Lendringsen/Arnsberg. 61-Jährige für Reihe von Bränden im Sommer 2023 verurteilt. Doch das Motiv der Lendringserin bleibt bis zuletzt unklar.
Gut drei Monate lang sorgten Brände in Lendringsen für helle Aufregung im Mendener Süden – allen voran bei der Feuerwehr. Am Dienstag ist am Landgericht Arnsberg das Urteil gegen eine 61-Jährige gefallen, die für einen Großteil der Brandstiftungen verantwortlich ist. Doch selbst nach dem Urteil bleiben mehr Fragen als Antworten.
Brand-Serie in Lendringsen war Gesprächsthema
Gleich mehrfach rückt die Mendener Feuerwehr im Sommer 2023 aus. Vor allem nachts und an den Wochenenden sorgen Waldbrände und lodernde Gartenlauben für angespannte Stimmung in Lendringsen. Nachdem am ersten Prozesstag Polizeibeamte die aufwändigen Ermittlungsmethoden rund um den Bieberberg schilderten, sollen am zweiten Prozesstag gegen eine 61 Jahre alte Mendenerin deren Familienangehörige Licht ins Dunkel bringen. Denn ein Motiv ist bislang weder für das Gericht erkennbar, noch hat sich die 61-Jährige selbst zu den Umständen ihrer Taten geäußert. Die hatte sie zu Prozessbeginn zwar umfangreich eingeräumt, die Beweggründe jedoch nicht näher erläutert. Wohl auch zum Ärger einiger Nachbarn, die am zweiten Verhandlungstag im Gericht erscheinen. Einen der Geschädigten muss der Richter später zur Ordnung rufen, als der im Gerichtssaal anfängt, Bilder zu knipsen. Am Richtertisch muss der Mann diese unter Aufsicht wieder löschen.
Eine der drei Töchter der Angeklagten beschreibt das Verhältnis derweil eigentlich als gut. „Wir haben uns alle zwei, drei Wochen getroffen.“ Hinzu kamen Telefonate und nette Nachmittage mit den Enkelkindern zum Grillen. Ganz normal soweit. „Gab es in der Familie Konflikte?“, will der vorsitzende Richter dennoch wissen. „Meine älteste Schwester hat den Kontakt zu allen abgebrochen.“ Warum, das wird im Laufe des Prozesses nicht deutlich, könnte aber mit dem Tod des Vaters 2017 zu tun haben. Denn kurz darauf wendet sich die älteste Tochter der Angeklagten von der gesamten Familie ab. Der Tod des Ehemannes scheint ein Wendepunkt im Leben der 61-jährigen Mendenerin gewesen zu sein. Gut 40 Jahre verbrachten beide gemeinsam, in den vier Jahren vor dem Tod pflegte die Angeklagte ihren Mann zuhause. „Danach hat sie sich zurückgezogen“, erklärt die Tochter. Einzig ein Hund habe für deutliche Erleichterung und Abwechslung im Alltag gesorgt.
Dass die Brand-Serie über Wochen Thema in Lendringsen war, ging derweil auch an der Familie nicht vorbei. Über die Taten habe man vor der Verhaftung nur kurz gesprochen. „Sie sagte, dass der Mensch, der das macht, schlimm ist“, erinnert sich die Tochter. Doch ein Dauerthema seien die Brände für ihre Mutter nicht gewesen, lediglich eine Randnotiz. „Das Ganze ist für mich noch immer unbegreiflich.“ Einen Grund oder Auslöser für die Taten sucht selbst die Tochter bis heute.
Gutachter kann keine psychische Erkrankung feststellen
Ähnlich schildert es auch die ein Jahr jüngere Schwester anschließend. Bis zur Geburt des eigenen Kindes habe man viel Zeit miteinander verbracht, regelmäßige Spaziergänge und Telefonate inklusive. Nach dem Tod des Vaters „haben wir versucht, sie an die Hand zu nehmen – und dann kam der Hund, auf den sie sehr fixiert war“. Grundsätzlich, sagt auch die zweite von drei Töchtern aus, habe sich ihre Mutter zurückgezogen. Doch mit dem tierischen Begleiter wähnte man sich auf der sicheren Seite. Der Vierbeiner schien der Mendenerin Halt gegeben zu haben. Als die Verhaftung der 61-Jährigen Realität wird, glaubt die Tochter daher an einen Fehler. „Ich dachte, das wäre ein Scherz.“ Ähnlich äußert sich später auch die Schwester der Angeklagten.
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Die Einordnung des psychiatrischen Gutachters belegt abschließend das Bild eines Prozesses, aus dem keiner so recht schlau wird. Denn von Pyromanie oder einer anderen psychischen Störung könne in diesem Fall nicht die Rede sein. „Die Taten schreien förmlich danach, dass es was damit zu tun hat“, gibt der Gutachter vor Gericht zu. Einzig die Anhaltspunkte fehlen. Die Krux: Die Pyromanie, also der zwanghafte Drang, Dinge anzuzünden, gehe grundsätzlich mit weiteren Auffälligkeiten einher. „Das kann man hier aber auf keinen Fall sagen“, erklärt der Gutachter. Mehr noch: In der Justizvollzugsanstalt ist der 61-Jährigen bereits vor Monaten wieder ein Feuerzeug ausgegeben worden – wohl wissend um die Anklage. Seine Prognose ist daher eindeutig. „Sie selbst ist von ihren Taten beeindruckt und tut es nicht ab“, so die Ansicht des Experten. An eine Wiederholungsgefahr glaubt er nicht – erst recht nicht, da keine psychischen Auffälligkeiten festzustellen seien.
Die Plädoyers
In ihren Forderungen unterscheiden sich die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung dann aber doch deutlich. Denn während die Mendenerin einen Großteil der Taten eingeräumt hat, so hat sie die Brandstiftungen an Fahrzeugen stets bestritten – sowohl im Prozess als auch in ihrer Vernehmung und gegenüber dem Gutachter. Gleichwohl endete die Serie von Bränden zeitgleich mit der Verhaftung der 61-Jährigen. Staatsanwalt Thomas Poggel ist sich dennoch sicher, dass die Frau auch einen Harvester sowie zwei Fahrzeuge in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung angezündet hat. „Bei diesen Taten war sie unmittelbar danach vor Ort. Ich glaube nicht an einen zweiten Brandstifter in Lendringsen.“ Für die insgesamt 14 Taten - von Sachbeschädigung bis Brandstiftung - fordert er letztlich vier Jahre und drei Monate Haft, bei gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls. „Ich habe kein Packende, warum sie es gemacht hat. Ich habe aber auch kein Packende, den Haftbefehl aufrecht zu erhalten“, erklärt Poggel.
Die Verteidigung sieht das erwartungsgemäß deutlich anders. Ebenso glaubhaft wie seine Mandantin viele der Taten gestanden hat, habe sie die Fahrzeugbrände glaubhaft bestritten. Das Credo: „keine Fahrzeuge, nicht zwei Brände an einem Tag“ habe stets Bestand gehabt. Und daher muss für den Verteidiger auch ein juristisches Credo Anwendung finden: Im Zweifel für die Angeklagte. Nachweisbare Spuren oder ein Geständnis für den Harvester-Brand oder andere Fahrzeuge gebe es nicht. „Eine typische Brandstifterin haben wir hier nicht.“ Seine Forderung: zwei Jahre und fünf Monate Haft – und gleichzeitig die Aufhebung des Haftbefehls.
Das Urteil
Dem folgt das Gericht am Ende in großen Teilen, bleibt beim Strafmaß zwischen den Forderungen: drei Jahre und vier Monate Haft. „Das Motiv bleibt für uns nicht nachvollziehbar“, erklärt der Richter in seiner Urteilsbegründung. Dass das Urteil trotz der Masse an Taten nicht sonderlich hoch ausfällt, liegt auch daran, dass die Mendenerin für den Harvester-Brand sowie zwei weitere Fahrzeugbrände wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt freigesprochen wird. Handfeste Beweise hatte es für diese Brände im Laufe des Prozesses nie gegeben. „Natürlich ergibt sich aber ein zeitlicher und räumlicher Verdacht“, so der Richter. Dieser Verdacht alleine reicht aber nicht aus. Darüber hinaus ist der Haftbefehl gegen die 61-Jährige aufgehoben worden; bis zum rechtskräftigen Urteil bzw. bis zum Haftantritt kommt sie somit auf freien Fuß, muss für die Behörden aber jederzeit erreichbar sein.