Weidenau. Benteler will das Werk Siegen-Weidenau schließen. „Wenn wir schon sterben müssen, dann mit Abfindung“, sagt der Betriebsratsvorsitzende.

Der Betriebsrat des Benteler-Werks in Weidenau rechnet damit, dass der Kampf um Arbeitsplätze in einem Rechtsstreit endet. „Wir kämpfen um unser Werk, unsere Arbeitsplätze, für unsere Region, für die Menschen, die hier ihre Heimat haben“, bekräftigt stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Dirk Euteneuer. Der Betriebsrat sieht sich von der Konzerngeschäftsführung übergangen und will dem Unternehmen die Werksschließung so schwer wie möglich machen, dazu alle rechtlichen Mittel nutzen.

Die Schließung werde man vielleicht wohl nicht verhindern können. Falls es zu einem Sozialplan kommen sollte, werde man alles tun, um für die Beschäftigten wenigstens das Beste zu erstreiten. Entscheidend aus Sicht der Weidenauer ist auch, wer dazu mit Benteler verhandelt. Bis Mitte 2022 will der Automobiltechnik-Konzern das Werk mit 270 Beschäftigten schließen. Profitieren wird wohl die innerbetriebliche Konkurrenz; Werke in Tschechien und die Deutschlandzentrale in Ostwestfalen etwa, die ebenfalls nicht ausgelastet sind, wo aber teils andere Personalkosten herrschen.

Betriebsverfassungsgesetz: Betriebsrat muss über Werkschließung informiert werden

Der Betriebsrat Weidenau kritisiert, dass Benteler seiner Informationspflicht nicht nachgekommen sei: Bei der Betriebsversammlung am 1. Juli sei von der Geschäftsführung verkündet worden: „Ihr habt gute Zahlen, ihr seid gut – wir machen Euch zu“, berichtet Betriebsratsvorsitzender Edgar Barkow. „Diese Kälte und Kaltschnäuzigkeit habe ich bei einer Versammlung noch nicht erlebt“, sagt Euteneuer. In der Woche darauf habe Benteler ein Video veröffentlicht. Tenor: Alles toll.

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Nach Betriebsverfassungsgesetz muss der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend informiert werden, wenn Betriebsänderungen zum Nachteil der Belegschaft geplant sind. „Mit uns wurde definitiv kein Gespräch gesucht“, sagt Barkow. Im Gegenteil: Es werde geradezu verweigert. Man bemühe sich nach wie vor – vergeblich. „Es kann nicht sein, dass einfach ein Beschluss verkündet wird, es gibt ein Gesetz. Das wird hier mit Füßen getreten und das ärgert uns am meisten“, sagt der Betriebsratsvorsitzende.

Vorwurf: Verzicht seit 15 Jahren – Benteler redet nicht mit Betriebsrat vor Ort

Dabei hätte es Alternativen gegeben: So produziere man laut Betriebsrat aktuell für einen ausgelasteten Mitbewerber. Um die dürftige Auftragslage aufzufangen, ginge da womöglich noch mehr. Auf Betriebsratsebene würden solche Ideen durchaus positiv aufgefasst, das wolle die Geschäftsleitung aber nicht hören. Vorübergehend habe man bereits Beschäftigte an die Konzernschwester Benteler Lasertechnik am gleichen Standort entsendet, um Überkapazitäten zu verteilen. „Wir sind intern und extern sehr flexibel, wenn man mit uns redet“, betont Dirk Euteneuer.

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Dabei verzichte die Belegschaft seit bald 15 Jahren im Rahmen von Sozialprogrammen – für den Erhalt der Arbeitsplätze am Standort, so der Betriebsrat. Mögliche Managementfehler auf Kosten der Beschäftigten auszubügeln sei nicht in Ordnung, bekräftigen IG Metall, Landrat Andreas Müller (SPD) und Bundestagsabgeordneter Volkmar Klein (CDU) in einer Erklärung.

Weidenauer Betriebsrat vermutet: Werkschließung schon länger entschieden

Die Befürchtung: Weidenau soll gezielt ausbluten. Werden keine neuen Produkte fürs Werk gebucht, läuft es irgendwann leer. Der Verdacht: Die Entscheidung steht schon länger. Angeblich stand Benteler Mitte 2020 finanziell auf äußerst wackeligen Beinen, auf Druck der Geldgeber wurden Einsparungen angestrebt, angeblich aber ohne Werksschließungen. Andererseits wird ein Werk in Frankreich zum Verkauf angeboten, zwei Werke in Amerika werden verkauft. Da wurde man hellhörig in Weidenau. Am 30. Juni 2021 lief ein Ergänzungstarifvertrag aus, eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitsplatzgarantie bei Verzicht auf Mehrarbeitsprozente endet am 30. Juni 2022. Am 1. Juli 2021 wurde das Aus für Weidenau mit Ziel 1. Juli 2022 verkündet. Ein weiteres Indiz für den Betriebsrat, dass das schon länger feststand.

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Die Gesprächsverweigerung setze sich fort, kritisiert der Betriebsrat. Benteler hat den Konzernbetriebsrat (KBR) aufgefordert, die Sozialverhandlungen für den Standort Weidenau zu führen. Die Weidenauer fühlen sich einmal mehr übergangen, lassen das juristisch prüfen. Denn der KBR, in dem Weidenau nicht vertreten ist, säße zwischen den Stühlen; müsste für jemand anderen verhandeln „und wir können es nicht überprüfen – wir werden dann in den Abschlussgesprächen nicht dabei sein“, sagt Barkow. Der Betriebsrat Weidenau habe ein klares Mandat, die Belegschaft stehe komplett hinter ihm.

Hoher Anteil an Menschen mit Behinderung bei Benteler in Siegen-Weidenau

„Wir werden die Interessensvertretung auf allen Ebenen wahrnehmen“, kündigt Barkow an. „Wenn wir schon sterben müssen, dann mit Abfindung.“ In Weidenau sind relativ viele Ältere tätig, manche hoffen, sich bis zur Rente zu retten. Das Werk ging hervor aus einem Rohrwerk mit damals angelernten Arbeitskräften, die sich innerbetrieblich, aber nicht offiziell dokumentiert, ihre Qualifikation erarbeiteten. Und nicht nur sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft: 29 Menschen mit Behinderung arbeiten bei Benteler, eine hohe Quote. Sie alle sorgen sich, wie es weitergeht, wenn es schon Angelernte schwer auf dem Arbeitsmarkt haben. Erst neulich wurden neue Investitionsanträge für weitere, modernere Arbeitshilfen gestellt; Hebehilfen etwa. Benteler habe die Anträge aber abgelehnt, zur Verwunderung von Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung. „Jetzt wissen wir, warum.“

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Viele arbeiteten in zweiter, dritter Generation bei Benteler in Weidenau, seien ortsgebunden, „wollen hierbleiben“, sagt Dirk Euteneuer. Nicht nur für Benteler: Für die ganze Region trete man nun ein, damit der Arbeitsmarkt nicht systematisch kaputtgemacht werde. „Manche fahren seit 35 Jahren jeden Morgen 80 Kilometer und fühlen sich immer noch dem Unternehmen verbunden“, erzählt er. „Wir haben Mut gezeigt, Ambitionen bewiesen und den Respekt nie bekommen – aber immer gegeben“, spielt Dirk Euteneuer auf die Benteler-Unternehmenswerte an. Menschlichkeit und Ehrlichkeit, die sich das Familienunternehmen auf die Fahne geschrieben habe, fänden seit Jahren kaum mehr statt. In Weidenau herrsche sie aber noch, die familiäre Verbundenheit der Belegschaft untereinander.

Aus Siegen-Wittgenstein kommt großer Rückhalt für die Benteler-Belegschaft

Der Betriebsrat spürt großen Rückhalt: Aus Belegschaft, Bevölkerung, Politik. „Das hat uns sehr positiv überrascht und wurde sehr gut aufgenommen“, sagt Dirk Euteneuer. Landrat Andreas Müller und Bundestagsabgeordneter Volkmar Klein fordern ebenso wie die IG Metall die Eigentümer dazu auf, Perspektiven für das Werk auszuloten – gerade vor dem Hintergrund, dass die Autobranche wieder boomt und andere Unternehmen volle Auftragsbücher hätten.

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„Das Verhalten der Eigentümerfamilie gegenüber den Beschäftigten ist moralisch nicht in Ordnung“, werden Müller, Klein und Gewerkschaftssekretär Peter Richter zitiert.