Marsberg-Essentho. Tag der Entscheidung bei Ritzenhoff: der Glaubigerausschuss stimmt dem Sanierungskonzept zu. Die Details der Vereinbarungen im Überblick.
Jetzt ist eine Entscheidung gefallen: Sowohl die Mitarbeiter der Ritzenhoff AG als auch der Gläubigerausschuss haben sich für das Fortführungskonzept der Investorengruppe entschieden. Damit geht es für das Traditionsunternehmen aus dem Sauerland mit der Investorengruppe um die Familie Ritzenhoff/Zeppenfeld und Unternehmer Robert Tönnies weiter.
Es gibt eine Zustimmung zu notariellem Kaufangebot für die Ritzenhoff AG . Die Fortführung des Betriebs erfolgt in neuen Gesellschaften. Die Kernpunkte des Tags der Entscheidung für Ritzenhoff am Mittwoch sind:
* Gläubigerausschuss und Banken stimmen dem Gesamtverkauf zu
* Einigung zwischen den Nachfahren des Gründers und Minderheitsgesellschafter Robert Tönnies auf übertragende Sanierung
* Tradition der Glasproduktion in Marsberg wird fortgesetzt
Nach intensiven Gesprächen und Verhandlungen mit verschiedenen Interessenten, wurde dem Gläubigerausschuss ein notarielles Kaufangebot vorgeleg, heißt es in eriner Mitteilung von Ritzenhoff vom Mittwochnachmittag. Die Nachfahren des Gründers hätten mit Unterstützung des Minderheitsgesellschafters Robert Tönnies eine übertragende Sanierung auf Nachfolgegesellschaften angeboten, um Ritzenhoff in die Zukunft zu führen. „Seit der heutigen Sitzung des Gläubigerausschusses sind alle Voraussetzungen zum Wirksamwerden dieses Angebotes erfüllt. Der Gläubigerausschuss, die Banken und die Belegschaft haben dem Angebot zugestimmt. Damit kommt der Kaufvertrag zustande“, heißt es in der Mitteilung. Der Vollzug des Kaufvertrages werde voraussichtlich Ende April erfolgen, da die Zustimmung der Kartellbehörden und der Gläubigerversammlung abgewartet werden müsse. Das Angebot markiere nicht nur einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte des Unternehmens, sondern ist auch ein positives Signal für die Glasproduktion am Standort Marsberg.
Neue gesellschaftsrechtliche Struktur
Ritzenhoff wird wie berichtet in drei Gesellschaften aufgeteilt. Die Mitarbeiter der Verwaltung wechseln in die RZT Group, die Mitarbeiter aus der Produktion, dem Vertrieb, der Logistik und dem Marketing in die RZT Glass. Die in der Veredlung tätigen Mitarbeiter arbeiten zukünftig in der RZT Decoration. Nach dem Vollzug der Transaktion samt Übergang der Marken und Namensrechte ist eine Umbenennung der RZT Erwerbsgesellschaften in „Ritzenhoff“ geplant.
Neues Kapitel beginnt für die Ritzenhoff AG
Carsten Schumacher, Vorstandsvorsitzender der Ritzenhoff AG, zeigt sich erleichtert: „Die vergangenen Monate waren sehr herausfordernd für uns alle. Allen voran gilt mein Dank unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Ritzenhoff AG für ihr großartiges Engagement und ihr Durchhaltevermögen. Ich sehe im Kaufangebot und der damit einhergehenden übertragenden Sanierung großes Potenzial, uns zukunftsfähig sowie wirtschaftlich tragfähig aufzustellen und neue Wege für Innovation und Wachstum zu eröffnen. Ich freue mich, dass der Gläubigerausschuss, die Banken und die Belegschaft den Weg dafür frei gemacht haben.“
Innovationen und Wachstum Ziel von Ritzenhoff
Durch die übertragende Sanierung eröffnen sich auch neue Wege für Innovationen und Wachstum, so die Ritzenhoff AG. Dr. Martin Kaltwasser, Partner der Kanzlei LIESER Rechtsanwälte, hat das Eigenverwaltungsverfahren der Ritzenhoff AG als Generalhandlungsbevollmächtigter begleitet. Er sagt: „Es ist eine privilegierte Situation, bereits früh im Prozess mit Investoren ins Gespräch zu kommen. Das Unternehmenskonzept hat sehr gute Chancen im Glasmarkt erfolgreich zu sein.“ Jens Lieser, Gründungspartner der Kanzlei LIESER Rechtsanwälte, ergänzt: „Das vorliegende Kaufangebot ist das Ergebnis umfassender Verhandlungen. Es resultiert aus fundierten Finanz- und Investitionsplanungen und strategischen Überlegungen des Investors, um eine stabile Grundlage für die Zukunft des Betriebs zu schaffen. Neben den wirtschaftlichen Interessen des Erwerbers, werden durch das Angebot auch die Interessen der Gläubiger im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften berücksichtigt, wofür die Eigenverwaltung intensive Verhandlungen mit der Investorenseite geführt hat. Für die Gläubiger ist dieses Angebot die beste der vorliegenden Optionen. Das Angebot ist ein klares Zeichen dafür, dass die Glasproduktion an diesem Standort zukunftstauglich ist. Wir freuen uns, dass es für eine Vielzahl der Beschäftigten bei Ritzenhoff eine Zukunft gibt und die Sanierung dieses deutschen Traditionsunternehmens gelungen ist.“
Robert Tönnies ist bereits als Unterstützer der Ritzenhoff AG bekannt
Bereits im Herbst 2023 hatte sich Robert Tönnies an der Ritzenhoff AG beteiligt, um die Inhaberfamilie bei der Neuausrichtung des Unternehmens zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund hatte Robert Tönnies auch im weiteren Restrukturierungs- und Sanierungsprozess seine Unterstützung zugesichert – mit der nunmehr geglückten übertragenden Sanierung konnte dieses Versprechen in die Tat umgesetzt werden.
Robert Tönnies äußert sich optimistisch zur zukünftigen Zusammenarbeit: „Ich glaube an den Betrieb, der bereits seit 120 Jahren hier in meiner westfälischen Heimat ansässig ist. Die Entschlossenheit und das Engagement des gesamten Ritzenhoff-Teams haben mich sehr beeindruckt und letztlich auch überzeugt, hier erneut zu investieren. Alle Beteiligten freuen sich nun auf eine fruchtbare Partnerschaft und sind zuversichtlich, dass unsere gemeinsamen Bemühungen das Unternehmen wieder erfolgreich machen.“
Hintergründe der übertragenden Sanierung
Für die Ritzenhoff AG war am 25. Januar 2024 ein Eigenverwaltungsverfahren eingeleitet worden, das zum Ziel hat, das Unternehmen aufgrund der immer weiterwachsenden wirtschaftlichen Herausforderungen strategisch neu auszurichten und auf diesem Weg langfristig zu stabilisieren. Die CoViD-19-Pandemie und die gestiegenen Energiepreise haben das Geschäftsumfeld der Gesellschaft stark beeinflusst und diesen Schritt notwendig gemacht.
Die Investoren wollten das gesamte Unternehmen erwerben, auch die Immobilien und die Markenrechte. Allerdings nur, wenn 95 Prozent der Mitarbeiter und der Gläubigerausschuss dem Sanierungstarifvertrag zustimmen. Die Entscheidungsfrist ist am Mittwoch, 27. März, 12 Uhr abgelaufen, zu diesem Zeitpunkt war auch das Zusammenkommen des Gläubigerausschusses geplant. Im Gläubigerausschuss sitzen neben den Banken Vertreter von Lieferanten, des Betriebsrats und der Bundesagentur für Arbeit.
Gewerkschaft kritisierte die Abstimmung zum Fortführungskonzept
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Kritik kommt indes von der Gewerkschaft IGBCE, mit der Ritzenhoff die Verhandlungen über einen Sanierungstarifvertag am Donnerstag abgebrochen hatte, wie beide Seiten bestätigen. Die Entscheidung, die Ritzenhoff-Mitarbeiter nun bis Mittwochmittag über das Fortführungskonzept abstimmen zu lassen, gehe mit immensem Druck des Arbeitgebers einher. „Unsere Mitglieder fühlen sich massiv unter Druck gesetzt“, sagte Gewerkschaftssekretär Andreas Bier der WESTFALENPOST (lesen Sie hier die ausführlichen Aussagen). Auch der Betriebsrat, der sich erst nach der Abstimmung am Mittwoch äußern möchte, sei „massiv“ unter Druck gesetzt worden.