Kreuztal/Siegen. Die Fahrrad-Autobahn von Kreuztal nach Siegen würde sich sogar rechnen, sagen die Fachleute. Die Politik ist nur begrenzt überzeugt.

Lena Erler spricht im Verkehrsausschuss des Kreistags von einer „ziemlichen Punktlandung“, als sie das das Verhältnis von Nutzen zu Kosten mit der Zahl 1,1 benennt – unter 1 wäre der Aufwand höher als der Ertrag gewesen. Vorher hat die Verkehrsingenieurin allerdings gesagt, was der 15,6 Kilometer lange Radschnellweg von Kreuztal nach Siegen kosten würde: 61 Millionen Euro. Damit wäre diese Verbindung, auf den Kilometer umgerechnet, mehr als doppelt so teuer wie der Radschnellweg Ruhr, der auf über 100 Kilometern das ganze Ruhrgebiet durchzieht.

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Fakten: 15,6 Kilometer nach Eiserfeld in 40 Minuten

Anforderungen: Das Kölner Planungsbüro Via arbeitet gemeinsam mit der Planersocietät Dortmund, die auch das Radverkehrskonzept für den Kreis entwickelt hat, an der Machbarkeitsstudie für den Radschnellweg durch den Kernraum. Gesucht wird eine Trasse, die im Zweirichtungsverkehr vier Meter und im Einrichtungsverkehr drei Meter breit ist, entweder als Fahrradstraße oder als selbstständiger Radweg oder als Anbau an vorhandene Autostraßen. Um eine Reisegeschwindigkeit von mindestens 20 km/h zu erreichen, muss der Radweg am besten entweder in Unter- oder Überführungen oder mit Vorfahrt über Knotenpunkte geführt werden, ansonsten über Kreisverkehre (10 Sekunden Zeitverlust) oder Ampelkreuzungen (30 Sekunden). Zudem muss der Weg mit grün-weißer Randmarkierung und grüner Fahrrad-Autobahn-Ausschilderung für Winterdienst und Notfallfahrzeuge befahrbar sein.

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Ergebnis: In sechs Abschnitte haben die Gutachter die Strecke unterteilt, auf der für die Trassenführung insgesamt 27 Varianten untersucht wurden. Die Vorgaben: ein möglichst großes Gebiet mit potenziellen Radfahrern erschließen, Umwege vermeiden, nicht in die Natur eingreifen, keine Angststrecken ohne soziale Kontrolle, möglichst keine Steigungen. Das Ergebnis: Die Route orientiert sich an der HTS, mal darunter, mal daneben, mal direkt neben der Autofahrbahn. Kurzum: „Wir werden uns an die HTS dranhängen.“ Das ermöglicht eine Geschwindigkeit von durchschnittlich 24 km/h und eine Fahrzeit von Kreuztal -Mitte nach Eiserfeld in 40 Minuten.

So geht’s weiter

Nach Abschluss der Machbarkeitsstudie im Mai wird die Untersuchung über den Landesbetrieb Straßen NRW an das Verkehrsministerium weitergeleitet. Dort wird entschieden, welche Priorität der Radschnellweg Siegen-Kreuztal im Verhältnis zu anderen Radschnellweg-Planungen bekommt.

In weiteren Schritten werden mögliche Bauabschnitte gebildet und Planverfahren eingeleitet: von der Variantenprüfung über die Linienbestimmung bis zur Umweltverträglichkeitsprüfung.

In Kreuztal mit der HTS über die Bahn

Kosten: Das hat seinen Preis: Auf 5,5 Kilometern muss der Schnellweg neu gebaut werden, einschließlich Aufständerungen oder Auskragungen, um die die HTS verbreitert wird. Auf 7,7 Kilometern werden vorhandene Straßen ausgebaut, ein Kilometer Fahrradstraße kommt dazu, von der Autos weitgehend verbann sind. 18 Knotenpunkte sind zu überwinden. Teuer wird das Vorhaben vor allem durch „Sonderbauwerke“ wie zum Beispiel Brücken, die allein 37,2 Millionen Euro kosten. „Wir haben immer nach Alternativen gesucht“, sagt Lena Erler. Manchmal gibt es aber keine. Zum Beispiel nicht in Langenau, wo der von Kreuztal kommende Radschnellweg gemeinsam mit der HTS die Bahnstrecke queren wird.

„Kostenintensiv, aber wirtschaftlich sinnvoll“, lautet das vorläufige Fazit von Lena Erler aus dem Planungsbüro, „es lohnt sich, weiter ins Detail zu gehen.“ Manche Abschnitte würden „sehr lange“ dauern, andere seien aber auch sehr einfach zu realisieren.

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Meinungen: „Schöngerechnet“ oder „wunderbar“

Ulrich Haas (SPD) hält das Vorhaben für „fast überhaupt nicht durchführbar“. Der Kreis solle eher in den öffentlichen Nahverkehr investieren: „Wir kriegen ja noch nicht mal einen vernünftigen Fahrplan hin.“ Roland Steffe (AfD) äußert Zweifel, ob überhaupt die Grundvoraussetzung erfüllt sei, dass mindestens 2000 Radfahrer am Tag auf die Strecke gehen, die für eine 100-Prozent-Finanzierung durch das Land nachgewiesen werden müssen .„Das sieht schöngerechnet aus“ – in Siegen würden auf dem Radweg unter der HTS maximal 500 Fahrer pro Tag gezählt. Tatsächlich hatte eine erste Potenzialanalyse selbst für den dichtest befahrenen Abschnitt in Siegen-Mitte nur 1630 Fahrten hochgerechnet. Für die Machbarkeitsstudie wurde dann angenommen, dass der Radverkehr einen Anteil von zehn Prozent am, Gesamtverkehr erreicht. Das sei eine Prognose, räumt Lena Erler ein. Allerdings: Immer mehr Menschen steigen aufs Fahrrad um, mit den Pedelecs werden auch die Siegerländer Berge überwindbar. „Die Topografie hat die Leute hier lange vom Fahrradfahren abgehalten.“

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Thomas Börger (Grüne) spricht von einem „wirklich guten Kosten-Nutzen-Verhältnis“ und von einer „wunderbaren Chance“, Kommunen „energiegut“ miteinander zu verbinden. „Wer immer nur rückwärts schaut, wird irgendwann gegen den Baum fahren“, meint Martin Achatzi, „die Zeiten haben sich geändert, die Mobilitätswende muss uns doch etwas wert sein.“ Die Summe von 61 Millionen Euro werde „gut investiertes Geld“ sein. „Positiv nach vorn sehen“, rät Ausschussvorsitzende Annette Scholl (SPD), „wenn die Radwege nicht bei uns gebaut werden, werden sie woanders gebaut.“ Da gibt sich am Ende auch Roland Steffe (AfD) den Anschein von Überzeugtheit: „Solange das Land alles bezahlt...“

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