Arnsberg. Arnsberger Lokalhistoriker gibt Einblicke in die Zwangsarbeit während der Nazizeit. Sauerland-Museum lädt zu kostenlosem Vortrag.
Die Gräueltaten der Nationalsozialisten in den 1930er- und 1940er-Jahren erlangen angesichts der aktuellen Diskussion über das Wiedererstarken rechter Kräfte in Deutschland an Bedeutung. Dazu zählt unter anderen der Einsatz von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs. Auch in Arnsberg gab es Unternehmen, die sich dieser Arbeitskräfte bedienten.
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Am 30. Januar findet im Blauen Haus des Sauerland-Museums in der Reihe „Brennpunkt Heimat“ ein Vortrag zur Zwangsarbeit in Arnsberg durch den Arnsberger Lokalhistoriker Reiner Ahlborn statt. Von 2003 bis 2007 hat Ahlborn die Geschichtswerkstatt geleitet. Diese Einrichtung hatte die Aufgabe gehabt, lokale Zwangsarbeit zu erforschen und zu dokumentieren. „Ausgangspunkt war eine Initiative der Bundesregierung. Diese hatte eine Stiftung gegründet, mit der ehemalige Zwangsarbeiter entschädigt werden sollten. Ein Teil des Stiftungsvermögens stammte aus Steuermitteln, ein anderer durch die deutschen Unternehmen selbst, die von der Zwangsarbeit wirtschaftlich profitiert hatten. Im Zuge dieser öffentlichen Debatte hatte sich auch der frühere Arnsberger Bürgermeister Hans-Josef Vogel für die Aufarbeitung starkgemacht“, berichtet Ahlborn.
Vogel hatte der Geschichtswerkstatt Wege geöffnet und Dokumente zur Verfügung gestellt, die damals nicht so einfach zugänglich waren. „Es gab Firmen in Arnsberg, die bis zuletzt geleugnet haben, dass sie Zwangsarbeiter beschäftigten. Und leider hat auch der Arnsberger Heimatbund eine Unterstützung unserer Arbeit verweigert. Mit dieser heiklen Thematik wollte man nichts zu tun haben“, erinnert sich Ahlborn.
Die Arbeit der Geschichtswerkstatt
Er war einer der 15 engagierten Menschen, die sich insgesamt vier Jahre lang durch Quellen und Dokumente arbeiteten. „Jeder war für einen Ortsteil zuständig. Manchmal gab es noch eine zweite Person, die mithalf. Dabei sind wir nicht nur den Fragen nachgegangen, wer wo und wie untergebracht war. Uns hat auch interessiert, wie die ärztliche Versorgung gewesen ist, welche Lebensmittel die Zwangsarbeiter bekamen und welche Verletzungen sie erlitten. Viele hatten beispielsweise aufgrund des unzureichenden Schuhwerks Fußverletzungen. Manche verloren bei der schweren Arbeit auch Gliedmaßen, einige starben“, fand Reiner Ahlborn heraus.
2007 präsentierte die Geschichtswerkstatt, die mittlerweile aufgelöst wurde, ihre Ergebnisse. Damals gab es rund 7000 Einträge zu Zwangsarbeitern in Arnsberg. Durch Recherchen ist es dem Lokalhistoriker nun gelungen, die Zahl der Einträge auf über 11.000 zu erhöhen. Diese seien nicht mit der Anzahl an Zwangsarbeitern gleichzusetzen. „Wir haben in vielen Fällen zu einer Person gleich mehrere verschiedene Einträge. Dadurch kann man rudimentär ganze Lebenswege nachzeichnen“, sagt Ahlborn.
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Möglich gemacht hatte die Recherche eine Veränderung beim Internationalen Suchdienst. Dieser hatte unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg deutsche Behörden und Institutionen dazu aufgefordert, Informationen über seit dem 1. Januar 1938 registrierte ausländische Personen in Deutschland herauszugeben. Daraus entstand eine gewaltige Kartei mit mehreren Millionen Karten. „Diese Karten sind seit 2015 sukzessive online veröffentlicht worden. Allein für Arnsberg kann man 53 Ordner mit hunderten Dokumenten finden“, erzählt Ahlborn.
Tägliches Miteinander
In seinem Vortrag am 30. Januar im Sauerland-Museum wird Ahlborn auch auf die Frage nach der Mitschuld der Zivilbevölkerung am Leid der Zwangsarbeiter eingehen. „In Arnsberg gab es Tausende Zwangsarbeiter. Man ist ihnen im Grunde genommen in irgendeiner Form täglich begegnet. Viele haben auch mit ihnen zusammen am Arbeitsplatz Zeit verbracht. Man kann weder leugnen, dass es sie gab, noch sich selbst aus der Verantwortung ziehen!“, betont Ahlborn. „Nach dem Krieg wurde von einigen Arnsbergern dann behauptet, dass die Zwangsarbeiter geraubt und gemordet hätten. Man wollte sich so selbst reinwaschen und von der eigenen moralischen Verantwortung ablenken in der Bevölkerung.“
Besucherinnen und Besucher des Vortrags erfahren mehr über die ethnischen Gruppen, die in Arnsberg als Zwangsarbeiter tätig waren. Die Mehrzahl stammte aus der Ukraine, aber auch aus den westlichen Gebieten, die von den Nazis unterworfen wurden. Ahlborn will auch herausgefunden haben, dass die Opferzahl der Zwangsarbeiter höher war, als lange Zeit von der Forschung angenommen. Für Karin Fischer vom Sauerland-Museum sei ein solcher Vortrag auch wichtig, um die Erinnerung aufrechtzuerhalten. „Wir tragen hierbei eine große Verantwortung.“
Die Veranstaltung findet im Blauen Haus um 18 Uhr statt und bietet Platz für 100 Personen. „Eine Anmeldung per Telefon unter 02931/94-4444 ist wünschenswert, aber man kann auch spontan vorbeikommen“, sagt Karin Fischer. Der Eintritt zum Vortrag ist frei.