Hagen-Haspe. Seit 40 Jahren kümmert sich Karin Thoma-Zimmermann um die Hasper Kirmesesel. Doch mit in diesem Jahr will die 72-Jährige ein Ende finden.
„Emma, Emelie, Tammi!“ – kaum hat Karin Thoma-Zimmermann die drei Namen laut ausgerufen, kommen die drei Esel auch schon aus ihrem Stall stolziert und traben in gelassenem Tempo über die weitläufige Weide am Hasper Kursbrink auf ihre Chefin zu. Die Hoffnung auf ein paar saftige Extra-Möhren macht neugierig. Und natürlich werden die Graurücken von der 72-Jährigen nicht enttäuscht. Seit 40 Jahren kümmert sie sich um die legendären Kirmesesel, die immer im Juni in Hagen-Haspe dem traditionellen Kirmesfestzug an der Seite des Kirmesbauern voranschreiten. Ein Engagement, das zugleich eine tägliche Verpflichtung bedeutet, die ohne herzliche Leidenschaft zu den Tieren kaum zu bewerkstelligen wäre: „Sie gucken immer so unschuldig, haben aber den Schalk im Nacken und sind somit für den ULK (Unsinn, Leichtsinn, Kneipsinn) geradezu prädestiniert“, glaubt die passionierte Eselsflüsterin nur allzu genau zu wissen, was sich in den Köpfen der etwa 150 Kilo schweren Zwergesel so abspielt.
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Die dankbaren Hasper Brauchtumsfreunde haben Karin Thoma-Zimmermann für ihr Engagement längst mit Verdienstorden, Wachholderlöffel und ULK-Orden dekoriert – in diesem Jahr kommt sogar noch die Heimatkette hinzu. „Aber jetzt ist endgültig Schluss, ich schaffe das einfach nicht mehr“, will sich die pensionierte Pädagogin, die bereits seit einem Vierteljahrhundert von ihrer Tennis-Freundin Annette Roth-Poser begleitet wird, am Samstag, 15. Juni, zum letzten Mal auf den Zugweg von der Berliner Straße in Richtung Quambusch machen. „Irgendwann muss Schluss sein, mein Knie macht das einfach nicht mehr mit“, ist sich Karin Thoma-Zimmermann ihrer besonderen Verantwortung bewusst, wenn sie ihren Esel durch die dichtgedrängte Menschenmenge führt, die den Kirmeszug säumt. Immer wieder nähern sich Kinder, oft kommen sie hinterhergelaufen und wollen das Tier streicheln, ihm auf den Rücken klopfen „Vielleicht gibt es im nächsten Jahr ja einen Wagen für Ex-Eselstreiber im Zug – dann wäre ich wieder dabei.“
Begleitung für vier Kirmesbauern
Immerhin vier Kirmesbauern hat die Hasperin bis zu ihrem Abschiedsjahr begleitet: Ernst-August Pasche, Udo Röhrig, Michael Kröner und jetzt auch noch Muhammed „Momo“ Sarac schritten ihren Eseln voran. Natürlich haben die Huftiere dabei immer wieder mal gewechselt. Hier den Überblick zu behalten, wer wann mit wem im Zug unterwegs war und in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis die Protagonisten zueinander standen, ist ähnlich komplex wie das Jacken-Schnittmuster für einen achtarmigen Oktopus.
Ursprünglich war Karin Thoma-Zimmermann eine stolze Pferdebesitzerin, die eigentlich bloß aus Geselligkeitsgründen einen Partner für ihren vereinsamten Zossen suchte. So erreichte in den frühen 80er-Jahren Langohr „Rosie“ die Weide auf dem Kursbrink, entdeckte bald ihre Liebe zu Kirmesesel „Fridolin“, was sich in Form der gemeinsamen Tochter und Kirmes-Legende „Frizzi“ widerspiegelte und für Karin Thoma-Zimmermann den Beginn einer bis heute nicht enden wollenden Eselspassion bildete.
„Als Frizzi das erste Mal alleine ohne ihre Eltern sich auf den Weg an der Spitze des Kirmeszuges machen sollte, wollte sie keinen Schritt mehr machen“, erinnert sich die 72-Jährige an so manche Kuriosität während der Brauchtumstage. Mithilfe des Kirmesbauer-Schirms und reichlich Zug auf dem Halfter wurde das plötzlich so störrische Tier mühsam bis zum Quambusch komplimentiert. „Esel sind eben Herdentiere und keine Solisten“, war Frizzi es bis dahin gewohnt, mit dem Papa an ihrer Seite die Brauchtumsfamilie zu erfreuen. Aber die Dame litt auch unter der Schrulligkeit, nicht über Kanaldeckel schreiten zu wollen: „Einmal habe ich nicht aufgepasst, Frizzi betrat einen Gully und sprang mit allen Vieren gleichzeitig in die Höhe. Die Getränkedosen-Geschenke in den Packtaschen für die Kinder am Wegesrand flogen quer über den Asphalt – die konnten wir nicht mehr verteilen.“
Routinierter Kirmesesel „Emma“
Inzwischen ist Karin Thoma-Zimmermann mit der 22-jährigen Emma im Zug unterwegs, eine sehr routinierte und genügsame Symbolfigur: „Sie läuft sofort los, wenn die erste Kapelle im Zug ihre Instrumente anstimmt.“ Auch wenn es bloß eine letzte Probe vor dem Start ist, drängelt sie sich während der ersten Takte mit forschem Schritt zwischen die Musiker und ist kaum mehr zu stoppen.
Natürlich müssen Jungesel wie Emelie (5 Jahre) und Tammi (4 Jahren), die vor vier Jahren von der Schwäbischen Alb nach Haspe hinzukamen, erst an das Kirmes-Getümmel vorsichtig herangeführt werden. „Wenn’s zum Kreisel geht, gucke ich vorher genau im Fahrplan, wann am Bahnhof Heubing der Zug kommt. Das ist kein Spaß mit den Tieren durch die Unterführung zu schlendern, wenn gerade die S-Bahn aus Düsseldorf drüberdonnert.“
Aber mit regelmäßigen kleinen Spaziergängen durch das Hasper Zentrum versucht die Eselsmama die Tiere an das pralle Leben abseits der schmucken Kursbrink-Weide mit der fantastischen Fernsicht über das Haspe Zentrum heranzuführen. Dabei geht es auch schon mal zum Kindergarten in der Stephanstraße, dem Altenheim am Mops, ins Haus Bettina, zur Sozialstation Corbacher Straße oder auch ins Hospiz an der Rheinstraße. Die dortigen Bewohner können ebenso wie die Mädchen und Jungen in der Kita die Tiere streicheln, füttern und deren neugierige Nähe spüren. „Die Menschen lieben das, und die Tiere auch – schließlich gibt es dort immer reichlich Extra-Futter.“
Ein bis zwei Stunden eines jeden Tages widmet Karin Thoma-Zimmermann ihren drei Esel: „Allein den Stall sauberzumachen und mit Möhren und Heu zu füttern kostet mich jeden morgen eine halbe Stunde, nachmittags noch mal das gleiche Programm.“ Dann muss die Wiese abgeäppelt werden, das Heu kommt vom Tücking, Späne und Futter müssen vom Raiffeisenmarkt auf Haßley herangeholt werden. Ein durchaus kostspieliges Vergnügen: „Dazu kommen noch Impfungen, Wurmkur und Versicherung – was sich da so zusammenläppert, habe ich nie ausgerechnet.“
Suche nach einem Nachfolger
Aber wer kümmert sich künftig? „Ich weiß es nicht“, zeigt sich Karin Thoma-Zimmermann ratlos. Sie möchte allen weiteren Überredungsversuchen durch den Hasper Heimat- und Brauchtumsverein diesmal tapfer widerstehen. „Ich werde gerne unterstützen und jemanden als Nachfolger anlernen“, will sie Emma gerne noch bis zum Tode des Tieres behalten und betreuen. „Aber Esel werden gut 30 Jahre alt, die beiden Jungtiere werden mich ja allemal überleben“, hofft sie auf engagierte Interessenten mit Herz fürs Hasper Brauchtum: „Denn diese Tiere sind wirklich lustig“, liebt sie den frechen Witz gepaart mit einer charmanten Dosis Hinterlist ihrer so ungewöhnlichen Haustiere mit reichlich Kirmesblut in den Adern.
Zum Hintergrund: Die Tradition des Hasper Kirmesesels greift tief bis ins 19. Jahrhundert zurück. 1872 machten die obrigkeitskritischen und ULK-bewegten Bürger (Unsinn, Leichtsinn, Kneipsinn) sich bevorzugt über den örtlichen Kommandierenden, meist ein Kavallerieoffizier, lustig, der gewöhnlich den großen Umzügen und Paraden durch das Tal der Ennepe als Hüter der Polizeigewalt stolz voranritt.
Um diese Figur zu persiflieren und der Lächerlichkeit preiszugeben, erfanden diese frühen Freunde des Spottes den Kirmesbauern, der nicht etwa zu Pferde, sondern auf einem Esel dem ULK-Tross voranreiten sollte.
Zur vierbeinigen Legende in dieser Rolle wurde ab den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts einst der HHBV-Esel „Fridolin“ unter der Regie von Fritz Weber, der zunächst allein sowie von 1986 bis 1998 gemeinsam mit seiner Tochter „Frizzi“ die Kirmeszüge durch den Westen der Stadt anführte. Nach dem Tod seines Vaters und einigen Solisten-Jahren gesellten sich „Erna“ und später „Emma“ zu dem beliebten Grautier. Letzte ist seit 2019 die alleinige Begleitung der Kirmesbauer-Figuren.