Buschhütten/Siegen. Was die A 45 für Südwestfalen, ist die HTS fürs Siegerland. Ein Fall wie die Rahmede-Brücke: Sehr unwahrscheinlich. Sagt der, der es wissen muss.
Es ist nicht übertrieben festzustellen, dass Michael Zart die HTS kennt wie sonst niemand. Ziemlich genau 30 Kilometer ist sie lang, die Siegener (und Kreuztaler) Stadtautobahn zwischen Krombacher Höhe und Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz. Als B 54, B 62, Hüttentalstraße oder eben kurz HTS ist sie eine Verkehrs-Lebensader der Region; ohne sie hätte das Chaos auf den Straßen wie aktuell wegen der gesperrten Rahmede-Talbrücke in Lüdenscheid, noch ganz andere Dimensionen. Der Job von Michael Zart, Ingenieur beim Landesbetrieb Straßen NRW: Dafür sorgen, dass sie betriebsfähig bleibt. Er ist seit 1989 in der Brückenunterhaltung beim Landesbetrieb tätig; seit 2008 in der Regionalniederlassung Südwestfalen.
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Die HTS-Brücke zwischen Buschhütten und Kreuztal. Der Wind pfeift eisig durchs Bauwerk, Michael Zart stellt die Leiter an, steigt hoch zum Widerlager und löst die Kette an der Tür. Wo er schonmal da ist, schaut er sich das Innenleben gründlich an. Irgendwer hat den Riegel aufgebrochen, um die Brücke als Unterschlupf zu nutzen, Michael Zart hat ein schweres Fahrradschloss provisorisch angebracht und wird nachher wieder alles ordentlich verrammeln. An der Brücke, bei Straßen NRW intern „Bauwerk 16“ genannt, steht noch dieses Jahr eine Gesamtinstandsetzung an, im laufenden Betrieb, ohne Vollsperrung: Neuer Belag inklusive Abdichtung für die Fahrbahnen und die Entwässerung.
Eine Brücke macht es ihren Prüfern nicht leicht: Schäden auch tief innen im Beton
Talbrücken werden nicht umsonst als Ingenieurbauwerke bezeichnet. Es sind ja nicht nur Pfeiler und Hohlkästen. An den Widerlagern – den Punkten, an denen die Brücke mit der Straße verbunden ist – sind die Längsträger des Bauwerks auf Verschleißteilen gelagert. 65 Millimeter Verschub ermöglichen die theoretisch, was bei einem so großen Objekt wie einer Autobrücke eine ganze Menge ist. Sind die Verschleißteile abgenutzt, macht es Krach. Anzeichen: Hier ist eine Erneuerung nötig.
So einfach macht es eine Brücke ihren Prüfern aber meistens nicht. Wenn Stahl korrodiert, also mit Sauerstoff in Kontakt kommt und rostet, dehnt er sich aus. Der Beton platzt ab, es bilden sich Hohlräume, die Statik wird geschwächt. Das kann tief drinnen im Beton passieren, von außen völlig unsichtbar. Bis es zu spät ist. Kann.
Stechender Taubenkot macht in den HTS-Brücken den Prüfern das Leben schwer
Seit Jahrzehnten wird die DIN-Vorschrift zur Brückenprüfung fortgeschrieben, sagt Michael Zart. Und die hat es in sich. Zumindest für Laien. Jährlich ist eine Sichtprüfung fällig, laufende Beobachtung, das erledigen die Straßenmeistereien. Alle sechs Jahre steht die Hauptprüfung an, drei Jahre danach eine einfache Prüfung.
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Die Hauptprüfung, erklärt Michael Zart, ist eine „handnahe Sichtprüfung“. Heißt: Der Prüfer muss überall hin. Von oben, von unten, von den Seiten, von innen. Es braucht Untersichtgeräte und Hubsteiger, manchmal helfen nur noch Industriekletterer weiter. Jeder Quadratzentimeter der Hohlkästen muss begutachtet werden. „Sehr aufwendig“, sagt Michael Zart. Bisweilen unangenehm bis gefährlich – Tauben, ein echtes Problem in den Brücken. Die Vögel finden immer einen Weg hinein, ihr stechender Kot macht den Prüfern das Leben schwer. Mit gucken ist es nicht getan – klopfen. Hohlstellen im Beton kann man hören. Michael Zart hat sich ein ganzes Arsenal an Geologenhämmern konstruiert, um auch unzugängliche Stellen zu erreichen. Jede Auffälligkeit wird markiert und dokumentiert – sie sind die wichtigsten Anlaufpunkte der folgenden Einfachprüfung.
Die Einfachprüfung klingt dann vielleicht einfach, eine „handnahe Sichtprüfung“ ist sie aber auch. Der Unterschied: „Nur“ die zugänglichen Bauwerksteile. Und die Stellen, an denen im Rahmen der letzten Hauptprüfung Schäden registriert wurden.
Brückenprüfungen von Straßen NRW in Siegen-Wittgenstein: „Wie Auto beim TÜV“
Nach besonderen Ereignissen – Kollision, Überflutung, Orkan – ist eine Sonderprüfung notwendig. Beim Großbrand auf der Schemscheid zum Beispiel war das bei der HTS der Fall. Die Fläche unter einer Brücke, was dort gelagert ist, ist übrigens ebenfalls Teil der Prüfung. Genauso wie die „Beseitigungsverfolgung“, wenn das da nicht gelagert werden darf.
Jedes Jahr werten die Ingenieure bei Straßen NRW aus, welche Bauwerke für die Prüfung vorgesehen sind, welche wie abgearbeitet werden soll, welche Instandsetzungs- und Sanierungsarbeiten anstehen. Allein die Prüfungen von außen und innen dauern, je nach Größe des Bauwerks, mehrere Tage. Ein Team besteht immer aus einem Ingenieur und einem Techniker, die sich mit dem jüngsten Zustandsbericht das Bauwerk vornehmen, Schäden kontrollieren, ergänzen, streichen. „Wie ein Auto, das zum TÜV muss“, erklärt Michael Zart. Für manche Prüfarbeiten sind Sperrpausen nötig, weil man nur von den darunterliegenden Bahngleisen an die Brücke herankommt.
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„Wir schaffen das alleine gar nicht“, sagt Michael Zart, der inzwischen Projektleiter Bau bei Straßen NRW ist. Seine alte Stelle ist aber noch nicht nachbesetzt. Also macht er weiter, neben dem Tagesgeschäft, Management, Instandsetzung, auch noch Prüfen und organisieren, dass andere Prüfen. Vieles wird an externe Ingenieurbüros vergeben. Und ein Prüfbericht schreibt sich auch nicht mal eben.
Baulich tadellose HTS-Brücke mit Rost-Leitplanken bekäme erstmal eine schlechte Note
Prüfen ist das eine. Aber wie gefährlich sind eventuelle Schäden? Jeder Schaden wird bewertet und zwar hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Daraus errechnet sich die Zustandsnote, von 1 (sehr gut) bis 4 (ungenügend). Erstmal rein rechnerisch. Ein Schaden kann den äußeren Zustand beeinträchtigen, die Statik, „es kann aber auch sein, dass ein Problem bei der Standsicherheit gar nicht als Schaden erkennbar ist“, erklärt Michael Zart. Eine baulich tadellose Brücke (Standsicherheit) mit fehlerhaften Leitplanken (Verkehrssicherheit) zum Beispiel bekäme insgesamt keine gute Note. Das muss abgewogen werden, wenn die Ingenieure belastbare Aussagen darüber treffen, wie solide eine Brücke ist.
Dafür gibt es die sogenannte Substanzkennzahl, die zweite Note, bei der die Verkehrssicherheit herausgerechnet ist. Seit 2010 wurde eine Nachrechnungsrichtlinie erlassen, eine neue, strengere Norm. Nach der Brücken wie die Eintracht-Rampe in Siegen nicht mehr dauerhaft stabil genug waren. Die Brückenprüfer haben nun einen weiteren Wert für den inneren Zustand des Bauwerks.
Dritte Note ist der Traglastindex, ein weiterer neuer Kennwert, und auch den muss man differenzieren, sagt der Ingenieur: Verkehrsstärke und -zusammensetzung, Straßenquerschnitt, verwendete Baustoffe, Stützweite... Prüfberichte, parallele Nachrechnungen, inneren Zustand im Auge behalten – irgendwann kann man eine vernünftige Aussage über den Zustand des Bauwerks machen, sagt Michael Zart.
HTS in Siegen und Kreuztal wurde später gebaut als Rahmede – gut für die Qualität
Insgesamt rund 90 Brücken-Teilbauwerke gehören zur HTS. Die längste Einzelbrücke ist die in Geisweid: 2,2 Kilometer. Jede Brücke ist ein Zwillingsbauwerk – ein „Überbau“ je Fahrtrichtung, dazu Lärmschutzwände, Stützwände, Überführungsbauwerke wie die Verkehrszeichen- und Fußgängerbrücken. Dazu kommen Tunnel, bei der HTS sind es drei, und alle diese Bauwerke müssen kontinuierlich überprüft werden. Eine Arbeit, die nie komplett erledigt ist.
Die HTS wurde zum überwiegenden Teil in den 1980er Jahren gebaut. Was sich heute als Segen erweist, denn zu dieser Zeit waren die Konstruktionen besser geworden und die DIN-Vorschriften strenger. Besserer Beton, besserer Stahl, insgesamt ausgelegt für mehr und schwerere Fahrzeuge. Früher war etwa die sogenannte Überdeckung eine andere: Zwei Zentimeter Beton über dem Stahl. Heute sind es fünf. Und auf der HTS fahren nicht ansatzweise so viele schwere Lkw wie auf der A 45.
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Eins der ersten Teilstücke der HTS war 1974 die Eintracht-Rampe im Bereich Siegerlandhalle. Sie wurde noch nach den alten Vorgaben errichtet und ihre Erneuerung gestaltet sich seit Jahren problematisch für den Landesbetrieb. Ein Lastwagen hat so viel Einfluss auf ein Brückenbauwerk wie zehntausende Autos. Damals, erklärt Michael Zart, waren etwa verschiedene Spannstahlsorten unterschiedlicher Qualität im Einsatz. Sie alle wurden untersucht, „die Qualität hat sich enorm verbessert“, erklärt er. Aber wenn der Stahl versagt, weil zu viele zu schwere Lkw drüberfahren, sagt Michael Zart, „kann man prüfen, so viel man will“.