Herning. Bundesliga-Legende Lars Christiansen über das deutsch-dänische Handballverhältnis, Juri Knorr und Mathias Gidsel sowie WM-Aussichten.

In Flensburg ist der Platz vor der Halle nach ihm benannt, in Herning war er WM-Botschafter für den Co-Gastgeber. Lars Christiansen ist sowohl für den deutschen als auch den dänischen Handball von immenser Bedeutung. Der SG Flensburg-Handewitt verhalf der Linksaußen während seiner Bundesliga-Ära (1996 bis 2010) dort zur ersten Deutschen Meisterschaft, für sein Heimatland ist er Rekord-Nationalspieler (338 Einsätze) und -Torschütze (1503 Treffer). Mit wem ließe sich zum Abschluss der Partien in Herning und Start der Entscheidungsspiele in Oslo besser über das deutsch-dänische Handball-Verhältnis sowie die WM-Chancen beider Teams sprechen als mit dem 53 Jahre alten Lars Christiansen?

Herr Christiansen, warum…

Lars Christiansen: Stop. Ich bin der Lars, Du bist der Andreas. Wir duzen uns, bitte.

Das Jahr, in dem er sich zur Legende machte bei der SG Flensburg-Handewitt: Als Linksaußen mit wahnsinnigen Trickwürfen führte Lars Christiansen die SG 2004 zu ihrer ersten Deutschen Meisterschaft.
Das Jahr, in dem er sich zur Legende machte bei der SG Flensburg-Handewitt: Als Linksaußen mit wahnsinnigen Trickwürfen führte Lars Christiansen die SG 2004 zu ihrer ersten Deutschen Meisterschaft. © Firo

Handball-WM: Woran sich Deutsche an Dänen ein Vorbild nehmen können

Das ist ungewöhnlich, aber wenn Du möchtest.

In Dänemark siezen wir nur unseren König. Jeder Mensch in noch so wichtigen Positionen darunter? Nur: Du. Aber ich habe das Glück, unseren König sogar persönlich richtig gut zu kennen. Deswegen darf ich auch zu Frederik X. Du sagen. (lacht)

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Großartig.

Diese Lockerheit könnte Euch auch guttun in Deutschland.

Stimmt, wir sind verkniffener. Warum passt es trotzdem zwischen Deutschen und Dänen im Handball so wunderbar?

Wir sind von Anfang an offen und locker. Das merke ich, wenn ich über die Grenze fahre. In Flensburg haben mich Kinder nach Spielen gesiezt, wenn sie Autogramme haben wollten. Aber das Verhältnis ist von Respekt und Wertschätzung geprägt. Ich mag deutsche Pünktlichkeit und Verlässlichkeit, die habe ich für mich auch zurück mit nach Dänemark genommen. Wobei ich mir gut vorstellen kann, in Deutschland zu leben.

Wo, wieder im Norden?

Nicht unbedingt. Ich mag Berlin, war vier-, fünfmal da, seitdem ich nicht mehr spiele. Viele Dänen sagen: Durch Deutschland fährt man nur durch, mehr nicht. Ich habe ein anderes Verhältnis zu Euch.

Handball-WM: Warum die Bundesliga das Nonplusultra für Weltstars ist

Der beste Spieler der Welt gegen den besten Torhüter der Welt: Mathias Gidsel bezwingt bei der WM Andreas Wolff.
Der beste Spieler der Welt gegen den besten Torhüter der Welt: Mathias Gidsel bezwingt bei der WM Andreas Wolff. © dpa | Sören Stache

Du und viele Deiner Landsleute haben die Bundesliga über viele Jahre bereichert, menschlich wie sportlich.

Das würde ich nie über mich sagen. Wir sind gute Handballer und menschlich in gewisser Hinsicht: einfach und umgänglich. Wir leben uns ein, passen uns an, wo wir gerade sind. Das schätzen die Deutschen an uns.

Und Ihr die Bundesliga, weil…

Jetzt sage bitte nicht, weil man dann so schnell zu Hause ist. Handballer mit großen Träumen müssen nach Deutschland. Oder nach Spanien, wenn Du das Wetter genießen möchtest. (lacht) Die besten Spieler suchen immer die größte Herausforderung. Gäbe es die in Frankreich, würden die Dänen dort spielen. Es ist aber die Qualität der Mannschaften, es sind die vollbesetzten Hallen: Deutschland hat mit Dänemark die besten Fans der Welt.

Lars Christiansen: Eine dänische Legende, aber nie mit der Krönung bei einer WM

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Du warst 2008 und 2012 Europameister. Auf den ersten WM-Titel musste Dein Land bis 2019 warten. Woran lag das?

An Frankreich! Die waren zu meiner Zeit und etwas danach, was die Dänen heute sind. Bei der WM 2007 in Deutschland waren wir schon Dritter und vier Jahre danach gar im Finale, verloren aber gegen Frankreich in der Verlängerung. Diese Krönung, Weltmeister geworden zu sein, fehlt mir.

Und jetzt winkt der vierte Titel in Serie. Spötter sagen, Nikolaj Jacobsen muss all die Stars um Welthandballer Mathias Gidsel gar nicht trainieren, sondern nur bei Laune halten.

Ganz anders, er bereichert das Team mit der perfekten Balance zwischen Trainer und Kumpel. Es wäre bei drei WM-Titeln dumm zu behaupten, er hätte keinen Anteil daran. Er kommt nach Aalborg, wird dänischer Meister. Er landet bei den Rhein-Neckar Löwen, beschert ihnen erstmals den Titel. Dann das dänische Team, mit dem er dreimal Weltmeister und Olympiasieger wird. Auch viele Stars muss man erst einmal in die Situation bringen, ihr Bestes zu geben.

WM 2007 in Deutschland: Lars Christiansen verwandelt gegen Frankreichs Thierry Omeyer einen Siebenmeter. Dänemark holt Bronze - Weltmeister aber wird der dänische Rekord-Nationalspieler nie.
WM 2007 in Deutschland: Lars Christiansen verwandelt gegen Frankreichs Thierry Omeyer einen Siebenmeter. Dänemark holt Bronze - Weltmeister aber wird der dänische Rekord-Nationalspieler nie.

Sein Schweizer Kollege Andy Schmid sagte in Herning, diese Dänen seien das beste Nationalteam, das er je gesehen habe.

Jedenfalls gab es kein besseres dänisches Team. Allenfalls die Franzosen damals mit Nikola Karabatic, Daniel Narcisse und Thierry Omeyer waren auch übermächtig. Aber stimmt, ich stelle mir ernsthaft die Frage, wer sie in Oslo schlagen soll.

Handball-WM: Es gibt nur einen Weg, wie man Dänemark Angst machen kann

Schon eine Antwort gefunden?

Jetzt sage ich schon wieder: Frankreich, falls überhaupt. Sie sind physisch stark – nur so kann man Dänemark Angst machen, denn spielerisch haben sie keinerlei Schwächen. Die Schweizer haben versucht, Mathias Gidsel und Simon Pytlick im Rückraum rauszunehmen. Das hat ganze zehn Sekunden geklappt.

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Mathias Gidsel beschwerte sich über diese Manndeckung. Es sei stinklangweilig, Handball spiele er ja nicht, um in der Mitte des Platzes mit jemandem Schweizerdeutsch zu sprechen.

Verstehe ich. Auf Schmids Vorschlag, sich das Trikot auszuziehen, damit er wieder auf eine normale Deckung umstellt, ist Mathias jedenfalls nicht eingegangen. Aber wenn er und Simon mal nicht zum Zuge kommen, schmeißt Nikolaj halt Thomas Arnoldsen oder Lasse Andersson rein. Es ist ein komplettes Team.

In dem der erst 24 Jahre alte Gidsel immer noch herausragt.

Das sind wir mittlerweile gewohnt. (lacht) Zehn Hütten und elf Vorlagen hat er gegen Deutschland gemacht – huiuiui.

Handball-WM: Christiansen über Gidsel: Bundesliga hat ihn zum Welthandballer gemacht

Dänemarks Welthandballer Mathias Gidsel in einem Bundesliga-Spiel für die Füchse Berlin.
Dänemarks Welthandballer Mathias Gidsel in einem Bundesliga-Spiel für die Füchse Berlin. © Firo

Er ist so schnell, bewegt sich schlangenartig um seine Gegner herum.

Und obendrein ist er handballclever, ahnt vieles voraus. Ich bin mit dem Herzen für Dänemark, aber auch der Kopf sagt mir, dass sie bei dieser WM unbesiegbar sein werden.

Deutschland bekommt ja vielleicht noch mal einen Versuch im Halbfinale.

Meinst Du? Die Deutschen haben eine gute, junge Mannschaft, aber auch im Olympia-Finale wurden sie völlig weggewischt von Dänemark. Wie hier. Sie machen sogar ein gutes Spiel, kassieren aber 40 Tore – so viele wie noch nie bei einem Turnier.

Hm, ja. Gidsel war verblüfft, das sei selbst für die Dänen eine der besten Leistungen jemals gewesen. Warum spielt er seit zweieinhalb Jahren bei den Füchsen Berlin und verdient nicht in Barcelona, Paris oder Veszprem mehr Geld?

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Weil in Deutschland die meisten Stars spielen. Auch wenn er in Dänemark schon unfassbar gut war, hat die Bundesliga ihn scharf und sogar zum Welthandballer gemacht. Anfangs hatte ich aber ein bisschen Angst um ihn.

Warum das?

Wegen seiner Physis. Entschuldige bitte meine deutlichen Worte, aber: Wie er ins Eins gegen Eins geht, kann er ordentlich auf die Fresse kriegen. In Berlin hat sich Mathias fünf bis zehn Kilo Muskeln draufgepackt. So wurde er bereit für die Bundesliga. Und auch in Berlin muss er in jeder Partie sein Bestes geben.

Handball-WM: Christiansen: Gidsel macht Lichtlein noch zu einem der Besten der Welt

Die Füchse sind froh, ihn ohne Ausstiegsklausel bis 2028 unter Vertrag stehen zu haben.

Wenn du alle Trainer der Welt fragst, welchen Spieler sie sich aussuchen könnten, würden 95 Prozent antworten: Mathias Gidsel. Handballerisch wie charakterlich, er passt perfekt in die Bundesliga. Mathias hat sie schon als Kind verfolgt, er liebt es, in ausverkauften Hallen vor so vielen Fans zu spielen. Ihr Deutschen habt ihn toll aufgenommen, Ihr feiert ihn in Berlin genauso wie auswärts. Und Ihr bekommt auch was dafür zurück.

Dänen-Legende Lars Christiansen hält große Stücke auf Nils Lichtlein, der in Berlin an der Seite von Mathias Gidsel zum Weltklasse-Spieler heranreifen könne.
Dänen-Legende Lars Christiansen hält große Stücke auf Nils Lichtlein, der in Berlin an der Seite von Mathias Gidsel zum Weltklasse-Spieler heranreifen könne. © dpa | Soeren Stache

Was genau?

Ihr habt schon Nils Lichtlein, bekommt in ihm aber einen Star. Nils spielt bei den Füchsen mit Gidsel und Lasse Andersson auf den Halbpositionen. Was glaubst Du, wie er sich als Spielmacher noch mit diesem Duo an seiner Seite entwickeln kann? Er hat alle Möglichkeiten, einer der Besten der Welt zu werden. Denn dänische Handballer sagen, was sie erwarten. Sie haben große Erwartungen an ihre Mitspieler, zeigen aber großes Interesse, diese auch besser zu machen.

Welchen Eindruck hat das Team von Alfred Gislason bei der WM auf Dich gemacht?

Anfangs hat es gehakt, gewonnen wurde trotzdem. Deutschland ist auf jeder Position stark besetzt. Das fängt bei Andi Wolff und David Späth im Tor an, Johannes Golla am Kreis finde ich richtig, richtig gut. Und dann noch Juri Knorr – mit ihm bin ich durch die Halle gelaufen, als er ganz klein war und ich mit seinem Papa Thomas in Flensburg gespielt habe. Deutschland hat einen großen Vorteil.

Handball-WM: Was Lars Christiansen von einem Halbfinale Deutschland gegen Dänemark erwartet

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Welchen denn?

Deutschland hat das Größte noch vor sich, weil es wie Dänemark und Spanien einen Generationswechsel vollzogen hat. Die Kader der Drei sind die perfekte Mischung aus Routiniers, die schon etwas gewonnen haben, und hochtalentierten Spielern der Zukunft. Man könnte meinen, Deutschland ist von Juri Knorr abhängig, aber das ist Dänemark von Gidsel irgendwo auch. Bei uns kommen nur jetzt schon mehr Hochkaräter nach, bei Euch wird sich in der Hinsicht in den nächsten Jahren einiges tun: Renars Uscins ist auf dem Weg in die Weltklasse, Spieler wie Julian Köster und Nils Lichtlein werden noch größere Rollen übernehmen. Da bin ich mir sicher.

Deutschlands Star Juri Knorr hofft, am Mittwoch im WM-Viertelfinale in Oslo wieder spielen zu können.
Deutschlands Star Juri Knorr hofft, am Mittwoch im WM-Viertelfinale in Oslo wieder spielen zu können. © dpa | Soeren Stache

Kommt es nach dem 30:40 in Herning zu einer Neuauflage in Oslo?

Das wäre doch schön. Das Viertelfinale gegen Portugal hat Deutschland aber noch nicht gewonnen. Die können inzwischen auch richtig gut Handball spielen.

Gäbe es im Halbfinale noch mal einen Sieg mit zehn Toren Unterschied?

Für Deutschland bestimmt nicht. (lacht) Bei Dänemark kann ich Dir das nicht versprechen.