal gegen den Kreis zu klagen.“ Ein solches Gedankenspiel hatte der Siegener Kämmerer öffentlich geäußert.

Am Ende die Zahlen: 32,8 Prozent Hebesatz fordern Bürgermeisterkonferenz und LKR. 35,3 Prozent will der Landrat. 35,0 Prozent hatten SPD und CDU gemeinsam beantragt. Die CDU geht nun auf 34,8 Prozent herunter, den bisher geltenden Hebesatz. Die SPD schließt sich an. FDP und UWG hatten 34,4 Prozent ins Spiel gebracht, FDP-Fraktionschef Guido Müller fragt, „ob wir uns nicht bei 34,6 alle finden können“. Es gibt eine Sitzungsunterbrechung, die neun Fraktionsvorsitzenden ziehen sich in den Nachbarraum zurück. Der verbliebene Kreistag, nach der Hallen-Tournee in drei Pandemie-Jahren endlich zurück im Geisweider Ratssaal, übt sich, bei längst leer gegessenem Schnittchen-Büffet, im lange entbehrten Socializing. Irgendwann kommen die Herren in gelöster Stimmung wieder heraus. 34,7 Prozent. Und dann ist alles sehr schnell vorbei.

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