Hagen. . Der Mordprozess gegen Siert B. (92) aus Breckerfeld wird weitergeführt. Am Freitag lehnte das Schwurgericht den Antrag von Verteidiger Hans-Peter Kniffka ab, das Verfahren einzustellen, weil sein Mandant zunehmend dement und deshalb verhandlungsunfähig sei

Der Mordprozess gegen Siert B. (92) aus Breckerfeld wird weitergeführt. Gestern lehnte das Schwurgericht den Antrag von Verteidiger Hans-Peter Kniffka ab, das Verfahren einzustellen, weil sein Mandant zunehmend dement und deshalb verhandlungsunfähig sei. Zuvor hatte die Kammer zu dieser Frage einen Sachverständigen gehört.

Zur Erinnerung: Siert B. wird vorgeworfen, im September 1944 als Mitglied des Grenz- und Sicherheitsdienstes Delfzijl einen niederländischen Widerstandskämpfer ermordet zu haben. Der 36-Jährige sei hinterrücks erschossen worden.

Volker Wippermann (56) ist Nervenarzt und Psychotherapeut in der Hans-Prinzhorn-Klinik in Hemer. Er hatte den Angeklagten in den letzten Tagen zweimal untersucht und legte dem Gericht jetzt sein geronto-psychiatrisches Gutachten vor. Siert B. wäre zu beiden Terminen pünktlich erschienen, hätte den Rollator vor sich hergeschoben und sei deshalb etwas aus der Puste gewesen.

Drin im aktuellen Tagesverlauf

Er lese jeden Morgen die Lokalzeitung, berichtete er dem Chefarzt, und wisse, dass Breckerfeld schuldenfrei von der CDU regiert wird. Er fühle sich dort sehr wohl, sei Schalke-Fan. Und seinen VW Golf habe er erst mit 90 Jahren abgegeben.

„Herr B. war ganz im aktuellen Tagesverlauf drin“, befand Demenz-Experte Wippermann, „aber er hat mir auch vom Krieg berichtet, vom Feldzug nach Russland.“ Sein Vater sei nach dem Krieg als Nazi ermordet worden, sein Bruder, der 13 Panzer abgeschossen hätte, wäre Ritterkreuzträger. In seinem Wohnumfeld sei das alles bekannt: „Ich habe mit meiner Vergangenheit nie hinterm Berg gehalten“, hatte Siert B. dem Gutachter berichtet.

Er könnte sich aber an nichts erinnern, was im jetzigen Prozess besprochen worden sei, erklärte der Angeklagte gegenüber dem Sachverständigen. Er könnte die Worte der Vorsitzenden Richterin zwar hören -- aber er bekomme sie nicht in den Kopf.

Angst nur vor den Prozesskosten

Ob er resigniert sei? „Nein“, habe Siert B. geantwortet. In den Nächten vor den Verhandlungstagen könnte er zwar kaum schlafen – aber Angst habe er nicht, jedenfalls nicht vor einer Verurteilung, „weil ich damit nichts zu tun habe“. Angst hätte er lediglich vor den wirtschaftlichen Folgen, vor den hohen Prozesskosten, die eventuell auf seine Frau noch zukommen werden. Der Prozess selbst würde ihn langweilen.

Gutachter Wippermann kommt über den Angeklagten zu dem Schluss: „Er ist wach, ansprechbar, voll orientiert. Es liegt keine Demenz vor, nur etwas Altersvergesslichkeit.“ Er sei sogar „lebendig und vital“ für einen Senior und könnte seine Interessen gut vertreten. Den Gutachter hätte er einmal aufgefordert: „Bitte nicht mitschreiben!“