Hilchenbach. Warum Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis „betroffen“ sein darf und was den HIlchenbachern an ihrem Weihnachtsmarkt-Wochenende blüht.

Nicht, dass er sich nicht gewehrt hätte: Von einem Staatsanwalt hat sich Hilchenbachs Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis sagen lassen müssen, dass der Aufruf „Deutsch wählen“ in Verbindung mit „Kyrillos Kaioglidis muss weg“ von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, die der rechtsextremistische „3.Weg“ für sich in Anspruch nimmt. „Aber ich darf mich nicht äußern.“ Der Artikel auf der städtischen Homepage, in dem über die Übergabe einer gegen das Parteibüro des 3. Wegs gerichtete Petition berichtet wurde, ist nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts – wir berichteten – entfernt worden.

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„Wir werden uns nach dem Urteil richten“, sagt Kyrillos Kaioglidis, „aber ich werde mich weiter für Vielfalt und Toleranz und gegen Neonazis einsetzen.“ In einer schriftlichen Stellungnahme bezeichnet der Bürgermeister das Urteil aus Münster als „einen Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die sich gegen rechtsextreme und rassistische Verhaltensweisen und für Toleranz und Zivilcourage einsetzen“. Er sei „schockiert“ über den Beschluss, den die Partei „Der dritte Weg“ im Eilverfahren erwirkt hatte – nachdem zuvor das Verwaltungsgericht Arnsberg entgegengesetzt geurteilt hatte.

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So begründet das Gericht sein Urteil

Der 15. Senat des Oberverwaltungsgerichts argumentiert in seinem 16 Seiten umfassenden Beschluss sehr differenziert. Öffentlichkeitsarbeit der Kommune sei „nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten“. Der Bürgermeister habe folglich „eine Äußerungsbefugnis zu allen Themen, welche die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft betreffen“. Das „Neutralitätsgebot“ setze allerdings dieser Äußerungsbefugnis rechtliche Grenzen.

Das Gericht bestätigt, dass der „3. Weg“ nachrichtendienstlich beobachtet wird und sich „inhaltlich und stilistisch weitgehend in die Tradition der Nationalsozialisten“ stelle. „Trotz allem“ sei die Partei nicht verboten. Der Bürgermeister gehöre auch nicht zu den Verfassungsorganen, die ein Parteienverbot beantragen könnten. In dem Bericht auf der Homepage gehe es zudem nicht um die grundsätzlichen Positionen der Partei, sondern um deren umstrittenes „Bürgerbüro“ in der Hilchenbacher Dammstraße.

Link von der Homepage zur Petition nicht zulässig

Mit dem Beschluss untersagt das Gericht zwar die Veröffentlichung des Artikels auf der städtischen Homepage, ausdrücklich aber nicht „weitere (anderweitige) Verbreitung des Artikels". Auf eine solche, ebenfalls geforderte, Unterlassungserklärung habe die Partei keinen Anspruch, zumal das Anliegen der Petition erfüllt sei: Der Rat hat sich dafür ausgesprochen, dass die Stadt ein Vorkaufsrecht für die Dammstraße 5 ausübt – auch dieses Thema ist längst beim Verwaltungsgericht anhängig. Das Gericht gesteht der Stadt zu, „wertneutral“ über die Übergabe der Petition zu berichten – solange kein Link zu der Website führt, auf der die Petition nach wie vor unterstützt werden kann.

Ausdrücklich zugestanden wird dem Bürgermeister, dass er sich „sehr beeindruckt“ von der Petition zeige. Das sei, so das Gericht mit Beleg aus dem Online-Duden, kein negatives Werturteil: „’Beeindruckt’ steht vielmehr lediglich synonym für ‘von einem starken Eindruck betroffen’.“

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So reagieren Kläger und Beklagter

Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis nimmt den Hinweis des Gerichts auf, der sich auf die Kompetenzen und Zuständigkeiten bezieht: „Ich gehe davon aus, dass auch die demokratisch gesinnten Parteien in unserer Stadt, im Kreis, in unserem Land Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland sowie alle anderen für Toleranz engagierten Gruppierungen einen solchen Beschluss nicht widerspruchslos hinnehmen werden.“

Der „3. Weg“ begrüßt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf seiner Website: „Auch künftig werden unsere Aktivisten dem Bürgermeister und seiner Clique genauestens auf die Finger schauen.“ Eingebettet in das Statement ist die Ankündigung eines „nationalrevolutionären Weihnachtsmarkts“ auf dem Grundstück Dammstraße 5 – am Samstag, 10. Dezember, zeitgleich zum Hilchenbacher Weihnachtsmarkt, dem damit ein ähnliches von massivem Polizeiaufgebot begleitetes Ambiente droht wie dem Bürgerfest gegen Rechts im September.

So engagiert sich ein Hilchenbacher

Einer, der den Verweis auf den Instanzenweg für ein Parteienverbot ernst nimmt, ist der Hilchenbacher Dr. Peter Neuhaus. Am Jahrestag der Zerstörung der Siegener Synagoge hat der frühere Grünen-Politiker sich an NRW-Innenminister Herbert Reul und an NRW-Justizminister Benjamin Limbach gewandt. Hilchenbach sei „zu einem Hotspot des Rechtsextremismus geworden“, die Stadtgesellschaft könne täglich „anschaulich studieren, dass die Partei zwar rein quantitativ ‘kleinst’ ist, aber überaus effektiv darin, ihr demokratiefeindliches Gift in die Poren unserer Stadt einzubringen.“

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Dem Brief fügt Dr. Peter Neuhaus die Dokumentation seiner Bemühungen bei, die am 21. September 2021 mit einem Schreiben an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einsetzen: Er möge sich für ein Verbot dieser Partei einsetzen. „Ich wurde darüber belehrt, dass der Bundespräsident von Amts wegen zur Neutralität verpflichtet sei und auf Meinungsbildungsprozesse innerhalb der Verfassungsorgane keinen Einfluss habe“, berichtet Dr. Neuhaus über die zwei Monate danach eintreffende Antwort. Nächste Adressatin wird Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Deren Büro verweist auf die einzelnen Fraktionen des Bundestags – und die „Wachsamkeit der Gesellschaft“: „Was die Bewertung einzelner Parteien betrifft, ist Frau Bas daher von Amts wegen zur Zurückhaltung angehalten.“

Dr. Peter Neuhaus: „Irgendwann ist es zu spät“

Die Linke verweist auf den 2017 gescheiterten Versuch, die NPD verbieten zu lassen – mit dem Instrument des Parteienverbotes müsse man vorsichtig sein. Die CDU schaut auf das Innenministerium: Dort könnten die Chancen eines Verbotsantrags eingeschätzt werden. „Wir müssen und werden Rechtsextremismus ganzheitlich bekämpfen - mit Prävention und harter Hand“, antwortet die SPD und erwähnt ebenfalls die „sehr strengen Voraussetzungen“ für ein Parteienverbot. FDP und Grüne antworten gar nicht.

Nach der Niederlassung des 3. Wegs in Hilchenbach im Frühjahr 2022 wendet sich Dr. Peter Neuhaus an die Bundesinnenministerin. „Was die Situation in Hilchenbach betreffe, so wurde ich auf die Polizeihoheit der Länder verwiesen.“ Nach dem Demonstrationswochenende 2. und 3. September schreibt er erneut. Die Abgeordneten Jens Kamieth, Anke Fuchs-Dreisbach und Volkmar Klein (alle CDU) sowie das Bundestagspräsidium antworten, Bundespräsident, SPD, FDP und Grüne reagieren nicht.

„Der Staat verhält sich als Biedermann“, folgert Dr. Peter Neuhaus, „er findet starke Worte von harter Hand und klarer Kante. Er kennt die Instrumente, mit denen er den Brandstiftern das Handwerk legen könnte. Doch er nutzt sie nicht.“ Das Fazit: „So zündeln die Nazis also weiter, und irgendwann ist es zu spät.“

Kommentar: Hilchenbach und der 3. Weg: Kein Fall für die Gerichte

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