Menden. 30 Jahre lang bestimmen Drogen das Leben des Mendeners Jörg König. Dann schafft er den Absprung – nun versucht er, anderen Betroffenen zu helfen.

Wenn Jörg König an seine Vergangenheit denkt, verdunkelt sich seine Miene. Sie wird ernster und spiegelt ein wenig das wider, was sich damals abgespielt hat: Drogen, Obdachlosigkeit und ein Leben ohne feste Strukturen. Heute, fünf Jahre nach seinem kalten Entzug, blickt der 47-Jährige gelassen zurück und umso optimistischer nach vorn. In der Lokalpolitik, einem geordneten Privatleben und Infoveranstaltungen für Schüler zur Drogenprävention hat er neuen Halt gefunden.

Die Erleuchtung

Vor fünf Jahren bricht Jörg König mit der Szene. „Ich habe in einer Nacht geträumt, dass ich in die Politik gehe und Aufklärungsarbeit betreibe.“ Am Tag nach dem Traum krempelt der Mendener sein Leben von grundauf um. Er habe dann, sagt König, das Methadon verweigert und in Eigenregie abgesetzt. „Ich wusste damals, dass mich das töten kann“, blickt er zurück. Doch der Wille, sein Leben umzukrempeln, ist stärker. Stärker als der Schüttelfrost, das Erbrechen und die restlichen Entzugserscheinungen.

Jörg König auf dem Weg in den Mendener Ratssaal. Die Politik ist für das Mitglied von Die Linke ein zusätzlicher Halt im Leben.
Jörg König auf dem Weg in den Mendener Ratssaal. Die Politik ist für das Mitglied von Die Linke ein zusätzlicher Halt im Leben. © Arne Poll

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Nachdem sein Körper sich nach Jahren der Drogen- und Medikamentenabhängigkeit endlich erholt hat, besucht Jörg König die Anonyme Drogenberatung der Hönnestadt (Drobs). „Das war mein Halt.“ Die Ernsthaftigkeit verschwindet, ein Lächeln huscht über Königs Gesicht. In Sozialarbeiter Thomas Zimmermann habe er jemanden gefunden, dem er bis heute zutiefst dankbar und freundschaftlich verbunden ist. Nach und nach erhellt sich die Welt Königs so wieder. „Wenn man 30 Jahre extrem süchtig ist, verpasst man viel. Ich kannte das Gefühl Liebe nicht, man stumpft vollkommen ab.“ Das sei so weit gegangen, dass er sich mit Anfang 40 fühlte wie ein Teenager in der Pubertät. Jetzt will er anderen Anhängigen einen Ausweg zeigen.

Die Anfänge

Jörg König schlendert über den Platz vor dem Alten Rathaus. Die Sonne strahlt. Dort, nur einen Steinwurf von der Kirchtreppe und dem Jugendtreff Zentrum entfernt, hat vor mehr als 30 Jahren alles angefangen. In einem Alter, das sonst von den täglichen Problemen der Pubertät geprägt sein sollte. Mit gerade einmal 14 Jahren konsumiert Jörg König das erste Mal Drogen – und soll lange Zeit nicht mehr davon loskommen.

An eine Situation aus seiner Zeit damals erinnert er sich heute noch: „Ich habe gerade Heroin in einer Spielothek gekauft. Am Kirchplatz habe ich dann einen Streifenwagen gesehen und das Zeug in Richtung Mülleimer geschnipst.“ König beschreibt es mit einer Mischung aus kurioser Erinnerung und einer gewissen Ernsthaftigkeit – aus heutiger Sicht. „Die haben mich dann an die Wand gestellt und durchsucht. Und auch den Mülleimer durchsucht. Gefunden haben sie es aber nicht, weil es daneben lag.“ König kommt davon. Stunden später kehrt er ein wenig paranoid zurück – und findet das Päckchen Heroin noch neben der Mülltonne. Er ist zu dem Zeitpunkt schon stark entzügig, getrieben nach dem nächsten Kick, dem nächsten Rausch.

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Die Tiefpunkte

Mit 17 kommt die erste Entgiftung. Doch damals lief eine Entgiftung noch vollkommen anders ab. Methadon als Heroin-Ersatz gab es nicht. Zehn Tage Erinnerung aus der Entgiftung sind bis heute noch wie aus dem Gedächtnis gelöscht, sagt König. Er sei damals „relativ schnell ins Delirium gefallen“. König – nicht Herr seiner Sinne – randaliert im Krankenhaus, verwüstet das Zimmer und schlägt dem Oberarzt ein blaues Auge.

Ex-User sind die besten Aufklärer

„Jörg ist eine absolute Bereicherung“, sagt Thomas Zimmermann von der Anonymen Drogenberatung Menden. Anders als die Experten der Drobs könne König vor allem Schülern deutlich besser vermitteln, wie es wirklich ist, drogenabhängig zu sein. „Er berichtet aus dem Leben und beantwortet die Fragen der Jugendlichen“, sagt Zimmermann. Da komme es auch vor, dass selbst die unruhigsten Jugendlichen bei Königs Vorträgen mucksmäuschenstill sind.

Mit den Jahren habe König zudem seine Art gefunden, mit den Jugendlichen zu sprechen. „Früher war er noch sehr nervös und aufgewühlt“, erzählt Zimmermann. Im Anschluss hätten die beiden viele Gespräche geführt, gerade in Phasen, da nicht alles nach Plan lief. Dann kam es auch schon mal vor, dass König mehrere Minuten im Kreis um einen Tisch gelaufen ist, weil die Ideen nur so sprudelten. Zimmermann lacht. „Er hat natürlich unheimlich viele Ideen und versucht dann immer, alles zu mobilisieren.“ Inzwischen sei der 47-Jährige aber deutlich „gechillter“, was nicht zuletzt einer festen Arbeit, seiner Freundin und einem geregelten Umfeld zu verdanken sei.

Die Drogenprävention spielt in der Drobs aber nicht nur rund um die Vorträge von Jörg König eine große Rolle. Vor wenigen Wochen hat die Drobs der Politik ein neues Konzept vorgestellt. Konkret geht es um die Aufstockung um eine halbe Stelle. Die solle es ermöglichen, alle Schulklassen der Hönnestadt zu erreichen.

Kokainwelle im Kreis

Um die Drogenszene ist es indes nicht gut bestellt. Zuletzt machten Berichte über mehrere Drogentote in Iserlohn die Runde. Offiziell heißt es, dass noch keine Mendener unter den Opfern sind. Und auch in der Drobs hat man das Thema im Blick, gerade weil das verunreinigte Kokain intravenös gespritzt werde. „Wir sind dazu mit Mendener Betroffenen im Gespräch“, erklärt Zimmermann.

Dann, nach mehreren Tagen, kommt er wieder zu sich. „Ich hatte keine Erinnerung und kein Zeitgefühl“, sagt König. Kaum entgiftet, gibt’s direkt einen Rückfall. Aus dem Krankenhaus direkt zum Dealer. Zwei Jahre später, mit erst 19 Jahren, folgt – von den Eltern unterstützt – eine Therapie in Berlin. Zehn Jahre verbringt der heute 47-Jährige in der Landeshauptstadt. Obdachlosigkeit, abgebrochene Therapien und Straftaten eingeschlossen. „Berlin war schlimm“, sagt König und senkt den Blick. Techno-Szene und Love-Parade seien wie Gift gewesen. „Ich war damals bei der ersten Parade dabei. Mit einem Wagen ging es vom Adenauer bis zum Nolli“, erinnert er sich. Zu dieser Zeit wird König auch Vater, den Kontakt zu seiner inzwischen 25-jährigen Tochter hält er bis heute.

Die neue Kraft

Aus einem Leben ohne Drogen schöpft König schnell neue Kraft. Die Ziele, von denen er eines Nachts träumte, haben sich inzwischen fast alle erfüllt. Für Die Linke sitzt er als beratendes Mitglied im Kinder- und Jugendhilfeausschuss sowie im Betriebsausschuss Stadtentwässerung. Mit dem Drahtesel radelte er 2016 nach Berlin, um die damalige CSU-Drogenbeauftragte Marlene Mortler zur Rede zu stellen. Ein zugesagter Termin platzte zwar, steht aber noch immer auf der Agenda Königs. „Ich werde noch mit der neuen Bundesdrogenbeauftragten sprechen“, versichert der Mendener mit einem Augenzwinkern.

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Heute will der 47-Jährige anderen Drogenabhängigen ein Vorbild, eine Stütze, sein. Aber: ohne Familie und Freunde geht es nicht. Zusammen mit der Drobs hält er Aufklärungsseminare in Schulklassen. Das schönste, sagt er, ist es zu sehen, wie die Kinder förmlich an seinen Lippen hängen, wenn er von seiner Drogenvergangenheit erzählt. Mucksmäuschenstill ist es dann im sonst trubeligen Klassenzimmer. Prävention sei das beste, was man machen kann. Abhängigkeit – so scheint es – ist für König eine Verpflichtung zur Prävention.

Halt findet er aber nicht nur in seiner ehrenamtlichen Arbeit in der Drogenprävention. Auch Freundin Hope gibt ihm wortwörtlich „Hoffnung“. Denn nach 30 Jahren wie hinter einem grauen Vorhang schöpft er genau daraus seine Kraft. Bei dem Gedanken an seine Arbeit in einem Heizungsbauunternehmen weicht die ernste Miene, der 47-Jährige strahlt plötzlich. Er sei abends manchmal zwar völlig kaputt, aber glücklich. „Meine neue Droge ist das Leben“, sagt König voller Überzeugung.

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