Siegen-Wittgenstein. Künftig machen die Ex-Kooperationspartner SPD und CDU im Kreistag wieder ihr eigenes Ding. Warum es zum Zerwürfnis zwischen den Fraktionen kam:
Es hatte sich in der verknatschten Marathon-Kreistagssitzung Ende Dezember bereits angedeutet: Die CDU-Fraktion hat die ohnehin eher lose Kooperation mit der SPD aufgekündigt. Das bestätigt CDU-Fraktionsvorsitzender Hermann-Josef Droege auf Anfrage: Man habe sich entschieden, nach knapp zweieinhalb Jahren durchaus auch konstruktiver Zusammenarbeit entschieden, die Kooperation nicht weiter fortzusetzen.
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Sein SPD-Amtskollege Julian Maletz bedauert die Entscheidung – und bedankt sich ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit, bei der man „konstruktive und vernünftige Lösungen im Sinne des Kreises“ gefunden habe.
Das sagt der Siegen-Wittgensteiner CDU-Fraktionschef Hermann-Josef Droege
Man scheide nicht im Streit auseinander, betont auch Hermann-Josef Droege, der insbesondere die gute persönliche Zusammenarbeit der Fraktionsspitzen lobt. Gleichwohl habe die CDU einen Punkt erreicht, an dem die Fraktion die Zusammenarbeit nicht mehr fortsetzen wolle, bei einer Sondersitzung sei der entsprechende Beschluss gefasst worden. Es sei einiges zusammengekommen, eine ganze Reihe von Punkten hätten zu wachsendem Unmut in der Fraktion geführt, in der besagten Debakel-Kreistagssitzung sei das Fass dann wohl übergelaufen. Es sei sinnvoller, ohne eine solche Kooperation für Sachanträge und Inhalte zu werben, die gemeinsame Linie sei mit immer höherem Aufwand verbunden gewesen.
Zum Beispiel die Becher-Biennale (wir berichteten): Die CDU habe hier einige Arbeit investiert und sei am Ende „beiseite geschoben“ worden. Oder: Der Antrag zu Elternbeiträgen, den die SPD kurz vor dem Kreistag „aus dem Hut gezaubert“ habe, ohne dass sich ordnungsgemäß die Fachausschüsse vorher damit befasst hätten. Das sei bei vielen anderen Themen ähnlich gewesen. Bei der Kultur-Förderung etwa: Dafür seien 100.000 Euro vorgesehen, die eigentlich für das Siegener Bunkermuseum gedacht waren, also keine echten Deckungsmittel, so Droege: „Sondern eine Aufstockung des Haushalts. Das hätte man auch so beschließen müssen.“
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Insgesamt habe sich in vielen Sitzungen, nicht nur im jüngsten Kreistag, eine Dynamik im Umgang mit der CDU ergeben, „die geht so nicht“, findet Droege. Wenn man etwas durchsetzen wolle, gebe es vorgeschriebene Verfahrenswege, diese zu verlassen, sei nicht in Ordnung.
Das sagt Julian Maletz, SPD-Fraktionsvorsitzender im Kreistag Siegen-Wittenstein
Julian Maletz zeigt sich etwas verwundert von der CDU-Entscheidung, die Kooperation nun aufzukündigen. Für die Zusammenarbeit sei explizit vereinbart worden, dass für beide Fraktionen politischer Spielraum bleibt, wenngleich man in „zentralen Fragen“ eine „gemeinsame Entscheidungsfindung“ anstreben wolle. Dies habe die SPD genutzt und sich mit Anträgen nicht gegen die Kooperation gestellt. Der Elternbeitrag-Antrag etwa sei vorher angekündigt und für die CDU auch beispielsweise nicht an den Haushalt gekoppelt gewesen, „sondern hätten wir drüber geredet!“
„Schade, dass es so zu Ende gegangen ist“, sagt Maletz. Die Risse seien aber schon länger da gewesen, gibt er zu: „Es gab schon strittige Punkte, auch in Ausschusssitzungen, der Kreistag war dann wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“
Das sagt Siegen-Wittgensteins Landrat Andreas Müller
Landrat Andreas Müller bedauert das Ende der Kooperation. „Damit“, so der Landrat in einer Mitteilung, „haben wir jetzt die gleiche Situation wie in der letzten Wahlperiode von 2014 bis 2020. Auch damals gab es weder eine Kooperationsvereinbarung noch klare ‚rechts/links‘ Mehrheiten.“ Bei jeder einzelnen Sachfrage mussten über alle Fraktionsgrenzen hinweg Mehrheiten gesucht und gefunden werden. Das habe die politische Debatte durchaus belebt, weil alle Fraktionen sich mit Vorschlägen eingebracht haben, „weil eben nicht von vornherein klar war, dass sie sowieso keine Chance haben“, so Müller: „Gute Ideen suchen sich ihre Mehrheiten!“ Er sei überzeugt, dass das auch künftig so sein werde.
Damit wachse aber auch die Verantwortung aller Fraktionen für die Geschicke des Kreises und der Menschen in den elf Kommunen: „Wir befinden uns in einer äußerst angespannten Situation“, betont Müller. Die hohen Energiepreise, die Inflation in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine überforderten gerade Menschen mit kleinen Einkommen, was sich in den Sozialausgaben niederschlage und Antworten der Politik erfordere. Gleichzeitig gebe es weitere drängende Themen wie Klimawandel und Umweltschutz, Verkehrswende, digitale Infrastruktur oder gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen. „Nichts davon hat sich von selbst erledigt“, betont Müller: „Hier werbe ich mehr denn je bei allen Kreistagsfraktionen darum, sich mit eigenen Ideen aktiv einzubringen und die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft zu treffen.“
Der Kreistag müsse dafür sorgen, dass die Kreisverwaltung auch mittelfristig handlungsfähig bleibe. Die enormen Kostensteigerungen, insbesondere im Sozialbereich, müssten aufgebracht und abgedeckt werden, dazu brauche es einen beschlossenen Haushalt. Der Stellenplan für 2023 fand keine Mehrheit, der Haushalt ist also nicht verabschiedet: „Ich weiß, dass sich Politiker immer schwer damit tun, zusätzliche Stellen für die Verwaltung zu bewilligen. Ich bitte an dieser Stelle aber einfach um eine unvoreingenommene nüchterne Betrachtung der Realität“, so Müller. So erforderten neue Aufgaben, zugewiesen von Land und Bund, zusätzliche Beschäftigte. Müller verweist auf die Stadt Siegen, wo Bürgermeister Steffen Mues 33 zusätzliche Stellen schaffen wolle und betont habe, dass der Bedarf eigentlich noch größer sei: „Ich kann die von Bürgermeister Mues vorgetragenen Gründe für die Stellenmehrungen absolut nachvollziehen. Aber glaubt tatsächlich irgendjemand, dass die Entwicklung in der Kreisverwaltung anders ist?“ Auch die Bedarfe der Kreisverwaltung lägen deutlich über den vorgeschlagenen 17 zusätzlichen Stellen. Mit Rücksicht auf die Höhe der Kreisumlage habe man nur die neuen Stellen im Haushaltsplan verankert, die ohnehin bereits beschlossen waren oder die zwingend erforderlich seien. Der Landrat bittet alle Mitglieder des Kreistags, ihre Verantwortung für die Menschen in Siegen-Wittgenstein wahrzunehmen und im Februar einen Haushalt zu verabschieden, er stehe für Gespräche jederzeit zur Verfügung.
Wie es jetzt weitergeht mit dem Kreistag Siegen-Wittgenstein
Bis auf weiteres werde man mit eigenen Positionen in die politische Diskussion gehen, kündigt Hermann-Josef Droege an, das eigene Profil schärfen. Nun gebe es klare Verhältnisse, man könne „befreiter agieren“. Wobei es nach wie vor „erhebliche Übereinstimmungen“ in allen möglichen Sachfragen gebe, nicht nur mit der SPD. „Bei den Wisenten liegen wir zum Beispiel viel näher bei anderen Fraktionen als an der SPD“, so der Fraktionschef.
Auch Julian Maletz bleibt gelassen: Nur weil es keine Kooperation mehr gibt, bedeute das nicht das Ende gemeinsamer Initiativen. „So wie mit allen demokratischen Fraktionen im Kreistag“, wie Julian Maletz betont. Man werde in der SPD-Fraktion in der kommenden Woche beraten, ob man eine andere Kooperation anstreben wolle oder wie die Union zunächst einen eigenständigen Weg gehe und sich für inhaltliche Positionen Mehrheiten sucht. Der Vorsitzende erinnert an die Wahlperiode ab 2014, als es auch keine Kooperation gab: „Das ist keine komplett neue Situation für den Kreistag und für den Landrat.“ Es habe zu jeder Zeit Abstimmungen gegeben, bei denen SPD und CDU nicht einer Meinung waren.
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Man werde die Situation zeitnah bewerten, denn bis Februar tickt die Uhr: Dann steht die Sondersitzung des Kreistags an, bei der dafür gesorgt werden soll, dass Siegen-Wittgenstein doch noch einen Haushalt verabschiedet.