Siegen/Bad Berleburg. Abschiebung vorerst ausgesetzt – aber wenig Hoffnung: NRW-Petitionsausschuss befasst sich zum dritten Mal mit Familie aus Siegen-Wittgenstein.
Sevine Muradi ist wieder auf freiem Fuß – vorerst. Der Petitionsausschuss des NRW-Landtags befasst sich am Donnerstag zum dritten Mal mit dem Fall der Familie aus Aue-Wingeshausen, bis dahin wird die Abschiebungsmaßnahme ausgesetzt. Die Muradi sollen den Termin in Düsseldorf wahrnehmen dürfen, die Kreisausländerbehörde will das Ergebnis der erneuten Prüfung abwarten.
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Wie berichtet war Sevine Muradi am Freitag, 11. Februar, bei einem Termin im Kreishaus in Gewahrsam genommen und in die Abschiebeanstalt Ingelheim gebracht worden. Das hatte für große Empörung gesorgt. Der NRW-Petitionsausschuss hat sich bereits zwei Mal mit dem Fall befasst – das Ergebnis der bislang letzten Prüfung ging vergangene Woche beim Kreis ein: Wie beim ersten Mal wurden die Muradis dringend zur freiwilligen Ausreise nach Aserbaidschan aufgefordert. Man sehe keine Perspektive für eine Legalisierung ihres Aufenthalts.
Kreisausländerbehörde Siegen-Wittgenstein sieht keine Spielräume für Familie Muradi
Die Chancen für eine dauerhafte Bleibeperspektive stehen indes aus Sicht von Landrat Andreas Müller auch beim dritten Mal nicht gut. Wiederholt und zahlreich sei ihm und der Kreisausländerbehörde in den vergangenen Tagen vorgeworfen worden, Spielräume nicht genutzt zu haben – man habe keine gefunden, sagte Müller am Montag. Er bekräftigte erneut, das Schicksal der Muradis menschlich und persönlich zu bedauern, er als Landrat aber über keine Handhabe verfüge darüber zu entscheiden, wer bleiben kann und wer nicht. „Wir versperren uns keineswegs weiteren Ideen“, betonte Müller.
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Der Landrat bemühte sich um Sachlichkeit in der inzwischen emotional geführten Debatte: 2017 beantragte Elvin Muradi demnach drei Mal aus Aserbaidschan ein Arbeitsvisum, um für die Firma seines Vaters Autos aus Deutschland zu überführen. Das wurde drei Mal abgelehnt. Er reiste mit einem entsprechenden Arbeitsvisum über Ungarn nach Polen ein und von dort im Oktober 2017 mit gefälschten rumänischen Papieren nach Deutschland. Im August 2018 holte er seine Frau und die seinerzeit zwei Kinder nach, die Familie hielt sich bis April 2019 illegal hier auf.
Familie Muradi teilt Kreis Siegen-Wittgenstein mit: Werden nicht freiwillig ausreisen
Am 16. April 2019 beantragten die Muradis offiziell Asyl, was bereits eine Woche später, am 23. April, vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde. Vier Tage später wurde der Klageweg beschritten, am 7. Mai lehnte das Verwaltungsgericht Minden auch diesen Antrag ab. Damit war die Familie ausreisepflichtig. Am 19. Juni teilte Elvin Muradi den Behörden mit, dass man das nicht freiwillig tun werde. Im September wurde das dritte Kind in Soest geboren, im November wurde die Familie Bad Berleburg zugewiesen und zog nach Aue-Wingeshausen. Der Staat, so Andreas Müllers Einschätzung, habe hier wohl einen Fehler begangen und die Muradis im Glauben gelassen, es werde sich schon alles irgendwie regeln. Auch der Asylantrag für die jüngste Tochter wurde abgelehnt wurde. Dem nun zuständigen Kreis Siegen-Wittgenstein teilte die Familie ebenfalls mit, dass sie nicht freiwillig ausreisen werde.
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Im Lauf des Jahres 2020 wurde ein Antrag auf Ausbildungsduldung abgelehnt, da Pässe fehlten, dagegen wurde vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg geklagt, Ende des Jahres prüfte der NRW-Petitionsausschuss erstmals den Fall und empfahl den Muradis dringend die Ausreise. Die Frist verstrich am 10. Februar 2022, parallel fand die zweite Anhörung vor dem Ausschuss statt, das Ergebnis traf Montag in Siegen ein – unverändert.
Kreishaus Siegen: „Frau Muradi nie festgehalten oder in Handschellen gelegt“
Am Freitag hatte Elvin Muradi einen Termin bei der Kreisausländerbehörde wegen einer Aufenthaltsduldung. Zu der erschien er nicht, stattdessen seine Frau mit dem ehrenamtlichen Betreuer Helmut Kessler. Deshalb, weil die Frist zur freiwilligen Ausreise abgelaufen war und weil die Familie offensichtlich von der bevorstehenden Abschiebemaßnahme wusste, so Müller, habe die Behörde die Ingewahrsamnahme beantragt, der stattgegeben wurde.
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„Zu keinem Zeitpunkt wurde sie festgehalten oder in Handschellen gelegt“, betont der zuständige Kreisdezernent Thiemo Rosenthal, das Gespräch sei ruhig und sachlich verlaufen, Frau Muradi sei bis zu ihrem Termin beim Richter verpflegt, untersucht und in einem leerstehenden Kreishaus-Büro untergebracht worden. Man habe ihr zugesichert, dass ihr Mann der Kinder wegen nicht in Gewahrsam genommen werden würde, sagt der Landrat. Die Abschiebemaßnahme – die Flüge waren für den frühen Dienstagnachmittag gebucht – habe für die ganze Familie gegolten, es sei zu keinem Zeitpunkt vorgesehen gewesen, die Muradis lämnger zu trennen. Vater und Kinder hätten am Dienstagmorgen abgeholt werden sollen.
Kreisausländerbehörde Siegen-Wittgenstein will keine Rechtsbeugung im Fall Muradi
Joachim Stamp (FDP), stellvertretender NRW-Ministerpräsident, der zwischenzeitlich angekündigt hatte, den Fall im Ministerium prüfen lassen zu wollen, sei mit dem Prozedere der dritten Petitionsausschuss-Prüfung einverstanden, berichtete Andreas Müller am Montag – man nehme sich die Zeit, warte die erneute Prüfung des Falls ab, sehe, was dabei herauskommt. „Vom Moment an, als die Familie uns zugewiesen wurde, bestand Ausreisepflicht“, betonte der Landrat, deren Rechtskraft alle Zwischenschritte nie verändert hätten.
Alle an einen Tisch
„Es braucht mehr Dialog“, glaubt der Landrat, es werde weitere solche Fälle geben. Kurzfristig will er daher mit allen relevanten regionalen Akteuren klären, welche gemeinsamen Forderungen an Gesetzgeber und Behörde es gebe und wie Zusammenarbeit künftig gestaltet werden soll; was man besser machen, wie man Spielräume früh erkennen und nutzen könne. Im Fall Muradi habe es wohl oft eher ein Gegeneinander gegeben.
Irgendwann würden die automatisierten Abläufe greifen, es hätten keine Möglichkeiten und Fragen mehr im Raum gestanden, die eine Rechtsbeugung durch die Behörde hätten verhindern können. Man habe gesucht und geprüft, bekräftigte Müller, „da ist kein Weg mehr zu gehen, aber ich versperre mich doch nicht weiteren Ideen!“ Er wies außerdem den Vorwurf mangelnder Dialogbereitschaft zurück; seit November 2020 habe er viele Gespräche über den Fall Muradi geführt, Anfragen beantwortet, stets die Sachlage so umfangreich wie möglich dargestellt.
Siegen-Wittgensteiner Landrat: Pläne der Ampel-Regierung helfen Muradis nicht
Grundsätzlich müssten sich Gesellschaft und Gesetzgebung darüber verständigen, wie sie mit Ausländern umgehen will, so Müller. Das habe der Gesetzgeber seit Jahrzehnten versäumt. Die Ampel-Koalition hat nun verschiedene Liberalisierungen angekündigt, die allerdings alle nicht auf die Familie Muradi zutreffen würden. Dass Integrationsleistungen geduldeter Familien gewürdigt werden sollen, indem sie nach vier Jahren ein Bleiberecht bekommen sollen etwa: Diese Möglichkeit scheitere am Stichtag 1. Januar 2022, verwies Müller auf die Pläne der Bundesregierung: Die Muradis sind seit August 2018 in Deutschland – zu kurz.
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Egal wie sich die Trennlinie zwischen bleiben und abschieben verändere: Einzelfälle werde es immer geben, dass alle bleiben können, sei politisch unwahrscheinlich, so Müller. Es brauche den gesellschaftlichen Dialog darüber, wie man auch mit solchen Fällen umgehen wolle.