Hagen. Nils Schumann (20) aus Hagen kann seit einem Badeunfall nicht mehr laufen. Was ihn nicht davon abhält, auf sein großes Ziel hin zu arbeiten.
Diese Selbstverständlichkeit. Eigentlich unglaublich. Zorn würde man erwarten. Verärgerung über diese Ungerechtigkeit des Lebens. Stattdessen: Eifer. Zuversicht. Fleiß. Bei einem Badeunfall im Jahr 2013 an einem See in Mecklenburg-Vorpommern brach sich der heute 20-Jährige Nils Schumann einen Wirbel und sitzt seither im Rollstuhl.
Der damals 14-Jährige wollte per Kopfsprung in den See tauchen, hob ab, prallte mit dem Kopf auf einen Stein und überschlug sich dabei. „Das Leben ist meine Therapie“, sagt Schumann und hält sich an einer Sprossenwand fest, die die Schumanns im Keller montiert haben.
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Keine Tränendrüse, kein Gejammer, aber ein großes Ziel
Bam! Wie ein Kurzschluss in der Boxenanlage eines Konzertes. Wie Flutlicht aus beim WM-Finale. Wie Boden weg unter den Füßen. Wenn ein 14-Jähriger die Fähigkeit zu gehen verliert, ist nichts, wahrlich gar nichts von seinem vorherigen Leben und nichts mehr von dem Drehbuch für das weitere übrig. Operationen statt Disco. Krankenhaus statt Schulhof. Und in Schumanns Falls: Rollstuhl statt Leichtathletik. Und Nils Schumann gehörte zu den Leichtathleten in Hagen, die eine gute Perspektive hatten. Ziemlich traurig diese Zeilen. Und damit auch ziemlich weit weg von Nils Schumann. Keine Tränendrüse. Keine Melancholie. Kein Gejammer. Nils Schumann arbeitet auf nur einen einzigen Tag hin.
Der Treppenlift fährt den jungen Mann hinauf aus dem Keller des Hauses ins Wohnzimmer. Vater Christof, alleinerziehender Vater von drei Kinder, hat das ganze Haus so umbauen lassen, dass Sohn Nils barrierefrei darin leben kann. Und außerhalb des Hauses passt sich die Familie so an, dass das Leben – so weit man das sagen kann – normal weitergeht.
Zunächst hatte Nils Bundesfreiwilligendienst beim Arbeiter-Samariter-Bund gemacht. Dort arbeitet er mittlerweile 15 Stunden die Woche im Büro, an der Fernuniversität studiert er Wirtschaftswissenschaften. „Wenn man will, geht alles“, sagt Nils Schumann knapp. Er hat jetzt einen Seat, mit dem er selbst Auto fahren kann. Hydraulisch hebt eine Maschine ihn in den Wagen, der mit der Hand gesteuert wird. Den Umbau des Wagens hat die Stadt bezahlt, den Führerschein hat Schumann in einem Spezialfahrzeug bei der Fahrschule Rösner in Haspe machen können.
Gefühl ist in Arme zurück gekommen
Schumann ist ein Arbeitstier gegenüber sich selbst. „Das Gefühl in meinen Armen ist durch die Arbeit im Fitnessstudio zurückgekommen“, sagt er. „Ich habe nicht vor, mich hängen zu lassen und denke über den Unfall eigentlich nicht mehr nach. Ich muss jetzt sehen, dass ich mein Ziel erreiche.“ Sein Ziel? Ja. Und das könnte größer nicht sein in diesem Fall. „Ich glaube daran, dass ich wieder gehen können werde. Ich schaffe das. Die Chancen stehen gut.“ Das tun sie tatsächlich. Denn der wuchtige Aufprall auf einen Stein in besagtem Badesee hat Schumanns Rückenmark an der betroffenen Stelle schwer gequetscht – aber nicht durchtrennt. Es besteht die Hoffnung – das zeigen laut Familie Schumann vergleichbare medizinische Fälle – dass die Funktionalität dieses Nervs wieder zurückkehrt.
Bis dahin trainiert der einstige Speerwerfer hart weiter. Beispielsweise das sichere und kraftvolle Stehen mit Hilfe einer Sprossenwand. Aus der Hagener Bevölkerung hatte Schumann in der Vergangenheit viel Zuspruch und Unterstützung erhalten. Auf seine Weise kann er etwas zurückgeben. Zuversicht, Mut und die simple Erkenntnis, dass man sich selbst einfach nicht aufgeben sollte – egal wie schwer es einen treffen kann. „Es muss weitergehen“, sagt Nils Schumann. Und wenn man ihn so sieht, dann wird es auch weitergehen.