Olpe. Paul Imhäuser hat in den 90er-Jahren die Metallwerke auf der Olper Hütte vor dem Aus bewahrt. Wie er das geschafft hat? Das ist seine Geschichte.

Das Schild steht noch immer dort. Es ist ein bisschen verwittert, doch die Lettern haben die Jahre überstanden. Nahezu unbeschadet. So wie die Firma, für die sie stehen. Paul Imhäuser steht auf dem Firmengelände der Metallwerke auf der Olper Hütte. Sein Blick ruht auf dem Wegweiser. Erinnerungen werden wach.

Er ist der Mann, der das Lebenswerk seines Ururgroßvaters Gustav Imhäuser in den 90er-Jahren vor dem Ruin bewahrt hat. Er ist der einzige, der damals den Mut hat, in ein hoch verschuldetes Unternehmen zu investieren. Mit Erfolg. „Auf der einen Seite tut es weh, heute hier zu stehen“, sagt Paul Imhäuser. „Auf der anderen Seite bin ich stolz auf das, was ich geschafft habe.“

Wie ein großer Verein

Das Schild erinnert an die Zeit, als die Familie Imhäuser die Metallwerke führte.
Das Schild erinnert an die Zeit, als die Familie Imhäuser die Metallwerke führte. © Verena Hallermann

Die Olper Hütte ist als Industrie-Standort gewachsen. Mehr als 20 Unternehmen haben sich dort angesiedelt. Im 20. Jahrhundert gehört das Gelände noch ausschließlich den Metallwerken. Auf 88.000 Quadratmetern erstreckt sich die Rohrzieherei und die Bunt-Metall-Gießerei. Dort entstehen damals Kugelschreiberminen, Teleskopantennen und Gussteile aus Kupfer und Aluminium.

Die Metallwerke gehören der Großfamilie Imhäuser, gegründet von Gustav Imhäuser im Jahr 1901. Er ist von Hause aus Gerber und hat 15 Kinder, die er alle gleichermaßen an seinem Unternehmen beteiligt – und später auch deren Kinder. „Als ich 1985 als kaufmännischer Angestellter einstieg, waren wir 23 Gesellschafter“, erzählt Paul Imhäuser, der damals 28 Jahre alt ist. „Das sorgte für Streitereien. Man kann es sich vorstellen, wie einen großen Verein auf einem Spielfeld.“

Paul Imhäuser wendet sich dem Fachwerkhaus mit den grünen Fensterläden auf der Olper Hütte zu. Es ist das damalige Verwaltungsgebäude der Metallwerke Gustav Imhäuser. Dort ist er geboren, als viertes Kind der Eheleute Kurt und Kitty Imhäuser. „Es berührt mich sehr, wieder hier drin zu sein“, sagt der 63-Jährige und blickt sich in den Räumen um, die Geschichte geschrieben haben. Die Wohnung seiner Eltern, in der er mit seinen drei Schwestern aufgewachsen ist und seiner Kindheit und Jugend verbringt, sein alter Arbeitsplatz, der Konferenzraum. Jahre der Freude und Stärke haben diese Wände erlebt – aber auch dunkle Stunden. Krisen erschüttern die Metallwerke immer wieder.

Nur einer hebt die Hand

Steckbrief

Paul Imhäuser ist 63 Jahre alt und seit 1988 mit seiner Frau Jutta verheiratet. Die beiden haben drei Töchter.

Von 1997 bis 2012 war er 1. Vorsitzende der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Olpe. 2000 war er Schützenkönig.

Seine Leidenschaft gehört dem Golf. Er spielt seit 50 Jahren. Zwischendurch gehörte er zu den besten 100 Amateurspielern in Deutschland.

Und dann ist er da, der Winter 1993/1994. Paul Imhäuser hat mittlerweile seinen Weg vom Handlungsbevollmächtigten zum Prokuristen und schließlich zum Geschäftsführer hinter sich. Das Unternehmen steht vor dem Ende. Der Markt ist zusammengebrochen, der Betrieb ist veraltet und völlig überdimensioniert, in der Geschäftsführung und bei den Gesellschaftern herrscht Uneinigkeit. Paul Imhäuser bittet bei der Hausbank um Unterstützung. Er bekommt sie in Form eines erfahrenen Managers. Schnell wird klar: Das Unternehmen braucht Geld. Jetzt. Doch wer von den 23 Gesellschaftern ist bereit, zu investieren? Wer übernimmt die Verantwortung? Es ist Paul Imhäuser, der die Hand hebt. Nur Paul Imhäuser.

Weitere Mutmacher in der Region:

15. Januar 1994. Die Gesellschafter übertragen ihre Anteile an Paul Imhäuser für einen symbolischen Wert in Höhe von einer DM. Jetzt steht er allein da. Allein mit zwölf Millionen DM Bankschulden. „Das Unternehmen war kaputt, es war kein Vermögen da“, erinnert er sich. „Aber ich war jung, ich war euphorisch. Ich habe gedacht, irgendwie kriegst du das hin. Wenn ich damals Nein gesagt hätte, wäre die Firma insolvent gegangen.“ Zusammen mit Berater Günter Kelle-Emden macht er sich an die Arbeit, das Unternehmen zu sanieren. Personal wird ausgewechselt. Ein neuer Einkaufsleiter, ein weiterer Geschäftsführer unterstützen ihn. „Wir haben von einem Tag in den nächsten gelebt“, sagt Imhäuser. „Das war eine extrem stressige Zeit.“ Doch dann die ersten Erfolge. Die Umsätze gehen langsam hoch. Neue Ideen entstehen, neue Produkte, neue Kunden. Aber die nächste Krise lässt nicht lange auf sich warten.

Ein schwarzer Tag

Paul Imhäuser sitzt vor dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Metallwerke. Dort ist er auch aufgewachsen.
Paul Imhäuser sitzt vor dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Metallwerke. Dort ist er auch aufgewachsen. © Verena Hallermann

Die Bankenkrise 2008 trifft auch die Metallwerke Gustav Imhäuser hart. Die Umsätze brechen wieder ein, es gibt keine Rücklagen. Eine Besserung ist nicht in Sicht. „Ich habe mich ein ganzes Wochenende mit fachkundigen Beratern eingeschlossen“, erinnert sich Paul Imhäuser. „Aber es ging nicht anders, die Entscheidung stand fest.“

Am 29. Juni 2009 meldet er beim Amtsgericht Siegen Insolvenz ein. Ein Montagmorgen, den er nie vergessen wird. Er erinnert sich an die steinernen Gesichter seine Mitarbeiter auf der Betriebsversammlung. Er weiß noch, wie er als Major des St.-Sebastianus-Schützenvereins Olpe Tage später auf dem Marktplatz steht und seine Ansprache hält. „Meine geschäftlichen Probleme sollten mich nicht davor abhalten, ein schönes Schützenfest zu wünschen“, erzählt er. „Ich habe jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie 800 Schützen aus Respekt mit ihren Holzgewehren auf den Boden klopften. Mich hat das stark gemacht, auch wenn man zunächst denkt, wie will man das überstehen. Weglaufen war für mich nie eine Option.“

Neue Investoren gesucht und gefunden

Paul Imhäuser ist damals schon nicht allein. Seine Frau Jutta steht an seiner Seite, genau wie seine drei Kinder und seine Mutter. Und so behält er seinen Mut, plant zusammen mit seinem Insolvenzverwalter die nächsten Schritte. Jetzt ist es wichtig, die Kunden zu behalten. Also reist Paul Imhäuser um die Welt. USA, England, Spanien, Frankreich, Asien. Mehrere Wochen ist er unterwegs, redet mit den Kunden – und überzeugt fast alle, bei der Stange zu bleiben. Imhäuser gewinnt zudem noch einige Investoren, rettet somit das Unternehmen, das es bis heute – nur unter neuen Inhabern – noch immer gibt. „Das war Anspannung pur bis zum letzten Tag“, sagt er. „Was man braucht, sind gute Berater an seiner Seite, man darf nicht beratungsresistent sein und muss mit Zuversicht an die Sache ran gehen.“ Weitere vier Jahre ist Imhäuser Geschäftsführer und Gesellschafter der „neuen“ Rohrzieherei. Ende 2012 verkauft er seine Anteil, um etwas ganz Neues zu beginnen.

Mittlerweile ist Paul Imhäuser als Unternehmensberater aktiv. 2013 hat er sich selbstständig gemacht. Er hilft mittelständischen Unternehmen auf dem Weg zu einer optimalen inneren Struktur. Denn es ist nicht nur der Markt oder die Produkte, die über Erfolg entscheiden, betont er. Es sind vor allem die Mitarbeiter und deren Motivation. Authentizität, Erfolg, Freiheit, Freude, Leidenschaft, Führung mit Menschlichkeit – dafür steht Paul Imhäuser. Und natürlich Mut. Nicht Mut zum Risiko, sondern Mut zur Einsicht und zur Wahrheit. Mut zum Kämpfen.

Mehr Freude am Unternehmertum

Paul Imhäuser steht in dem Konferenzraum in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Metallwerke Gustav Imhäuser. Er blickt auf den großen Tisch, erinnert sich, wie dort einst 23 Gesellschafter gesessen haben. Ob er heute jemanden raten würde, sich 14 Millionen Euro Bankschulden aufzuhalsen, um sein Unternehmen zu retten? Nein, sagt er. Doch nicht etwa, weil er seine Entscheidung bereut. Im Gegenteil. „Diesen Rat kann man aber niemanden geben, das muss man selbst wollen“, erklärt er. „Man muss selbst die Kraft haben, zu sagen, ja, ich mache weiter. Auch auf die Gefahr hin, dass es schief gehen kann.“

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Und Paul Imhäuser macht weiter. Als Unternehmensberater möchte er seine Erfahrung weitergeben. Denn wenn er heute an der Olper Hütte vorbeifährt, weiß der 63-Jährige, wofür er gekämpft hat. Viele Mitarbeiter von damals arbeiten noch dort, einen Großteil der Produkte gibt es auch noch. „So wie man mir damals geholfen hat, möchte ich jetzt helfen“, erklärt er. „Mein Ziel ist es, dass Unternehmer mehr Freude am Unternehmertum haben. Und dass mit ihren Mitarbeitern gemeinsam. Und somit natürlich auch erfolgreicher sind.“