Siegen. Straßen oder Radwege: Wer im Rathaus „Straßen und Verkehr“ macht, braucht langen Atem. Es gibt viele Gründe, warum fast nichts schnell geht.

Benjamin Hinkel hat heute noch eine Menge vor. Der stellvertretende Leiter der Abteilung Straße und Verkehr – Leiterin Anke Schreiber ist in Urlaub – wird sich von der Kollegin, die den neuen Radweg Langenholdinghausen-Oberholzklau plant, auf den Stand der Dinge bringen lassen: Da ist der Wasserverband im Spiel, der dort eine neue Leitung legt, und natürlich die Stadt Freudenberg, für deren Gebiet Siegen die Planung mit übernommen hat. Dann wird er die Verkehrsplanerin aufsuchen, die die Radwegeplanung koordiniert: „Viele Kommunen haben ihre eigenen Ansätze“ – da müssen die Übergänge an den Stadtgrenzen passen.

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Thema an diesem Tag wird die Erschließung des neuen Baugebietes Am Sportplatz in Geisweid sein: „Wo erwarten wir da welchen zusätzlichen Verkehr?“ Und zwischendurch sollte dann noch Zeit sein, Anfragen zu beantworten – zum Beispiel von Interessenten, die ein neues Geschäftshaus bauen wollen und mögliche Verlegungen von Bushaltestellen und Fußgängerüberwegen ausloten. Oder von Verkehrsteilnehmern, die Ideen für Ampeln und Radwege haben. Auf dem eigenen Tisch hat der Ingenieur dann auch noch die Planung des Geisweider Busbahnhofs liegen, immerhin schon seit 2018. Während der ZOB Weidenau „ganz wunderbar“ in knapp vier Jahren über die Bühne ging, ist hier Sand im Getriebe der vielen Mitredenden. Wie lange noch? „2025 wäre schön.“

Über 1200 Vollzeitstellen, verteilt auf eine noch größere Zahl von Beschäftigten, weist der Stellenplan der Siegener Stadtverwaltung aus. Die Abteilung Straße und Verkehr mit rund 80 Mitarbeitenden – einschließlich des städtischen Bauhofs – ist da eher überschaubar. Das Aufgabengebiet aber riesig: Vier Arbeitsgruppen sind für Straßen-und Verkehrsplanung (die leitet Benjamin Hinkel selbst), Straßenneubau, Straßenunterhaltung und die Straßenverkehrsbehörde gebildet worden. In ihrer Hand sind 600 Kilometer Stadtstraßen, insgesamt 1250 Straßen, 25 Radwege, 355 Fuß- und Treppenwege, 400 Wirtschaftswege, 3500 Stützmauern, 100 Zebrastreifen, 750 Bushaltestellen, 180 Brücken und 500 Ampeln.

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Der Alltag: Straße, Radwege, Zebrastreifen

So wird eine Straße erneuert: „Die Instandhaltung wurde jahrzehntelang finanziell vernachlässigt“, sagt Benjamin Hinkel – daher kommt es nun knüppeldick. „Viele Straßen kommen aus einer Zeit, in der die Verkehrsbelastung noch nicht so groß war.“ Ob Sanierung oder Neubau in einem Wohngebiet – die Abläufe gleichen sich. Die politischen Gremien, aus denen oft vorher schon der erste Anstoß kommt, wenn nicht sowieso der Bauhof die Schäden festgestellt oder die Stadtentwicklung den Bedarf für eine neue Erschließungsstraße festgestellt hat, sind wieder an der Reihe. Sie beschließen über den Haushalt, vergeben die Aufträge an die Baufirmen. „Straße und Verkehr“ kümmert sich dann um etwaige Umleitungen, begleitet die Ausführung, rechnet mit Baufirmen und Anliegern ab und erstellt Nachweise, dass die Fördermittel des Landes korrekt verwendet wurden. Das alles kann sehr lange dauern: Man wartet auf Zuschüsse, die Genehmigung des städtischen Haushalts, die Angebote der Baufirmen. Weil da schnell einmal ein Winter dazwischen kommt, sind die Baustellen von heute in der Regel auf Beschlüsse aus dem Vorjahr zurückzuführen.

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Das passiert vor einer Straßensanierung: Um Fahrbahndecken zu erneuern, bemüht sich die Stadt um Fördermittel. „Dafür müssen wir eine Wartezeit einkalkulieren.“ Und um Abstimmung mit Versorgungsunternehmen, die Stromkabel, Wasserleitungen oder Kanäle unter der Fahrbahn liegen haben. Wenn die in den nächsten fünf Jahren sowieso die Straße aufbrechen wollen, wartet auch die Stadt solange. „Wir reißen die Straße dann nicht zwei Mal auf.“ Und die Versorgungsbetriebe bezahlen mit. Denn das mit dem Geld ist so ein eigenes Thema. Es kommt ja nicht nur aus dem städtischen Haushalt, sondern – bei größeren Ausbauvorhaben – auch in Gestalt von Anliegerbeiträgen von den Anwohnern direkt. „Dann ist die Straße plötzlich wieder in sehr gutem Zustand“, beschreibt Benjamin Hinkel ein typisches Feedback. Ohne dass ein Bagger sich auch nur in Bewegung gesetzt hätte. Mit Geschwindigkeitsbeschränkungen und Einengungen kommt manche Holperpiste noch über die Jahre. „Aber es kommt der Moment,wo nichts mehr geht. Die Grenze ist erreicht, wenn die Verkehrssicherheit ins Spiel kommt.“ Wenn denn feststeht, dass eine Straße an die Reihe kommen kann, werden die Entscheidungen in der Stadt vorbereitet. „Ich kann ja nicht unendlich viele Dinge für den Haushalt anmelden. Man muss die Dinge ja auch abarbeiten können.“

So wird ein Radweg gebaut: Neue Radwege können selten auf vorhandenen Fahrbahnen angelegt werden – es sei denn, man nimmt,wie in der Siegener Innenstadt, auf mehrspurigen Straßen dem Autoverkehr eine Fahrspur weg. Sobald es auf neue Trassen geht,kommen Naturschutz- und Wasserbehörde mit ins Spiel. Wenn eine Artenschutzprüfung nötig wird, geht ein weiteres Jahr – für die Beobachtung der Vegetation ins Land. Manchmal wird auch eine komplette Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich, wie zum Beispiel in den Niederscheldener Siegauen, obwohl dort schon ein Trampelpfad die künftige Trasse markiert.

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So entsteht ein Zebrastreifen – nicht: indem man ein paar weiße Balken auf die Fahrbahn malen lässt. Der Fußgängerüberweg, wie er amtlich heißt, hat immer eine Vorgeschichte. „Da können zwei bis vier Jahre ins Land gehen“, sagt Benjamin Hinkel und räumt ein, dass das bei den betroffenen Verkehrsteilnehmern, die den Zebrastreifen fordern, oft auf Unverständnis stößt. Aber: Der Verkehr muss gezählt, der passende Standort ermittelt werden, weit genug für Autofahrer einsehbar und tunlichst nicht in der Nähe von Grundstückseinfahrten. Die Politik muss beschließen – wenn gleich mehrere Fachausschüsse mitreden, kann allein darüber ein Dreivierteljahr vergehen. Und schließlich auch hier wieder: das Warten auf Zuschüsse. Mit Beleuchtung, Leitsystem für Sehbeeinträchtigte und abgesenkten „Sonderborden“ für Rollstühle und Kinderwagen sind schnell 35.000 bis 40.000 Euro weg. Immer noch wenig genug, als dass sich Baufirmen um solche Aufträge rissen. „Je schneller es gehen soll, desto teurere oder weniger Angebote. Und um die Jahreswende haben die Bauunternehmen in der Regel die Bücher voll.“

Das ist weniger kompliziert: Kleine Straßenreparaturen erledigt der Bauhof selbst, grob gesagt alles, was in zwei bis drei Tagen machbar ist. Allerdings, gibt Benjamin Hinkel zu bedenken, ist selbst für immer mal wieder loses Pflaster in der Siegener Altstadt „ganz schnell mal ein Tagwerk“ verbraucht. Der Bauhof kümmert sich um Beschilderungen, tauscht defekte Lampen in Ampeln aus, schafft die Absperrgitter zum Käner Stadion und zu anderen Veranstaltungen. „Dafür geht sehr viel Zeit drauf.“ Anders als in kleineren Kommunen kümmert sich in Siegen der Bauhof nicht um Grünflächen, Friedhöfe und Winterdienst. Das machen andere Abteilungen

Spannende Zeit: Benjamin Hinkel,  stellvertretender Abteilungsleiter Straßen und Verkehr, hat mit dem Innenstadtplan die großen Baustellen im Blick. 
Spannende Zeit: Benjamin Hinkel, stellvertretender Abteilungsleiter Straßen und Verkehr, hat mit dem Innenstadtplan die großen Baustellen im Blick.  © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Die Highlights in Siegen: Hufeisenbrücke und Uni-Umzug

Ein Innenstadtplan hängt an einer Wand in Benjamin Hinkels Büro im Geisweider Rathaus. An verschiedenen Stellen liegen auf transparentem Papier Zeichnungen darüber: immer wieder überarbeitete Varianten für Neuplanungen. Die Koblenzer Straße, die gerade eine Bus- und Fahrradspur erhält. Die Sandstraße beim Cinestar, die eine zweite Busspur zum Kölner Tor bekommt. Der Häutebachweg, der Fahrradstraße werden soll.

Und dann die Frage, wie die Studis eigentlich vom Bahnhof zum Campus kommen, wenn ihre Uni erst einmal in die Stadt gezogen ist. Geplant sind neue Wege über Hindenburg- und Sandstraße in die Friedrichstraße - aber was, wenn alle durch die Bahnhofstraße laufen wollen? Schließlich das Mega-Thema Hufeisenbrücke, die so einfach als Fahrrad- und Fußgängerbrücke neu zu bauen wäre,wenn sie nicht für die Busse vom und zum Bereitstellungsplatz hinter dem Bahnhof gebraucht würden. Für die Finanzierung fühlen sich weder die Verwalter der Straßen- noch der ÖPNV-Budgets zuständig fühlen. Ein „Sonderprojekt“ eben. Und 2028 fällt der Hammer – dann gibt es kein „Betriebskonzept“ mehr für die baufällige Brücke. „Im Moment ist das wirklich eine spannende Zeit“, sagt Benjamin Hinkel.

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