Hagen. . Im Kriegsverbrecherprozess in Hagen hat das Landgericht das Verfahren gegen den 92-jährigen Siert B. eingestellt. Dem Breckerfelder war vorgeworfen worden, als Mitglied der Waffen-SS 1944 in den Niederlanden an der Erschießung eines Widerstandskämpfers beteiligt gewesen zu sein.

Das Verfahren ist eingestellt – das hat die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen durch ein Prozess-Urteil befunden. Damit verlässt Siert B. als freier Mann den Gerichtssaal. Ihm war vorgeworfen worden, als Mitglied der Waffen-SS in der Nacht zum 22. September 1944 an der Erschießung des niederländischen Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema (36) in Appingedam beteiligt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslang gefordert, Verteidiger Klaus-Peter Kniffka hatte einen Freispruch für seinen Mandanten beantragt.

Siert B. hatte im Prozess ausgesagt, zur Tatzeit unbewaffnet gewesen zu sein. Sein damaliger Vorgesetzter August N. (1985 verstorben) hätte geschossen: „Ich lief rechts, und der lief links neben ihm. Dann hörte ich den Knall, dann fiel der Mann.“ Kniffka hatte Siert B., der zur Tatzeit 23 Jahre jung war, als „indoktriniert“ und „verblendet“ beschrieben. Der Prozess müsse unter dem Gesichtspunkt eines „fairen Verfahrens“ durch ein Prozessurteil eingestellt werden. Denn bereits 1949 war Siert B. in Abwesenheit von einem niederländischen Gericht zum Tode verurteilt worden – für die jetzt angeklagte Tat.

Eine erneute Verurteilung verstoße gegen das „Verbot der Doppelbestrafung“, gegen die Europäische Grundrechts-Charta. Die Kammer solle die Akten dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen.

Staasanwaltschaft forderte lebenslang

In eine ganz andere Richtung hatte Oberstaatsanwalt Andreas Brendel (Dortmund) argumentiert: „Mord verjährt nicht“, hatte er betont und im Kriegsverbrecher-Prozess die Höchststrafe gefordert: Siert B. sei überführt, Dijkema ermordet zu haben. Als Mitarbeiter der örtlichen Grenz- und Sicherheitspolizei hätten B. und sein Vorgesetzter den Befehl erhalten, einen Fluchtversuch von Dijkema vorzutäuschen und ihn hinzurichten.

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Sie hätten den Widerstandskämpfer deshalb nachts in ein Auto verfrachtet, seien zu einem verlassenen Fabrikgelände gefahren und hätten angehalten. Mit den Worten „Geh mal pissen“ hätte Aldert Klaas Dijkema aus dem Wagen steigen müssen. Sekunden später sei er von hinten erschossen worden.

Ankläger Brendel, zugleich Leiter der Dortmunder „Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen“, hatte Stück für Stück die Mordmerkmale des Falles herausgearbeitet: Bereits das Herausholen des Gefangenen aus der Zelle sei „mit Tötungsvorsatz“ erfolgt. Dijkema hingegen habe nicht gewusst, dass er getötet werden sollte. Er sei deshalb „arglos“ gewesen, selbst als er aus dem Auto steigen sollte. In dem Augenblick, als er hinterrücks erschossen wurde, hatte er seine Hände in den Jackentaschen. „Eine bewusste Ausnutzung der Wehr- und Arglosigkeit.“

Leiche des Widerstandskämpfers aus Blutlache gezogen

Mindestens einer der beiden Sicherheitspolizisten habe geschossen, vermutlich aber beide, also auch der angeklagte Siert B., hatte sich der Oberstaatsanwalt überzeugt gezeigt. Es fielen mindestens drei Schüsse, wovon zwei Schüsse das Opfer trafen. Die Leiche des Widerstandskämpfers wurde aus der Blutlache auf der Straße in einen Graben gezogen. „Solche Aktionen waren ihm weder fremd noch unangenehm“, hatte Oberstaatsanwalt Brendel den betagten Breckerfelder charakterisiert.