Siegen-Wittgenstein. Die Schüler wollen von der Politik viel stärker gehört werden. Schülersprecher Hoffmann sorgt sich: „Wir sehen jetzt die Folgen der Pandemie.“

Die Schere zwischen Schülerinnen und Schüler mit sehr guten auf der einen und weniger guten Zensuren auf der anderen Seite geht nach mehr als zwei Jahren Pandemie weiter auseinander. „Wir sehen, dass der mittlere Notenbereich – die Dreier – wegbricht“, sagt Bezirksschülersprecher Jost Hoffmann. Betroffen seien besonders Kinder und Jugendliche mit schwierigerem sozio-kulturellen Hintergrund – also ausgerechnet diejenigen, die ohnehin schon schlechtere Voraussetzungen haben, um im deutschen Schulsystem erfolgreich zu sein.

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„Die akute Corona-Phase ist abgeflaut. Das Thema ,Masken’ zum Beispiel beschäftigt uns kaum noch“, sagt der 17-Jährige. „Aber wir sehen jetzt die Folgen der Pandemie.“ Die Bezirksschülervertretung befasste sich – unter anderem – mit dieser Problematik bei ihrer jüngsten Bezirksdelegiertenkonferenz in Stift Keppel. Die bundesweit immer wieder berichteten Entwicklungen zeigten sich auch in Siegen-Wittgenstein, wie Jost Hoffmann erklärt: eine gestiegene Zahl psychischer Erkrankungen, fachliche und soziale Defizite als Folgen des Homeschoolings.

In Stift Keppel für eine neue Amtszeit gewählt: Bezirksschülersprecher Jost Hoffmann (Mitte) und Team.
In Stift Keppel für eine neue Amtszeit gewählt: Bezirksschülersprecher Jost Hoffmann (Mitte) und Team. © Bezirksschülervertretung

Siegen: Große Unterschiede in Sachen Digitalisierung zwischen einzelnen Schulen

Dabei hänge es oft vom Elternhaus und dessen Ressourcen ab, wie gut oder schlecht Schülerinnen und Schüler zurechtkommen: Familien mit höheren Einkommen können aus der eigenen Tasche bessere technische Ausstattung zur Verfügung stellen, Eltern mit höherem Bildungsgrad ihre Kinder in fachlichen Fragen besser unterstützen. Zu beachten sei dabei, dass die Probleme leicht zu übersehen seien, wenn nur der Durchschnitt betrachtet wird, wie Jost Hoffmann erläutert: Wenn es viele sehr gute und viele schlechte Noten gebe, verändere der sich nämlich kaum.

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Die Entwicklung ist eng verknüpft mit der Digitalisierung, einem weiteren großen Thema der Bezirksdelegiertenkonferenz. Die Schülervertreterinnen und -vertreter weisen schon länger darauf hin, dass es in diesem Bereich teils erhebliche Unterschiede zwischen Schulen gebe: Manche seien bereits auf einem sehr hohen Stand, an anderen tue sich noch immer nur wenig. Und auch Kollegien seien höchst unterschiedlich aufgestellt: Während manche Lehrkräfte digitale Medien und Kanäle standardmäßig und höchst versiert für ihren Unterricht nutzen, würden andere noch mit Overheadprojektor und Kreidetafel hantieren, schildert Jost Hoffmann die Situation. „Das ist aber nicht vorwurfsvoll gemeint“, betont er. Lehrkräfte müssten im Umgang mit den neuen Medien geschult werden, „und auch einige Schülerinnen und Schüler brauchen Hilfe“. Es sei nicht realistisch, einfach davon auszugehen, dass jeder Mensch – selbst wenn es junge Leute seien – die Technik von sich aus beherrsche oder sich den Umgang damit im Alleingang aneignen könne.

Bei ihrer Bezirksdelegiertenkonferenz in Stift Keppel beschäftigt sich die Bezirksschülervertretung Siegen-Wittgenstein unter anderem mit den Folgen der Pandemie und der Digitalisierung an den Schulen.
Bei ihrer Bezirksdelegiertenkonferenz in Stift Keppel beschäftigt sich die Bezirksschülervertretung Siegen-Wittgenstein unter anderem mit den Folgen der Pandemie und der Digitalisierung an den Schulen. © Bezirksschülervertretung

Siegen: Komplizierter Zugang zu Fördermitteln macht Schulen Digitalisierung schwerer

Als großes Hemmnis für die Digitalisierung an den Schulen hat die Bezirksschülervertretung unterm Strich den Mangel an flächendeckend stabilen Rahmenbedingungen ausgemacht: „Ohne können wir es nicht hinkriegen“, sagt Jost Hoffmann. Über die Frage der Endgeräte gehe das weit hinaus – „damit, dass ich jemandem einen Laptop gebe, ist es ja nicht getan“. Erforderlich seien auch technische Infrastruktur und Förderung im Umgang mit der Technik, und das unabhängig vom finanziellen Hintergrund im Elternhaus.

Vorstand gewählt

Bei der Bezirksdelegiertenkonferenz der Bezirksschülervertretung stand auch die Wahl des Vorstandsauf dem Plan.

Bezirksschülersprecher: Jost Hoffmann; Stellvertretender Bezirksschülersprecher: Moritz Keller; Finanzreferent: Dominic Klein (alle Gymnasium Stift Keppel).

Landesdelegierte: Jost Hoffmann und Franziska Kollmann (Gymnasium am Löhrtor).

Weitere Beisitzer: Joshua Stoffers (Gymnasium Netphen), Lena Kruber und Merle Niederprüm (beide Evangelisches Gymnasium Weidenau), Lia Heide (Gymnasium Wilnsdorf), Gülbahar Sakin (Ernst-Moritz-Arndt-Realschule) und Max Rath (Gymnasium Stift Keppel).

Bezirksverbindungslehrerin: Lara-Kristin Lempert (Gymnasium Stift Keppel).

Und auch die Schulen selbst hätten bei dem Thema mit Hürden zu kämpfen, etwa angesichts eines enormen bürokratischen Aufwands, wenn es um Antragsverfahren und den Zugang zu Fördermitteln geht. Diese Problematik betrifft übrigens nicht nur Schulen, sondern quasi jeden Akteur und jede Akteurin, die damit zu tun haben: Auch Kommunen heben immer wieder hervor, dass die Beantragung von Fördermitteln derart kompliziert ist, dass sie sich in vielen Fällen im laufenden Verwaltungsgeschäft kaum bewältigen lasse, ohne andere Aufgaben dafür zu verschieben oder zusätzliches Personal einstellen zu müssen.

Siegen-Wittgenstein: Bezirksschülervertretung möchte in Schulpolitik gehört werden

Um die Forderungen und Praxiserkenntnisse der Bezirksschülervertretung konstruktiv platzieren zu können, „müssen wir immer wieder darauf aufmerksam machen, die Politik direkt ansprechen und an politischen Prozessen teilhaben“, sagt Jost Hoffmann. Die Bezirksschülervertretung stehe bereits mit vielen Gesprächspartnerinnen und -partnern in Kontakt, es brauche aber „permanente Strukturen zur Stärkung der Kinder- und Jugendlichenpartizipation“, beispielsweise durch Plätze in politischen Gremien. Diese Strukturen aufzubauen brauche natürlich Zeit – dies müsse aber das dauerhafte Ziel und so konzipiert sein, „dass es personenunabhängig funktioniert“. Jost Hoffmann und der derzeitige Vorstand der Bezirksschülervertretung werden schließlich nicht ewig ihre Posten bekleiden: Der 17-Jährige gehört noch zu den G8-Jahrgängen und wechselt nach den Sommerferien am Gymnasium Stift Keppel bereits in die Jahrgangsstufe 12.

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