Haspe. Frische Esel für die Hasper Kirmes: „Emelie“ und „Tammi“ sollen zu Symbolfiguren des Brauchtums werden.
Das unbekannte Gesicht des Reporters am Gattertor hoch über Haspe macht die beiden Zwergesel sofort neugierig. Mit Apfelstücken in der Hand gewinne ich in Sekundenschnelle die Sympathie der beiden Zugereisten, die im nächsten Moment meine orangefarbene Jacke offenkundig mit einem Möhrenschmaus verwechseln. In den nächsten Jahren wird dem sympathischen Duo vom Kursbrink der Weg in die Herzen der Menschen sperrangelweit offen steht: Auf „Emelie“ (1 Jahr) und „Tammi“ (10 Monate) wartet eine gewiss große Kirmes-Karriere. Doch zunächst liegt es in den erfahrenen Händen der „Eselsmama“, die beiden verspielten Langohren auf diese bedeutungsschwere Brauchtumslaufbahn vorzubereiten.
Eselskult ist Idee der Hasper ULK-Freunde
Die Tradition des Hasper Kirmesesels greift tief bis ins 19. Jahrhundert zurück. 1872 machten die obrigkeitskritischen und ULK-bewegten Bürger (Unsinn, Leichtsinn, Kneipsinn) sich bevorzugt über den örtlichen Kommandierenden, meist ein Kavallerieoffizier, lustig, der gewöhnlich den großen Umzügen und Paraden durch das Tal der Ennepe als Hüter der Polizeigewalt stolz voran ritt.
Um diese Figur zu persiflieren und der Lächerlichkeit preiszugeben, erfanden diese frühen Freunde des Spottes den Kirmesbauern, der nicht etwa zu Pferde, sondern auf einem Esel dem ULK-Tross voranreiten sollte.
Zur vierbeinigen Legende in dieser Rolle wurde ab den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts einst der HHBV-Esel „Fridolin“, der zunächst allein sowie von 1986 bis 1998 gemeinsam mit seinem Sohn „Frizzi“ die Kirmeszüge durch den Westen der Stadt anführte. Nach dem Tod seines Vaters und einigen Solisten-Jahren gesellten sich „Erna“ und „Emma“ zu dem Grautier.
Nach dem plötzlichen Tod von „Erna“ im vergangenen Jahr, wäre in diesem Juni „Emma“ erstmals allein dem Kirmeszug vorangeschritten. Doch die Corona-Pandemie ließ es zu diesem Soloauftritt im Schatten des Kirmesbauern gar nicht mehr kommen.
Was keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist: Sehr ernsthaft hatte Karin Thoma-Zimmermann zuletzt erwogen, die Eselhaltung aufzugeben: „Ich bin inzwischen ja auch schon 68 Jahre alt. Nachdem ,Erna’ im vergangenen Jahr plötzlich tot umfiel, habe ich überlegt, ,Emma’ abzugeben. Doch meine Nachbarn haben sofort gesagt: Der Kursbrink ohne Esel – das geht doch gar nicht.“ Ursprünglich besaß die pensionierte Pädagogin ein Pferd, für das sie Gesellschaft suchte. Eine Rolle, die mit „Rosi“ vor etwa einem halben Jahrhundert letztlich erstmals ein Esel übernahm und eine seitdem ungebrochene Tradition ins Leben rief.
Nachwuchs von der Schwäbischen Alb
Kirmesesel bekommt Verstärkung aus Süddeutschland
Doch es entpuppte sich zuletzt als durchaus kompliziert, ein neues Grautier als Begleitung für die sechsjährige „Emma“ zu finden. Nachdem zwei potenzielle Kandidaten aus der Grafschaft Bentheim sich als viel zu scheu und ängstlich entpuppten, führte eine Internet-Recherche Karin Thoma-Zimmermann letztlich zu einem Züchter in die Einsamkeit der Schwäbischen Alb, wo sich etwa 50 Tiere auf verschiedenen Weiden abseits der Zivilisation tummelten.
„Emelie fiel mir sofort ins Auge“, erinnert sich die ULK-Orden-Trägerin (Unsinn, Leichtsinn, Kneipsinn) an den ersten Besuch im Süden der Republik. Das einjährige Zwergeselsmädchen, dessen Schulterhöhe einen guten Meter kaum übersteigen wird, zeigte sich sofort zutraulich. Da das Tier – von wenigen Schneetagen mal abgesehen – stets draußen an der frischen Luft aufgewachsen war, bringt es auch die notwendige Robustheit mit, um auf den Hasper Höhen und im Umfeld des oft nicht allzu feinfühligen Brauchtumvölkchens bestehen zu können.
Fremdeln nach der ersten Begegnung
Allerdings tummelte sich an der Seite des jungen Langohrs auch noch der zehnmonatige Stiefbruder „Tammi“, der mit seinem lustigen Wesen prompt das Herz von Hadi, der afghanische Pflegesohn von Karin Thoma-Zimmermann, eroberte. „Ich wollte ja eigentlich nur eine Stute“, konnte sich die Hasperin nach dem ersten Schnupperbesuch kaum vorstellen, noch einen zweiten Jungesel nach Haspe zu holen. „Nach 24 Stunden habe ich dort angerufen, um für ,Emelie’ zuzusagen. Einen Tag später haben wir uns dann noch für ,Tammi’ entschieden. Eine Woche später wurden beide mit dem Hänger abgeholt.“
Was bei der einsamen Eselsdame „Emma“ zunächst keineswegs Begeisterungsstürme auslöste: „Als wir die Neuankömmlinge aus dem Wagen gelockt und auf unsere Weide geführt hatten, hat sie schon rumgezickt, die Ohren angelegt, geschnappt und auch mal ausgetreten“, erzählt die Eselsmama. Aber inzwischen habe sich die neue Dreisamkeit eingespielt. Auch die Nachbarn vom Kursbrink hätten die schwäbischen Neuankömmlinge schon mit Äpfeln und Gemüse aus den angrenzenden Gärten willkommen geheißen.
Wobei Karin Thoma-Zimmermann ausdrücklich betont, dass allzu saftige Kost den Tieren, die ursprünglich ja aus deutlich trockeneren Gefilden stammten, gar nicht gut tue. Sie füttert vorzugsweise Heu und Mineralleckfutter, bietet einen Salzstein und nur wenig frisches Wiesengrün an sowie Astwerk zum Knabbern. Zwei Stunden am Tag ist die Hasperin mit der täglichen Eselspflege gefordert, an den Futter-Kosten beteiligt sich der Hasper Heimat- und Brauchtum-Verein (HHBV) mit 50 Cent am Tag.
Erste Begegnung mit der Zivilisation
Aktuell steht im Fokus, die beiden naturverwöhnten Jungtiere an die Zivilisation heranzuführen. „Schließlich sollen sie im nächsten Jahr erstmals beim Hasper Kirmeszug mitlaufen. Da dürfen sie keine Angst bekommen, wenn viele Menschen an den Straßen stehen, Musikkapellen spielen und Kinder sie plötzlich von allen Seiten anfassen wollen. Zurzeit üben wir bei unseren abendlichen Spaziergängen am Halfter über den Kursbrink die Begegnung mit Hunden und fahrenden Autos sowie das Überschreiten von Pfützen und Gully-Deckeln.“
Wobei Karin Thoma-Zimmermann kein Hehl daraus macht, dass ihre Kirmeslust nach dem jüngsten Affront am traditionsreichen dritten Juni-Samstag nahezu erloschen ist. Nachdem erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg das Corona-Virus dafür gesorgt hatte, dass der Hasper Festzug abgesagt werden musste, versammelten sich die HHBV-Symbolfiguren zumindest für einen kleinen Umtrunk am Kirmesbauerdenkmal. Allerdings ohne Esel! „Ein Kirmesbauer geht doch nicht ohne Esel vor die Tür“, hat die 68-Jährige keinerlei Verständnis für dieses peinliche Versäumnis und fordert nach der unentschuldbaren Panne augenzwinkernd: „Eigentlich müsste der HHBV im kommenden Jahr sich selbst den Hasper Bolzen verleihen.“ Aber das wird eine noch ganz andere Geschichte . . .