Hagen. . Der Kriegsverbrecherprozess gegen den früheren SS-Mann Siert B. wegen der Ermordung eines niederländischen Widerstandskämpfers ist überraschend eingestellt worden. In den fast 70 Jahren seit der Tat seien Beweise verloren gegangen, begründete das Landgericht Hagen die Entscheidung. Es sei nicht mehr möglich gewesen, Zeugen zu befragen.

Mit diesem Paukenschlag hatte selbst der Verteidiger nicht gerechnet. Um 13.09 Uhr verkündete das Landgericht Hagen im NS-Prozess sein Urteil: Das Kriegsverbrecherverfahren gegen den 92-jährigen ehemaligen SS-Mann Siert B. wird eingestellt. Raunen ging durch den vollen Saal, in dem sich Medienvertreter aus aller Welt eingefunden hatten. Der Tod des niederländischen Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema im September 1944 bleibt ungesühnt.

Siert B. bleibt unbestraft

„Ich werde versuchen, Ihnen die unerwartete Entscheidung transparent zu machen“, leitete Richterin Heike Hartmann-Garschagen die Begründung der Kammer ein. Keine leichte oder gar angenehme Aufgabe, das war der erfahrenen Vorsitzenden anzumerken. Wohl auch, weil nicht wenige Prozessbeobachter die von dem Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel (Dortmund) beantragte lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes ganz sicher erwartet hatten. Stattdessen bleibt „het Beest“ (die Bestie), wie Siert B. in niederländischen Medien genannt wird, jetzt unbestraft.

Schuldig des Totschlags

Der Angeklagte habe sich zweifelsfrei des Totschlags schuldig gemacht, sagte die Richterin. Eine Verurteilung wegen Mordes aber – und allein dieser wäre nicht verjährt – komme aufgrund der Beweislage nicht in Betracht. Der Mann aus Breckerfeld im Sauerland hatte die Tat stets bestritten. Vor Gericht räumte er ein, dass er bei der Erschießung von Dijkema dabei war. Er selbst sei zu dem Zeitpunkt unbewaffnet gewesen, geschossen habe sein Vorgesetzter August N.

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Da war auf der einen Seite, wie das Gericht auch ausdrücklich hervorhob und würdigte, „die mutige Leistung des niederländischen Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema“, der bis zuletzt seinen Prinzipien eisern treu blieb. Und auf der Gegenseite der heute Angeklagte, der in der Nacht zum 22. September 1944 zwei Schüsse auf den Widerstandskämpfer abgab, von hinten und aus ein- bis eineinhalb Meter Entfernung, wie die Richter klar feststellten.

Angeklagter war am Tatort und hat auf das Opfer geschossen 

Das Opfer war zuvor auf einem Bauernhof im niederländischen Delfzijl (Nähe Groningen) festgenommen worden. Als Mitarbeiter der örtlichen Grenz- und Sicherheitspolizei hatten Siert B. und sein Vorgesetzter den Befehl, einen Fluchtversuch von Dijkema vorzutäuschen und ihn hinzurichten.

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Die Kriegsverbrecher verfrachteten den verhafteten Widerstandskämpfer deshalb nachts in ein Auto, fuhren mit ihm zu dem verlassenen Gelände einer Motorenfabrik und hielten dort an. Nach dem Befehl „Geh mal pissen“ musste Aldert Klaas Dijkema aus dem Wagen steigen. Sekunden später fielen mehrere Schüsse. „Wir wissen“, führte Richterin Hartmann-Garschagen aus, „dass der Angeklagte in der Tatnacht am Tatort war und wir wissen auch, dass er geschossen hat.“

Totschlag-Delikt längst verjährt

Siert B. habe, ebenso wie der damalige, inzwischen Verstorbene August N. auf Aldert Klaas Dijkema geschossen. „Beide, jeweils zwei Schüsse“, sagte die Vorsitzende Richterin. Deshalb sei der Angeklagte auch des Totschlags schuldig. Doch dafür könne Siert B. heute nicht mehr verurteilt werden, das Delikt sei 69 Jahre nach der Tat längst verjährt.

22 Prozesstage mit 14 Zeugen

„22 Prozesstage, 14 Zeugen sowie vier Gutachter – vom Historiker, über den Kardiologen bis zum Psychiater“, hat Gerichtssprecher Jan Schulte statistisch aufgelistet. Einmal waren die gesamten Prozessbeteiligten auch in Holland.

Verteidiger Hans-Peter Kniffka ist „sehr zufrieden“ mit dem Ausgang des Verfahrens. Und sein Mandant Siert B.? „Der hatte das Urteil akustisch leider nicht verstanden. Ich habe ihm das erfreuliche Ergebnis aber zugeflüstert.“

„Was nicht verjährt, wäre Mord“, erklärte Richterin Hartmann-Garschagen, und alle gesetzlichen Merkmale, insbesondere die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, habe die Kammer gründlich geprüft und sei dabei immer wieder an eine natürliche Grenze gestoßen: „Wir wissen es nicht.“ „Wir hätten es gerne alles erfragt, doch die meisten Zeugen sind inzwischen leider tot“

Das Gericht musste sich eingestehen: „Durch die lange Zeitspanne sind die Beweise verloren gegangen.“ Das habe sich zugunsten von Siert B. auswirken müssen.