Siegen. Die Empörung in der Politik wächst, der Druck auf Investoren steigt: Kommen jetzt Auflagen für Bauunternehmen, die Wohnungen errichten wollen?
- Siegen und das Siegerland sind beim geförderten Wohnungsbau Schlusslicht in NRW
- Es werden nicht nur kaum neue Wohnungen gebaut, alte verschwinden auch aus der Bindung
- In Rat und Verwaltung zeichnen sich Konsequenzen aus dem jahrelangen Stillstand ab
Der politische Druck auf Wohnungsgenossenschaft und Bauunternehmen steigt: Mit wachsender Empörung hat der Siegener Rat den Bericht zum öffentlich geförderten Wohnungsbau in der Stadt zur Kenntnis genommen. Immer deutlicher wird nun gefordert, endlich Konsequenzen aus dem jahrelangen Stillstand zu ziehen.
1 Gebäude 2021: Siegen/Siegerland absolutes Schlusslicht beim sozialen Wohnungsbau
Ein Gebäude mit 12 Wohneinheiten, gefördert mit 560.000 Euro. Das ist die magere Bilanz des Kalenderjahres 2021 in Sachen sozialer Wohnungsbau. „Dramatisch“ nennt das die Grüne Lisa Bleckmann – denn das bedeute keineswegs 12 Wohnungen mehr. Vielmehr fallen gleichzeitig Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, unter dem Strich stehen Bedürftigen damit weniger zur Verfügung. Und das werde sich zuspitzen, so Bleckmann: 350 weitere Wohnungen werden in den nächsten beiden Jahren aus der Bindung fallen – jeweils. „Das Ziel muss doch sein, dass es zumindest keinen Rückgang gibt. Von einer Erhöhung wagen wir gar nicht zu träumen.“
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Man müsse unbedingt mit den Wohnungsmarkt-Akteuren ins Gespräch kommen um zu klären, was sie von der Stadt benötigen, um die durchaus reichlich vorhandenen Fördermittel zu nutzen, die landesweit auch durchaus reichlich fließt. Nur eben in Siegen und dem Siegerland nicht. „Wenn das so weitergeht, ist Siegen nur noch attraktiv für Leute, die sich eine Wohnung auf dem freien Markt leisten können“, so Silke Schneider (Linke)
Siegener Politik fordert: Jetzt muss beim Sozialen Wohnungsbau dringend was passieren
Mittelfristig soll die stadteigene Kommunale Entwicklungsgesellschaft (KEG) in die Lage versetzt werden, verstärkt als Akteur auf dem Wohnungsmarkt auftreten zu können. Was eben eine Weile dauern wird. Umsetzung und Tempo blieben weit hinter Erwartungen und Zielen zurück, „wir müssen endlich die Weichen stellen, es muss endlich was passieren“, forderte Bleckmann. Ein ganzheitliches Konzept sei nicht erkennbar, pflichtete ihre Fraktionskollegin Svenja König bei, die der Bericht in „höchste Alarmbereitschaft“ versetze. Vor der Kommunalwahl seien 1000 zusätzliche Wohnungen versprochen worden, erinnerte Günther Langer (UWG), dabei „ändert sich seit Jahren de facto nichts an der Situation. Wir diskutieren nur immer darüber.“ Die Stadt möge doch etwa verstärkt ihr Vorkaufsrecht bei Eigentümerwechseln nutzen. „Wir müssen Geld in die Hand nehmen, wenn wir bezahlbaren Wohnraum erhalten wollen.“ Silke Schneider forderte, sich darüber Gedanken zu machen, auch bestehende Wohnungen zurück in die Bindung zu holen.
Wohnraum ist offensichtlich da – nur nicht genutzt
Sozialdezernent Andree Schmidt ist mit dem Wohnungsmarkt in Siegen aus einer ganz anderen Blickrichtung befasst: In seine Zuständigkeit fällt die Unterbringung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.
Demnach sei es „unglaublich“, was in der Region an Wohnraum doch noch zur Verfügung stehe – nicht nur im privaten Bereich. Die Spanne reiche von der Einliegerwohnung bis zu Wohnungsbaugesellschaften, die Flächen in größerem Maßstab zur Verfügung stellen würden.
Insbesondere was den Ankauf und die Verlängerung von Preisbindungen bei Wohnungen angehe, habe man sich im Sozialausschuss verständigt, die Möglichkeiten aufzuarbeiten und der Politik voraussichtlich im Herbst zum Beschluss vorzulegen.
Es sei ein Irrglaube, dass eine Kommune bei jedem Verkauf ein Vorkaufsrecht habe – das Gegenteil sein der Fall, entgegnete Bürgermeister Steffen Mues. Aber in der Tat versuche die Stadt seit Jahren, den Wohnungsmarkt-Akteuren die Förderung schmackhaft zu machen; habe das Forum Wohnen ins Leben gerufen, alle beteiligt. „Alle wissen, worum es geht – alle sagen, es rechnet sich nicht.“ Warum das im ganzen Siegerland so ist und im ganzen Rest von NRW nicht habe ihm noch keiner schlüssig erklären können. „Ich teile Ihre Position!“, bekräftigte der Verwaltungschef.
Seit vielen Jahren stelle man fest, dass der freie Markt das Problem in Siegen nicht lösen werde, erneuerte Grünen-Fraktionschef Michael Groß die Forderung, Investoren auf für sie attraktiven Flächen zum Sozialwohnungsbau zu zwingen: „Jeder will viel Geld verdienen, aber keiner will nicht ganz so viel Geld mehr verdienen.“ In der Folge dürfe es städtischerseits keine Zusage mehr für Bauvorhaben geben ohne die Auflage, gleichzeitig Sozialwohnungen mit zu bauen. „Das machen andere Kommunen ja auch so.“ Siegen habe viel probiert, „das Ergebnis ist Null bis verheerend. Die Konsequenz kann aber nicht sein, dass wir uns wieder hinsetzen und mit den Schultern zucken.“ Wenn es um lukrative Projekte gehe, werde die Politik von den Baugesellschaften angesprochen, sprang Günther Langer bei, „dann sind wir gut genug.“
Beim Wohnungsbau passiert ja etwas in Siegen – nur nicht genug
Bis 2030 fallen etwa zwei Drittel der geförderten Wohnungen aus der Preisbindung, rechnete Ingmar Schiltz (SPD) vor und nannte das ebenfalls „dramatisch“. Die Politik müsse reagieren – habe aber auch reagiert. Die Grundsatzbeschlüsse zu Wellers-, Schieß- und Bürbacher Giersberg lieferten mit der Verwirklichung der Wohngebiete besagte 1000 Wohnungen – und Quoten für Sozialwohnungen gleich mit. Wenn die Baugebiete umgesetzt werden, mögen doch bitte die Fraktionen auch die Hände heben, die nun mehr Wohnungen fordern, sagte Schiltz – genau die hätten nämlich bisher dagegen gestimmt. Die Stadt gebe überdies Grundstücke nach Bodenrichtwert ab und verzichte auf den Verkehrswert.
Stadtbaurat Henrik Schumann mahnte, die „Schattierungen dazwischen“ nicht zu vergessen: Auch der normale Wohnungsbau entspanne den Wohnungsmarkt und damit die Situation für Bedürftige. Bauen werde aber immer teurer, die andauernden Krisen täten ihr übriges. Man beobachte verstärkt, dass Investoren die Grundstücke „bis zum letzten ausquetschen“, was sich auch an steigender Geschosszahl zeige.
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Steffen Mues appellierte, die Lage nicht schwärzer malen, als sie ist: „Nach wie vor haben wir ein verhältnismäßig niedriges Mietniveau. Siegen ist eine der günstigsten Großstädte überhaupt – in manch anderen Universitätsstädten ist das ganz anders“, das berichteten zahlreiche Studierende. Was nicht bedeute, dass alles super sei – „aber dass wir hier nur Luxusmieten haben, stimmt auch nicht.“