Hagen. Schon immer lag in Hagen die Wahlbeteiligung unter dem Bundes- und Landestrend. Aber der Abstand wird immer größer.

Neben dem Erstarken der Hagener AfD auf einen NRW-Spitzenwert lässt nach dem Europawahl-Wochenende in Hagen zudem die Entwicklung der Wahlbeteiligung aufhorchen: Während bundesweit 64,8 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen gingen und somit so viele Menschen wie noch nie zuvor ihre Stimme für die Zusammensetzung des Europaparlaments abgaben, sank in Hagen die Beteiligung sogar leicht auf magere 55,4 Prozent, also satte 9,4 Prozentpunkte weniger als der Schnitt im Rest der Republik.

Eine Tendenz, die in Hagen nicht bloß seit Jahren schon zu beobachten ist, sondern deren Entwicklung sich mit zunehmendem Tempo verschärft: Mit schöner Regelmäßigkeit liegt entlang von Volme, Ruhr, Lenne und Ennepe die Wahlbeteiligung bei Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen stets unter dem Schnitt von Bund und NRW, was sich sicherlich mit den städtischen Strukturen begründen lässt. Im Gegensatz zu den ländlicheren Regionen wird das Kreuz auf dem Wahlzettel hier ohnehin seltener als Bürgerpflicht angesehen. Alarmierend erscheint jedoch, dass in Hagen der Abstand zu den Durchschnittswerten in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich größer wird. Eine immer weiter auseinanderklaffende Schere, für die die Ursachen auf lokaler Ebene gesucht werden müssen.

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Trend bei allen Urnengängen

Zu den nackten Fakten: Bei der Europawahl 2014 lag in Hagen und im Bund die Wahlbeteiligung jeweils bei 48,1 Prozent, inzwischen klafft hier eine 9,4-Prozent Lücke. Bei der Bundestagswahl 2009 lag Hagen mit 69,2 Prozent lediglich 1,6 Prozentpunkte hinter dem Bundestrend, bis 2021 wuchs die Distanz auf 7,3 Prozent. Ähnlich bei den Landtagswahlen: 2010 betrug der Abstand 3,2 Prozentpunkte zu Ungunsten von Hagen, 2022 – 55,5 Prozent waren in puncto Urnengänger NRW-weit ein Rekord-Tief – lag Hagen noch einmal erschreckende 9,3 Prozent niedriger. Vorläufiger Tiefpunkt war die Kommunalwahl 2020: Hier lag die Wahlbeteiligung in NRW bei traurigen 51,9 Prozent, Hagen schaffte gerade noch 42,0 Prozent, also noch einmal 9,9 Prozentpunkte weniger – bei der Kommunalwahl 2009 war der Abstand ebenfalls noch deutlich geringer.

Eine Entwicklung, die den Hagener CDU-Kreisvorsitzenden Dennis Rehbein besorgt: „Die Wahlbezirke fallen zwar durchaus unterschiedlich aus, aber es gibt Orte in dieser Stadt, wo wir die Menschen politisch nicht mehr erreichen, dort sind die Bürger einfach gar nicht mehr Politik-affin.“ Als Hauptursache macht er dafür die Rahmenbedingungen in Hagen aus, die von Migration, kritischen Sozialstrukturen und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit geprägt seien. „Wir müssen die Menschen wieder an die Urnen bringen“, sieht Rehbein bei der Politik durchaus ein Vermittlungsproblem. „Wir brauchen deutlich mehr Klarheit in den Themen und haben sicherlich auch ein kommunikatives Problem. Diese Entwicklung haben wir gemeinsam mit der Verwaltung zu verantworten“, setzt der CDU-Chef darauf, in Hagen mit den Medien eine positivere Grundstimmung zu erzeugen. „Den Leuten darf es einfach nicht gleichgültig sein, was in ihrem Umfeld passiert.“

Wir brauchen deutlich mehr Klarheit in den Themen und haben sicherlich auch ein kommunikatives Problem.
Dennis Rehbein - CDU-Kreisvorsitzender

Unsere Aufgabe ist es, aus dieser Unzufriedenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Timo Schisanowski - Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hagen

Näher an die Wähler rücken

Mit dieser Einschätzung bewegt sich Rehbein im engen Schulterschluss mit Timo Schisanowski, SPD-Unterbezirksvorsitzender und somit Chef der zweiten einstigen Volkspartei. „In Hagen verändert sich kontinuierlich die Bevölkerungsstruktur, das bleibt niemandem beim Gang durch die Stadt verborgen.“ Zwar würden viele Migranten auch zu Wahlberechtigten, doch sie seien häufig nicht wahlwillig, beobachtet der SPD-Vorsitzende. Vielfältige Probleme wie die Sozialstrukturen, Arbeitslosigkeit, Entfremdung, Verschuldung, geringer Verdienst oder auch letzte Plätze bei Wirtschaftsrankings sorgten letztlich dafür, dass die Menschen sich frustriert abwendeten und zu Hause blieben, was wiederum die Ränder stärke. „Unsere Aufgabe ist es, aus dieser Unzufriedenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen“, plädiert Schisanowski dafür, die Themen ehrlicher und zugespitzter anzugehen, näher an die Menschen heranzurücken und potenzielle Lösungen besser zu vermitteln. „Aber mit immer weniger Mitgliedern ist es wirklich eine Herausforderung, die Kümmerer-Rolle so wie früher auszufüllen.“