Hagen. . Der Vorschlag des CDU-Kreisvorstandes, Cemile Giousouf (34) als Kandidatin für den Bundestag aufzustellen, bewegt die Partei. Unsere Zeitung sprach mit dem CDU-Vorsitzenden Christoph Purps über die junge Frau aus Aachen, deren Eltern einer türkischen Minderheit in Griechenland angehörten. Purps äußert sich im Interview auch zur Kritik aus der Partei am Auswahlverfahren.
Warum ist die Aachenerin Cemile Giousouf für die CDU Hagen die beste Kandidatin?
Purps: 23 Prozent der Deutschen in Hagen haben mittlerweile einen Migrationshintergrund. Jedes zweite Kind, das hier geboren wird, hat einen Migrationshintergrund. Das ist eine große Zielgruppe. Viele dieser Menschen haben wertkonservative Ansätze im positiven Sinne. Wenn wir diese Menschen ausschließen, stellt sich die Frage, ob wir als Volkspartei noch alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen vertreten. Wir haben immer eingefordert, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich zu Deutschland bekennen. Diese Forderung haben wir auf unseren Parteitagen beklatscht. Wenn wir also diesen Anspruch erheben, müssen wir den Menschen mit Migrationshintergrund auch die Hand reichen, ihnen die Möglichkeit eröffnen, sich politisch zu beteiligen. Cemile Giousouf hat hier eine enorme Chance. Ein direkter Draht nach Berlin wäre für die Stadt, für die Region und auch für die Partei enorm wichtig.
Wie ist die Hagener CDU auf Cemile Giousouf gekommen?
Im Sommer haben wir alle Ortsunionen und Gliederungen angeschrieben und um Kandidatenvorschläge gebeten. Am Ende hatten wir zwei Vorschläge. Beide Kandidaten haben uns aber abgesagt. Daraufhin hat der Kreisvorstand eine Findungskommission eingerichtet. Diese Kommission hat mehrere Kandidaten von sich aus angesprochen. Alle haben leider aus unterschiedlichsten Gründen abgesagt. Natürlich sind auch weitere Vorschläge von der Kommission beraten worden. Diese Vorschläge entsprachen aber nicht den von uns aufgestellten Kriterien und sind daher einstimmig abgelehnt worden. Erst danach haben wir unsere Fühler in Richtung der Landespartei ausgestreckt. Cemile Giousouf wurde uns – gerade vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung – als geeignete Kandidatin empfohlen. Verbunden mit dem Ziel, auf der Landesliste eine aussichtsreiche Position zu erreichen.
Cemile Giousouf hat in der Findungskommission nicht überzeugt. Der Kreisvorstand und die Ortsunionsvorsitzenden haben trotzdem beschlossen, sie aufzustellen. Was hat den Wandel bewirkt?
Das ist so nicht richtig. Die Findungskommission hat ergebnisoffen diskutiert. Ein Votum ist dort nicht abgefragt worden. Der Gedanke, Cemile Giousouf aufzustellen, sollte erst mal sacken. Aber fest steht doch: Wir alle wollen die Volkspartei in Hagen zukunftssicher machen. Damit das gelingt, muss man auch mal einen mutigen Schritt gehen. Allen Beteiligten war bewusst, dass es kein einfacher Weg werden würde. Und trotzdem ist der Entschluss am Ende einstimmig vom Kreisvorstand gefasst worden.
Aus der Partei gibt es durchaus Kritik an der Entscheidung? Haben Sie damit gerechnet?
Wir sind eine Volkspartei. Und wir stellen immer wieder fest, dass diese Volkspartei lebt. Dass diese Entscheidung nicht überall auf einhellige Zustimmung stoßen würde, war klar. Das hat mehrere Gründe. Die Kandidatur von Cemile Giousouf – eine junge Frau, die einen Migrationshintergrund hat und nicht aus Hagen kommt – ist etwas komplett Neues. Wir haben damit gerechnet, dass wir Überzeugungsarbeit leisten müssen. Aber das wollen wir auch gerne tun.
Ist die CDU reif für eine Muslimin?
Dass insbesondere ältere Parteimitglieder damit ihre Schwierigkeiten haben, ist nicht überraschend. Aber früher gab es Kandidatenlisten bei der CDU, bei denen darauf geachtet wurde, dass im Wechsel immer ein Katholik und ein Protestant auftauchten. Ich glaube, wenn die CDU eine Zukunft haben will, muss die Frage, welcher Konfession unsere Kandidaten angehören, in den Hintergrund treten. Als Christen respektieren wir den Menschen und damit auch diejenigen, die anderen Religionen angehören. Wichtig i st – und das hat Cemile Giousouf auch deutlich gemacht – dass sie Politik macht in Verantwortung vor dem Schöpfer. Und diese Aussage beinhaltet wesentlich mehr Gemeinsames als Trennendes.
Müsste die CDU Hagen nicht über mehrere Jahre hinweg einen eigenen Kandidaten aufbauen?
Zunächst haben wir ja jetzt mal eine junge Kandidatin. Und sollte sie für die CDU Hagen in den Bundestag einziehen, wird sie auch mit ihrem Verlobten ihren Lebensmittelpunkt nach Hagen verlegen. Darüber hinaus hat uns Cemile Giousouf garantiert, dass sie nicht nur für eine Legislaturperiode zur Verfügung steht. Aber ja: Natürlich ist es wichtig für uns, künftig junge Kandidaten an ihre Aufgaben heranzuführen. Aber wir reden jetzt über die Bundestagswahl 2013. Und noch mal: Da bietet sich der CDU Hagen mit Cemile Giousouf eine große Chance. Zumal innerhalb der Landespartei das Ziel klar ist, einen Kandidaten mit Migrationshintergrund nach Berlin zu bringen. Und das außerhalb der normalen Kriterien, nach denen eine Landesliste sonst aufgestellt wird.
Warum ist es denn über Jahre hinweg der CDU Hagen nicht gelungen, einen eigenen Kandidaten vorne auf einer Liste zu platzieren?
Da spielen enorm viele Interessen eine Rolle. Auch die durchaus legitimen von Abgeordneten, die gerne für eine weitere Legislaturperiode in den Bundestag einziehen wollen. Viele im Bezirk und viele im Land konkurrieren um die sicheren Plätze – und da ist es unheimlich schwer unterzukommen. Zumal unter den Mitbewerbern wesentlich größere Kreisverbände sind, die wesentlich mehr Mitglieder haben und wesentlich mehr Delegierte entsenden.
Es war allerhöchste Zeit für Kandidaten der CDU mit Migrationshintergrund
Welchen Einfluss hat der Landesvorstand auf Hagen genommen?
Wir haben uns ja zunächst von uns aus an den Landesvorstand gewandt. Vor dem Hintergrund, dass die acht NRW-Bezirksvorsitzenden und der Landesvorstand sich gemeinsam darauf verständigt haben, dass es allerhöchste Zeit wird, einen Kandidaten mit Migrationshintergrund aufzustellen, hat sich plötzlich eine Chance für uns aufgetan. Auch der Generalsekretär Bodo Löttgen hat das unterstrichen. Bei der Sitzung, in der sich Cemile Giousouf vorgestellt hat, hat Löttgen sonst ganz bewusst nur das Verfahren und die Zielsetzung des Landesvorstands erläutert. Er hat aber betont, dass die CDU Hagen in ihrer Entscheidung völlig frei ist.
Hat es eine Einflussnahme aus Berlin gegeben?
Nein. Aber so weit ich weiß, wäre Cemile Giousouf die erste, deren Vorfahren aus einem Gastarbeiterland stammen und die mit diesem Migrationshintergrund für die CDU in den Deutschen Bundestag einziehen würde. Erst recht wenn man diesen Aspekt berücksichtigt, wäre Cemile Giousouf in Berlin mit Sicherheit herzlich willkommen.
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Teile der Union im EN-Kreis fühlen sich überrumpelt? Warum wurde die EN-CDU, die ja bei der Kandidatenkür ein Drittel der Delegierten stellt, nicht bei der Suche einbezogen?
Es war bei Bundestagswahlen schon immer so, dass Hagen sich vorab positioniert und der EN-Kreis dann diesen Vorschlag mitträgt. Bei Landtagswahlen ist das übrigens genau umgekehrt – da mischen wir uns auch nicht ein. Aus unsere Sicht ist dies das übliche Verfahren. Natürlich wird sich Cemile Giousouf auch im EN-Kreis vorstellen.
Auch unabhängig von der Kandidatendebatte kritisieren Mitglieder die innerparteiliche Diskussionskultur. Muss der Vorstand nachbessern?
Diese Kritik überrascht mich. In der CDU wird immer offen diskutiert. Jedes Mitglied, jeder, der ein Mandat anstrebt und jedes Vorstandsmitglied kann sich in den entsprechenden Gremien Diskussionen führen. Niemandem wird das Wort verboten. Das gilt auch für den Kreisvorstand. Es ist aber enttäuschend, wenn nach Sitzungen vertrauliche Informationen direkt an die Presse weitergegeben werden. Ich kann nur darum bitten, sich in der Sitzung an Diskussionen zu beteiligen.
Fallen Entscheidungen in der CDU immer nur im Führungszirkel?
Nein. Nehmen wir doch noch einmal das Beispiel der Kandidatensuche. Da hatte jede Ortsunion die Möglichkeit, Vorschläge zu machen. Dass man nicht jede Diskussion aus der Findungskommission sofort an die Basis herantragen kann, liegt aber auf der Hand. Da geht es darum, auch die Persönlichkeitsrechte der möglichen Kandidaten zu respektieren, die eine Kandidatur oft noch in ihren Familien oder mit ihrem Arbeitgeber absprechen müssen, bevor ihr Name an die Öffentlichkeit gelangt.
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Ist die CDU Hagen gespalten?
Nein. Aber es ist eine Diskussionskultur eingetreten, in der sich einige wenige zunächst über die Medien äußern. Das wird natürlich von außen wahrgenommen. Und das passt mir so nicht. Wir befinden uns in einem Prozess. Und am Ende dieses Prozesses wollen wir möglichst die ganze Partei mitnehmen. Wir wollen erreichen, dass viele das unterstützen, was wir im Kreisvorstand verabschiedet haben. Ich selbst bin den ganzen Tag für die Mitglieder über die Kreisgeschäftsstelle erreichbar.
Worauf kommt es im Wahljahr 2013 nun an?
Wir sind auf dem Weg zur Großstadtpartei. Den gilt es zu meistern. Sollte Cemile Giousouf – und das hoffe ich – nominiert werden, geht es für sie darum, die Stadt, die Menschen und die Partei kennenzulernen. Sie muss bekannt werden, viele Gespräche führen. Auch wir als Parteivorstand müssen die notwendige Überzeugungsarbeit leisten und Vorurteile, die es bei uns durchaus gibt, abbauen. Um es noch einmal zu unterstreichen: Diese Kandidatur ist nicht nur eine Chance für Hagen, sondern für die Partei selbst.