Siegen. In Siegen gibt es relativ wenige Sozialwohnungen – und ihre Zahl sinkt weiter. Die Politik möchte dagegen nun vorgehen. Die Frage ist nur: Wie?

In Siegen werden zu wenig Sozialwohnungen gebaut und irgendwie müssten es mehr werden. Diese recht vage Formulierung spiegelt das Ergebnis einer rund einstündigen Diskussion im Ausschuss für Soziales, Familien und Senioren wider. Sie liegt dabei nicht in mangelndem Interesse der Teilnehmenden begründet, sondern in der Natur des Problems: Die Stadt selbst baut keine Sozialwohnungen – und wenn es sonst auch niemand macht, wo sollen sie dann herkommen? Eine Arbeitsgruppe will sich damit nun fraktionsübergreifend auseinandersetzen.

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Eigentlich hätte der Ausschuss den jährlichen „Bericht zum öffentlich geförderten Wohnungsbau in der Stadt Siegen“ lediglich zur Kenntnis nehmen sollen. „Kenntnisnahme. Und dann? Dann passiert gar nichts – und das ist mir zu wenig“, kritisierte Günter Langer (UWG), als Vorsitzender des Heimatvereins Achenbach mit dem Thema oft unmittelbar konfrontiert. Die Politik müsse auf wirkliche Lösungen hinwirken, „da muss man doch mal alle Energie drauf lenken“.

Siegen: Nur fünf neue öffentlich geförderte Wohnungen in einem Jahr

2723 öffentlich geförderte Wohnungen gibt es in Siegen (Stand 31. Dezember 2020). Lediglich fünf davon entstanden im Jahr 2020. Bedingung für die öffentliche Förderung: Als Mieter kommen nur Menschen mit Wohnberechtigungsschein infrage, diesen wiederum gibt es nur für Personen mit geringem Einkommen. In den kommenden Jahren werden hunderte dieser Wohnungen aus der so genannten Zweckbindung fallen. Nach Ablauf einer Frist – 15, 25 oder 30 Jahre nach Fertigstellung des Objekts – können die Besitzerinnen und Besitzer frei entscheiden, an wen sie vermieten möchten. Vor allem sind sie dann nicht mehr an die Vorgabe von maximal 5,90 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche gebunden.

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„Wir werden nicht so viele Wohnungen nachbauen können, wie aus der Bindung entfallen“, sagte Thomas Daschke, stellvertretender Leiter der Abteilung Stadtentwicklung, Stadtplanung und Liegenschaften. „Wir“ bezog sich in diesem Fall nicht auf die Stadt – die selbst bisher kaum als Akteur an diesem Markt partizipiert – sondern auf die allgemeine Situation. „Es gibt in Siegen keine selbstverständliche Baukultur des öffentlichen Wohnraums. In anderen Regionen ist das anders“, erläuterte Thomas Daschke.

Siegen: Fördermittel für Sozialwohnungen bleiben oft liegen – aus Mangel an Interesse

Das deckt sich mit Zahlen, die Ina Wuntke, Sachgebietsleiterin beim Bauamt des Kreises Siegen-Wittgenstein und unter anderem zuständig für Wohnungsförderung, in einer Präsentation darlegte. Das Land Nordrhein-Westfalen stellt Fördermittel zur Verfügung, die über die NRW-Bank vergeben werden. 2021 seien von einem 8,4 Millionen-Euro-Budget letztlich 4,4 Millionen im gesamten Kreisgebiet abgerufen worden.

Die Stadtteile einbeziehen

Auch wenn Wohnungen aus der Zweckbindung fallen, „werden nicht alle davon luxussaniert“, sagte Thomas Daschke aus der Stadtentwicklung. Dies biete sich aufgrund der Lage der Objekte in vielen Fällen gar nicht an. Von daher sei zumindest keine größere Tendenz zur Gentrifizierung zu befürchten.

Sören Schuppert (Volt) unterstrich, dass bei der Frage nach bezahlbarem Wohnraum auch der ÖPNV zu bedenken sei. „Was will ich als Student in Meiswinkel?“, brachte er ein Beispiel. Gerade die ländlicheren und abgelegeneren Stadtteile würden auch für einkommensschwächere Menschen nur attraktiv, wenn sie gut ans Bus-Netz angeschlossen seien: „Wir konzentrieren uns zu sehr auf die Innenstadt.“

„Warum ist es in anderen Kommunen attraktiver als bei uns?“ fragte Horst Löwenberg, Geschäftsführer des Paritätischen Siegen-Wittgenstein/Olpe. Eine Antwort nannte er selbst: „Ich kriege immer wieder von Baugesellschaften gesagt: Das rechnet sich nicht und das ist zu kompliziert.“ Die Auflagen, die an die geförderten Bauprojekte – schließlich soll explizit Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen entstehen – geknüpft sind, würden in der lokalen Wirtschaft auf wenig Zuneigung stoßen. „Der Wohnungsmarkt gibt so viel Geld her. Da habe ich doch als Investor keinen Bock, mir Belegungen vorschreiben zu lassen“, wurde Horst Löwenberg deutlich. Dies gelte für viele Unternehmen offenbar umso mehr, als dass das Sozialamt Mieter zuweisen könne. Auch solche, „die vielleicht etwas mehr Arbeit machen“.

Siegen: Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen wird bis 2030 deutlich sinken

Ina Wuntke von der Kreisverwaltung wies darauf hin, dass entgegen gängigen Vorurteile keineswegs nur Arbeitslose Anspruch auf Wohnberechtigungsscheine hätten. Tatsächlich würden in Nordrhein-Westfalen 47 Prozent der Haushalte die Anforderungen erfüllen. 40 Prozent davon seien Erwerbstätige, 20 Prozent Rentner. Auch auf einen Einwand von Martin Helm (CDU) antwortete sie. Dieser hatte gefragt, wie ein Investor angesichts einer Miete von 5,90 Euro pro Quadratmeter realistisch betrachtet motiviert sein sollte, „Wohnraum zu schaffen, der modernen Standards entspricht“. Die Expertin hielt dagegen, dass es für die sehr günstigen Darlehen der NRW-Bank auch Tilgungsnachlässe gäbe, die zu berücksichtigen seien. Unterm Strich könnte ein Objekt so im Endeffekt mit Vergleichsmieten von bis zu 9 Euro konkurrieren.

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„Es entstehen da zu wenig neue Wohnungen, da sind wir uns alle einig“, sagte Sozialdezernent Andree Schmidt. Bis 2030 sei zudem von „erheblichen Reduzierungen“ auszugehen – im Ausschuss fiel mehrfach die Zahl 1000. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass es „auch günstigen Wohnraum gibt, der hier nicht vorkommt“. Dazu würden etwa die ehemaligen belgischen Garnisonswohnungen zählen, die sich inzwischen im Besitz der Kommunalen Entwicklungsgesellschaft (KEG) Siegen befinden. Diese ist eine Tochter der Stadt. Für deren Handeln gebe die Politik die Richtung vor. „Sie als Politik müssen da immer sehr deutlich machen, was sie wollen.“

Siegener Politik möchte Bauunternehmen für Sozialwohnungen in die Pflicht nehmen

Günther Langer regte einen Appell an die Wohnungsbauunternehmen an, dann einen Dialog. „Ich habe das Problem seit 23 Jahren immer wieder vor der Nase. Ich möchte jetzt einfach mal mit denen diskutieren.“ Bei Projekten mit guten Profitaussichten setze die Branche immerhin auf das Entgegenkommen der Politik. „Die sollen doch mal von uns hören, dass wir nicht zufrieden sind.“ Lisa Bleckmann (Grüne) unterstützte das: „Vielleicht können wir ein paar Antworten bekommen, woran es scheitert.“ Martin Helm (CDU) schlug vor, „das wir uns erstmal zusammensetzen und überlegen, wie wir das aufziehen“, anstatt in der laufenden Sitzung einen Antrag zu formulieren. Ein solcher könnte auf Grundlage der Gespräche dann zur nächsten Sitzung des Sozialausschusses vorliegen.

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