Siegen. In der Bunkerzelle den Luftangriff erleben, im Schreibtisch Fürst Johann Moritz’ stöbern? Siegen setzt fürs neue Siegerlandmuseum auf Innovation
Das neue Siegerlandmuseum wird nicht nur räumlich außergewöhnlich. Auch inhaltlich plant die Stadt Siegen ein Museum völlig neuen Typs; schon die Art der Planung soll anders sein als bei so etwas üblich. Gerade die Erweiterung in den Bunkern an der Burgstraße im Rahmen des Projekts „Zeit. Raum. Region“ verspricht ein modernes Museum mit Strahlkraft über die Region hinaus. Astrid Schneider, Leiterin von Kultur Siegen, hat die Pläne jetzt in Bau- und Kulturausschuss vorgestellt.
Noch steht nicht fest, welcher Entwurf aus dem Architekturwettbewerb umgesetzt wird; auch die Finanzierungsfrage ist nach Rückschlägen bei den Förderzusagen (wir berichteten) noch nicht geklärt. Nachdem der Förderverein des Siegerlandmuseums kürzlich eine Spende in Millionenhöhe an die Stadt übergeben konnte (wir berichteten), berät der Kreis noch im Juni über eine finanzielle Beteiligung am Projekt – inhaltlich findet künftig eine stärkere Zuwendung zur Region statt, ohne die Stadt hintanzustellen. Die städtische Einrichtung trägt immerhin den Beinamen „Museum für Regional- und Kunstgeschichte“. Zudem hofft die Stadt auf den dritten Regionale-Stern als Türöffner für eine priorisierte Förderung, auch für Städtebauförderung von Land und Bund will die Verwaltung nachlegen.
Neues Siegerlandmuseum auch für die Vergangenheit – und Gegenwart und Zukunft
Selbstverständnis: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. „Es gibt kein Feld oder Thema, das nicht in dieses Museum passt“, sagt Astrid Schneider, Leiterin von Kultur Siegen; ob Städtebau, Zeitgeschichte, Sozialstruktur, Integration – das neue Siegerlandmuseum soll ein Ort der lebendigen Auseinandersetzung mit Stadt und Region zu allen Zeiten sein. „Nicht selbstverständlich für ein Museum“, findet Schneider, denn üblicherweise gebe es dort Gegenstände aus vergangenen Zeiten. „Die Diskussionen über die Entwicklung von Stadt und Region finden im Museum statt“, so Schneider über das künftige Selbstverständnis. Die „Region“ dürfe dabei als programmatische Ansage verstanden werden; mit dem Bunkerkomplex sei eine Intensivierung dieses Themas möglich.
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Digitalisierung: Zentraler Baustein für die Vermittlung von Themen. „Wir sehen in der Digitalisierung enorme Chancen für einen pädagogischen Mehrwert“, sagt Astrid Schneider. Ein Museum hat viele nicht-sprechende Gegenstände im Inventar – „man kann jedes leblose Objekt spannend machen, wenn man die richtige Geschichte dazu erzählt“ (siehe unten). Dann wäre da die Archivierung. „Digital hat das in Siegen noch gar nicht begonnen“, sagt Astrid Schneider. Aber sie ist Grundvoraussetzung für die Ausspielung von Daten. Die sollen Kommunikation dort unterstützen, wo sinnvoll und notwendig. Und auch beim Service; beim Planen und Buchen von Terminen, Bewertungen des Besuchs. „Wir starten nicht ganz bei Null“, verweist Schneider auf das interaktive Stadtmodell oder das Zeitzeugenportal „Unser Siegen“.
Bürgerbeteiligung auf neuem Niveau: Menschen in Siegen reden dauerhaft mit
Teilhabe: Das Museumskonzept sei weder Sprint noch Marathon, sondern ein Generationenprojekt, das im Grunde nie fertig ist. Die Stadt will keinen Workshop mit der Bevölkerung während der Planungsphase, der dann irgendwie ins Museum aufgenommen wird – die Bürgerinnen und Bürger, Schulen und Vereine sollen dauerhaft und überall mitwirken – bei den Inhalten von Ausstellungen, bei der Auswahl der pädagogischen und technischen Angebote und Vermittlungsinstrumente. Gerade Kinder und Jugendliche wolle man dabei in den Fokus nehmen, bekräftigt Schneider: „Was kommt an, womit gehen sie gerne um?“
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Das neue Museumskonzept wurde entwickelt und wird weiter begleitet in einem Partnernetzwerk, zu dem neben Stadt und Uni Siegen (Informatik, Medienwissenschaft, Geschichte) auch die Technische Hochschule Köln, der Landschaftsverband LWL, Stadt- und Kreisarchiv, Heimatvereine und Museums-Förderverein gehören.
Das Siegerlandmuseum will die Geschichte jedes Exponats interessant erzählen
Die Digitalisierung macht Museumsbesuche möglich, die Gegenstände völlig neues erlebbar werden lassen – und die Ausstellungsobjekte erschaffen, die es real dort gar nicht gibt. Astrid Schneider stellt einige Beispiele vor.
Inszenierung der Raumsituation in einer historischen Bunkerzelle: Mit Hilfe von originalgetreuer Einrichtung, Licht- und Akustikinstallationen können Museumsbesucher nachempfinden, wie sich die Menschen etwa während eines Luftangriffs in den Schutzräumen fühlten.
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Objekte beginnen zu sprechen, wenn man sich ihnen nähert: Eine „Hörwelt“ gibt individuelle und ortsabhängige Audioinhalte wieder; je nach dem, wo sich die Besucherinnen und Besucher im Museum aufhalten. Rubens beginnt zu erzählen, wenn man sich einem seiner Bilder nähert; barocke Musik erklingt, wenn man den Raum betriff.
Dank Augmented Reality Siegen im Lauf der Jahrhunderte vom Bunkerdach erleben
Virtuelle Realität ergänzt die Gegenwart: Geplant ist, im Dachgeschoss, das auf der Bunkeranlage entstehen soll, ein „Observatorium“ mit hervorragendem Blick über die Stadt einzurichten. Besucherinnen und Besucher können dann mit Tablets zum einen Standort-Informationen einblenden – und, deutlich raffinierter, historische Ansichten. Wie sah das Hüttental im Wandel der Jahrhunderte aus, wie vollzog sich die Besiedlung? Welcher Blick hätte sich vom gleichen Standort aus auf das 1695 beim großen Stadtbrand schwer beschädigte Siegen geboten, oder nach der fast vollständigen Zerstörung der Stadt nach der Bombardierung im Dezember 1944? Das alles nicht als statisches Motiv – mit dem Schwenken des Tablets über das reale Stadtpanorama überlagert die historische Visualisierung auf dem Endgerät den Blick und schwenkt mit. Mit einem ähnlichen Konzept hatte die Stadt Dresden im „Panometer“ Panoramabilder mit historischen Ansichten gezeigt; etwa zur Zeit des Barocks oder nach den Luftangriffen 1945.
Einmal im Schreibtisch von Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen stöbern...
Der Schreibtisch von Fürst Johann Moritz in seinem brasilianischen Arbeitszimmer – ab 1638 hielt er sich einige Jahre in der neuen Welt auf – ist nicht erhalten, aber er kann simuliert werden. Ein Museumsraum wird als Kulisse mit Möbeln und Inventar hergerichtet, der Schreibtisch selbst ist ein Touchscreen. Besucherinnen und Besucher können dort beispielsweise Bücher und Dokumente aufklappen und lesen.
All diese Ansätze und Ideen sollen nicht isoliert voneinander funktionieren, sondern kombiniert überall dort, wo es sinnvoll sein kann: Im Fürsten-Arbeitszimmer zwitschern etwa die Vögel der neuen Welt, die Stimme Johann Moritz’ erklingt, wenn man sich seinem Schreibtisch nähert,...
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