Marsberg/Essentho. Der Glashersteller Ritzenhoff entlässt viele Mitarbeiter. Für die 89 Betroffenen ein harter Schlag. Nun gibt es weitere wichtige Verhandlungen.
Schockstarre bei Ritzenhoff: Im Rahmen des Insolvenzverfahrens in Eigenverantwortung ist nun klar, dass viele Jobs abgebaut werden. Andreas Bier von der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) und zuständiger Gewerkschaftler für Ritzenhoff bestätigt im Gespräch mit der WP, dass 89 Mitarbeitende von Ritzenhoff gehen müssen, die Entlassungen betreffen alle Bereiche des Unternehmens von der Verwaltung bis hin zur Produktion. Anfang des Jahres 2024 waren noch 430 Mitarbeiter bei dem Glashersteller angestellt. Somit werden rund 20 Prozent der Belegschaft entlassen.
Stimmung auf Ritzenhoff-Belegschaftsversammlung wie „paralysiert“
Am Montagnachmittag (18. März) sind alle 430 Mitarbeiter in einer Belegschaftsversammlung durch den Arbeitgeber, den Betriebsrat sowie die Gewerkschaft informiert worden. „Wir haben alle Mitarbeiter eingeladen und fast alle sind auch gekommen“, sagt Andreas Bier, der die Stimmung als „paralysiert“ beschreibt. „Als wir die Zahl nannten, war es mucksmäuschenstill. Wie ein Kaninchen vor der Schlange haben die Mitarbeiter dort gesessen, denn keiner hat gewusst, ob er dabei ist oder nicht.“ Man habe vier verschiedene Cluster gebildet, die Mitarbeiter aufgeteilt und dann in separaten Räumen Briefe mit den Kündigungsschreiben verteilt.
Transfergesellschaft für die 89 entlassenen Mitarbeiter
Alle 89 Mitarbeiter, die entlassen werden, sind am selben Tag um 17 Uhr noch einmal zu einer weiteren Versammlung eingeladen gewesen, in der sie über den Einsatz einer Transfergesellschaft informiert worden sind. Bis Freitag, 22. März, müssen die Beschäftigten sich entschieden haben, ob sie zur Transfergesellschaft wechseln wollen. Dann verdoppelt sich die Kündigungsfrist von maximal drei Monaten auf sechs Monate und die Betroffenen werden in weiteren Maßnahmen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Auch das Arbeitslosengeld wird dann aufgestockt, inwiefern ist noch nicht ausverhandelt. Andreas Bier geht davon aus, dass gerade die zweite Versammlung „sehr emotional“ werde: „Das wird kein schöner Moment und das ist der schwerste Weg, den man gehen kann.“ Die WP hat den Betriebsratsvorsitzenden Axel Ballé direkt nach dem ersten Treffen der Belegschaft erreicht. Detailliert äußern möchte sich Ballé erst am Folgetag - mit mehr Ruhe. Er steht am Montagnachmittag kurz vor der Informationsveranstaltung der 89 entlassenen Mitarbeitenden.
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Die Entlassung von 89 Mitarbeitenden hätte nicht verhindert werden können
„Die Namensliste derjenigen Mitarbeiter, die nun gehen müssen, ist mit dem Betriebsrat abgesprochen. Dahinter steckt ein schwieriger Prozess, denn wir haben uns über jeden Namen einzeln und lange und intensiv Gedanken gemacht“, erklärt Andreas Bier direkt nach der Belegschaftsversammlung gegenüber der WP. „Fakt ist, dass ein neuer Investor mit dem bestehenden Personal zu viele Mitarbeitende hätte. Durch den Umsatzrückgang kann er nicht so viel produzieren, wie die Mannschaftsstärke von Ritzenhoff ermöglichen würde.“ Die Entlassung von 89 Mitarbeitenden hätte nicht verhindert werden können, ist sich Gewerkschaftler Bier sicher. „Die 89 war eine Zahl, die durch ein Investorenkonzept ermittelt wurde. Mit dieser reduzierten Rumpfmannschaft macht ein Invest für eventuelle Investoren Sinn. Hätte der Betriebsrat dem nicht zugestimmt, wäre es auf eine Komplettschließung hinausgelaufen.“ Die aktuelle Lage sei keine Situation, zu der die Gewerkschaft hätte Nein sagen können, wie Bier erklärt. „Ich hätte heute sonst in 430 Gesichter geschaut und sie über ihre Entlassung informieren müssen.“
Bestätigen kann Bier, dass es mehrere interessierte Investoren gibt, wie viele und wer weiß er allerdings nicht. „Alles ist gerade im Fluss“, sagt er. Die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber allerdings würden gut laufen - „wertschätzend“, wie Bier sagt. Zwar habe man nur eine enge Zeitspanne, denn bis zum 1. April muss ein Investor gefunden werden, um die Eröffnung eines regulären Insolvenzverfahrens zu vermeiden, allerdings sei man „gut unterwegs“. Ob das Unternehmen nach dem 1. April die volle Wucht des Insolvenzverfahrens treffen wird und ob und wie es fortgeführt werden kann, dazu macht Bier noch keine Angaben. „Ich wünsche es mir und bin voller Hoffnung. Der Prozess hängt aber an vielen Faktoren. Heute reden wir über die 89 entlassenen Menschen, aber ich muss auch an den Bestand denken und dazu bringen wir unsere ganze Energie auf, um die Zukunft zu sichern.“ Es gebe aber positive Signale bezüglich eines Sanierungstarifvertrages, erste Punkte werden in dieser Woche schon besprochen.
Konkrete Informationen rund um Ostern
Andreas Bier klingt am Nachmittag der Belegschaftsversammlung müde und abgekämpft. „Mich nimmt sowas mit, das ist nicht schön. Ich wünsche Ritzenhoff wirklich alles Gute und hoffe, dass die Kunden das Glas am Ende auch haben wollen. Ja, das ist ein Appell an die Kunden, sich nicht von dem Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung abschrecken zu lassen.“
Konkrete Informationen, wie es bei Ritzenhoff weitergehen soll, soll es spätestens nach Ostern geben. Die WP hat auf verschiedenen Wegen versucht, das Unternehmen Ritzenhoff und die Consilium Rechtskommunikation, die die Krisenkommunikation übernommen hatten, noch am Montagabend zu erreichen. Die Unternehmenssprecherin konnte auf Anfrage der Westfalenpost keine Auskunft geben.