Siegen. Demo und Kundgebung vor dem Kreishaus Siegen: Das Bündnis „Recht zu bleiben“ protestiert gegen die Abschiebung von Karen Agayan und Elvin Muradi.

In ihren Herkunftsländern müssten sie schlimmstenfalls auf­einander schießen. In Deutschland aber kämpfen Karen Agayan aus Netphen und Elvin Muradi aus Aue-Wingeshausen gemeinsam gegen ihre Abschiebungen nach Armenien beziehungsweise Aserbaidschan. Das Bündnis „Recht zu bleiben“ unterstützt die beiden Familienväter am Montag mit einer Demonstration vor dem Kreishaus in Siegen. Rund 70 Menschen sind trotz eisiger Kälte dabei.

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„Ein Teil der Zivilgesellschaft will nicht schweigen zu einem Vorgang, der zwar gesetzeskonform ist – aber inhuman und nicht vernünftig“, sagt Horst Löwenberg, Geschäftsführer des Paritätischen Siegen-Wittgenstein/Olpe. Dem Bündnis gehören Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Parteien und weitere Organisationen an. Am Samstag gab es einen Infostand auf der Siegbrücke in Siegen, außerdem läuft eine Petition, für die Unterschriften gesammelt werden. Der Punkt, dass die beiden jungen Männer „hier Nachbarn, dort Feinde“ wären (siehe Infobox), wie Horst Löwenberg unterstreicht, ist nicht das einzige Argument, das die Unterstützerinnen und Unterstützer gegen die Abschiebung vorbringen. Vor allem geht es auch am Montagvormittag immer wieder um das Wohl ihrer noch kleinen Kinder: Elvin Muradi hat drei, Karen Agayan hat eins.

Siegen: Junge Familienväter sollen zum Militärdienst nach Armenien und Aserbaidschan

Beide Männer benötigen für eine Einbürgerung in Deutschland Papiere aus ihren Heimatländern – die diese allerdings nur ausstellen, wenn sie zuvor ihren Militärdienst dort ableisten. Aus Sicht der deutschen Behörden gelte dies als „zumutbar“, wie mehrere Redner am Montag berichten. Allerdings würde das eine längere Trennung von den Kindern bedeuten. Außerdem „gibt es keine Sicherheit, dass die jungen Menschen, die hier abgeschoben würden, zurückkehren“, sagt Ishan Agayan, Karens jüngerer Bruder. Er macht derzeit eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, nach deren Abschluss ihm dasselbe Schicksal drohen könnte.

Mehr als 6000 Tote

Die Lage zwischen Armenien und Aserbaidschan ist sehr angespannt. Im November 2020 wurde nach 44 Tagen kriegerischer Auseinandersetzungen im Konflikt um die Region Bergkarabach ein Waffenstillstand vereinbart. Nach offiziellen Zahlen starben bei den Kämpfen mehr als 6000 Menschen.

Im November vergangenen Jahres kam es erneut zu offenen Spannungen.

Er habe keinen anderen Weg mehr gesehen, als sich an die Öffentlichkeit zu wenden, sagt der 22-Jährige. Wo sein Bruder sich gerade aufhalte, wisse er nicht – aus Angst sei dieser abgetaucht und sehr schwer zu erreichen, bleibe deshalb auch der Veranstaltung vor dem Kreishaus fern. Vor elf Jahren kam die Familie nach Deutschland, „wir sind hier aufgewachsen, hier ist unsere Heimat. Hier ist, wo ich mich sicher fühle“, sagt Ishan Agayan. Sein Vater sei selbstständig, Karen hätte darüber einen Job sicher, wolle arbeiten, wolle sich integrieren. Doch „es gibt nur Abschiebung, keine andere Option“, beschreibt Ishan Agayan den Sachstand und fragt in die Menge, ob nicht auch eine Art Probezeit in möglich sein sollte: „Zwei Jahre hier bleiben und gucken, wie die Menschen sich machen.“

Dekanat Siegen prüft Kirchenasyl statt Abschiebung für Elvin Muradi und Karen Agayan

Elvin Muradi ist vor Ort. „Viel Stress“, schildert er seine Situation. Um zur Ruhe zu kommen, brauche er Schlafmittel. Seit fast vier Jahren ist er in Deutschland, möchte in der Pflege arbeiten. Er redet kurz, kommt auf den Punkt, ringt sichtlich mit der Fassung.

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Dechant Karl-Hans Köhle geht ans Mikrofon. „Das hätte ich auch nicht gedacht, dass ich als katholischer Pfarrer mal gemeinsam mit den Linken auf einer Veranstaltung sprechen würde“, leitet er ein. Doch das Anliegen verbindet die Beteiligten. Die Caritas setze sich über das Teilhabemanagement für Karen Agayan gegen eine Abschiebung ein, Ziel sei „eine Duldung mit Arbeitserlaubnis“. Auf diese Weise ließe sich auch umgehen, dass Karen Agayans Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen müssten. Sollte es hart auf hart kommen, arbeite das Dekanat an einer weiteren Variante. „Wir prüfen mit dem Erzbistum Paderborn die Möglichkeit eines Kirchenasyls“, sagt Karl-Hans Köhle. „Ich sehe das als Ultima Ratio.“

Soweit soll es im Idealfall nicht kommen. „Wir hoffen, dass der Landrat einen Türspalt findet, durch den man eine humane Lösung finden kann“, sagt Horst Löwenberg zum Abschluss. Danach können sich die Anwesenden in die Unterschriftenlisten eintragen.

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