Siegerland. In Siegen und Umland werden Dometic oder Benteler nicht die letzten sein, die Stellen abbauen wollen, so die IG Metall. Corona auch als Vorwand.

Dometic, Benteler, Fischer – „wir werden noch ein bisschen was sehen.“ Andree Jorgella, Geschäftsführer und 1. Bevollmächtigter der IG Metall Siegen, rechnet nicht damit, dass in der Siegerländer Industrie das Ende der Fahnenstange in Sachen Stellenabbau und Unternehmensinsolvenzen erreicht ist. Das hat auch, aber nicht nur mit der Corona-Pandemie zu tun.

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Viele kleine Unternehmen, die sich von der Corona-Krise wirtschaftlich nicht erholen konnten, habe die Gewerkschaft noch gar nicht auf dem Schirm. „Dem kleinen Behälterhersteller mit 40 Beschäftigten, den wir jahrelang am Leben erhalten haben“, nennt Jorgella ein Beispiel, drohe Ende Oktober die Ausproduktion.

Überörtliche Konzerne nutzen in Siegen Corona als Argumentationshilfe

Problem-Branchen“ wie Öl, Gas und immer mal wieder auch Stahl seien in vielen Fällen nach wie vor „an der Kante“, so Jorgellas Einschätzung. Diesen „vorerkrankten Patienten“ habe die Corona-Krise nicht das Rückgrat gebrochen, sie schwächelten ohnehin seit Längerem, sagt der IG-Metall-Chef. „Wer nicht auf andere Produkte umgestiegen ist, andere Märkte erschlossen hat, ist oft außen vor.“ Man habe in der Region einige alte Industrien, „die uns zu schaffen machen“.

Band der Solidarität bei Dometic in Siegen (Archiv).
Band der Solidarität bei Dometic in Siegen (Archiv). © Jürgen Schade

Andere Unternehmen würden Corona als „Argumentationshilfe“ nutzen, sich endlich von Betriebsteilen trennen zu können, so Jorgella. Diese Firmen, meist überregionale Konstrukte mit Standort unter anderem im Siegerland, hätten ihre Produktionsstätten nach Einsparpotenzialen durchforstet. Aus Sicht der Gewerkschaft liege der betriebswirtschaftliche Fehler darin, dass die Arbeitgeber ausschließlich mit Stundensätzen rechneten. „Produktionskosten, Hallenmiete, Konstruktion – das hängt alles dran“, sagt Jorgella. Wenn von Deutschland als Standort für die Hochqualitäts-Produkte die Rede sei, müssten auch die besten Produktionsanlagen hier stehen. Und nicht in Osteuropa. Tatsächlich aber gebe es die Fälle, wo handarbeits-intensive Produkte mit hoher Fachkenntnis dort gefertigt würden, statt bei niedrigeren Lohnkosten das Brot-und-Butter-Geschäft.

IG Metall Siegen prophezeit im Fall Dometic kein friedliches Ende

„Das wird nicht friedlich zu Ende gehen“, so die Prognose Andree Jorgellas zum Stellenabbau bei Dometic in Siegen – das Unternehmen bietet mit seinen Plänen zur Produktionsverlagerung nach Fernost den Kunden – den Wohnmobilherstellern – schlechtere Qualität an. Schlechtere Kühlschränke würden als Premiumprodukte etikettiert, „vollkommener Irrsinn, wenn man auf die Qualität guckt“. Denn die „hochwertigen“ Aggregate sollen laut IG Metall ja nicht nur unter schlechteren Umweltstandards in Übersee produziert, sondern auch noch mit schweren Schiffsdieseln um die Welt geschippert werden. Der künftige Dometic-Kühlschrank halte maximal halb so lange, noch oben drauf kommen Produktionsumstände, Transport und das schneller erforderliche Ersatzgerät.

„Es gibt die Guten“, betont Jorgella – die Firmen Georg oder Achenbach Buschhütten beispielsweise, deren unternehmerischen Entscheidungen immer auch geprägt seien von einer Verbundenheit zur Heimatregion.

IG Metall Siegen: „Trend mitgestalten – das wäre typisch deutsche Ingenieurskunst“

Die Industrie hat aus Sicht der IG Metall an einigen Stellen Trends verschlafen. Wasserstoff zum Beispiel: Wäre man das vor zehn Jahren angegangen, „hätte man heute ganz andere Chancen“, meint Andree Jorgella. Er sehe kaum jemanden, der so innovativ ist, dass in wirkliche Zukunftstechnologien investiert werde.

Für Fischer Profile fordert die IG Metall Siegen eine Tarifbindung.
Für Fischer Profile fordert die IG Metall Siegen eine Tarifbindung. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Industrie sei immer dann stark und gesund, wenn sie nicht dem letzten Trend hinterherlaufe, sondern Trends neu setze. „Wie weit wären wir in der Autobranche gewesen, wenn man sich früh mit der Ernsthaftigkeit von heute Elektromobilität gewidmet hätte“, sagt der Bevollmächtigte. Was die Branche zu leisten im Stande sei, sehe man ja: Nach spätem Start sei da einiges nach vorne geschoben worden. „Den Trend mitgestalten – das wäre typisch deutsche Ingenieurskunst. Man sieht ja, was da gehen kann.“

Starke vierte Corona-Welle könnte Situation in Siegen-Wittgenstein erschweren

„Mittlerweile sind wir schon froh, wenn uns jemand anruft, und über Beiträge sprechen will, ohne gleich Menschen zu entlassen“, sagt der IG-Metall-Geschäftsführer. Zwar gebe es nach wie vor eine hohe Nachfrage insbesondere nach Facharbeitskräften – „die werden auch wieder unterkommen“ – aber als Industriegewerkschaft kämpfe man um alle Arbeitsplätze. Im Siegener Bezirk profitiere man von einer recht großen Durchdringung der Betriebe, „aber einige sterben ohne uns“, sagt Jorgella. Viele Unternehmen und auch Betriebsräte meldeten sich erst, wenn es fast oder bereits zu spät sei – zumal auch längst nicht alle Betriebsräte die Situation im eigenen Unternehmen durchblicken könnten.

Protest von Benteler-Beschäftigten, Betriebsrat und IG Metall gegen die geplante Schließung des Werks in Siegen-Weidenau (Archiv).
Protest von Benteler-Beschäftigten, Betriebsrat und IG Metall gegen die geplante Schließung des Werks in Siegen-Weidenau (Archiv). © Betriebsrat

Aktuell normalisiere sich die Situation. „Wir haben eine gute Chance, perspektivisch zu gestalten“, ein Corona-Nachhol-Effekt sei durchaus erwartbar. Wenn aber eine starke vierte Pandemie-Welle kommt, könnte es endgültig sehr schwierig für eine große Zahl von Betrieben werden. „Die Situation jetzt wird auf dem Arbeitsmarkt noch ausgeglichen werden können“, sagt Jorgella. „Wenn keine großen Katastrophen kommen.“

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