Herning/Oslo. Bei der Handball-WM trifft Deutschland am Mittwoch im Viertelfinale auf Portugal. Der Gegner hat einen ganz besonderen Spieler in seinen Reihen.
„Seit ich klein war, bist du für mich da, ich möchte, dass du weißt, dass ich jetzt für dich da bin. Bleib stark, König.“ Francisco Costas Gefühle gehen unter die Haut. Im wahrsten Sinne des Wortes. Costa ist der Jungstar in Portugals Handball-Nationalmannschaft, die bei dieser Weltmeisterschaft erstmals in ihrer Verbandsgeschichte das Viertelfinale erreicht hat. Dort trifft sie am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) in Oslo auf das von Alfred Gislason trainierte Deutschland. Der Olympia-Zweite von Paris und Lille beendete am Samstagabend in Herning mit dem 31:19 gegen Tunesien seine Hauptrunde, kommt hinter Titelverteidiger Dänemark als Zweiter weiter. Mit seiner Wucht, seinen Toren löst der 19 Jahre alte Costa bei seinen Landsleuten viele Emotionen aus – eine tragische Geschichte in seinem noch jungen Leben bewegt ihn noch immer. Daran erinnern Costa stets: die auf seinem Unterarm eintätowierten Initialen AQ und sein Profilbild bei Instagram.
Handball-WM: Der tragische Tod von Alfredo Quintana beschäftigt Francisco Costa noch heute
AQ steht für Alfredo Quintana. Der in Kubas Hauptstadt Havanna geborene Torwart wechselte 2014 das Startrecht, spielte 64 Mal für sein Portugal. Seine Nationalmannschaftkarriere wurde abrupt und viel zu früh beendet: 2021 qualifizierte sich Portugal erstmals nach 18 Jahren Abstinenz wieder für eine WM, auch wegen Quintana starker Paraden, wurde in Ägypten Zehnter. Wenige Tage nach der WM erlitt der Torhüter im Training des FC Porto einen Herzinfarkt, von dem sich Alfred Quintana nicht mehr erholte, an dessen Folgen er im Alter von nur 32 Jahren starb.
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Francisco Costa war zu diesem Zeitpunkt gerade mal halb so alt, trotzdem spielte sich der damals 16-Jährige bereits im Dunstkreis der Nationalmannschaft. Er war mit Alfredo Quintana befreundet, der Torhüter war ein Mentor und Vorbild für den Teenager. Alfredo Quintana habe in dem Linkshänder schon früh erkannt, „eines Tages wirst du ein Champion sein“, wie Francisco Costa mal erzählte. Das Tattoo und ein gemeinsames Foto der Beiden ziert noch heute sein Instagram-Profil.
Handball-WM: Portugal erreicht erstmals das Viertelfinale
Vier Jahre später wird immer deutlicher, dass Alfredo Quintana Recht behalten soll mit seiner handballerischen Prophezeiung für das Riesentalent. Am Sonntag machten die Iberer auch dank der neun Tore von Francisco Costa mit dem 48:26-Torfestival gegen Chile das Aufeinandertreffen mit der Handball-Macht Deutschland perfekt – am Mittwoch steigt die Partie in Norwegens Hauptstadt.
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Costa, genannt Kiko, ist als FC26 so etwas wie Portugals handballerische Antwort auf CR7, gilt als Wunderkind. Anders als Superstar Cristiano Ronaldo im Fußball hat sich der immer noch erst 19-Jährige weitaus weniger gockelhaft einen Namen im Welthandball erarbeitet. „Das einzige Geheimnis besteht darin, jeden Tag zu arbeiten und daran zu denken, dass wir in jedem Training das Beste geben wollen und alles auf natürliche Weise herauskommt“, sagte Costa mal über sich. „Die Tatsache, dass ich in einer Mannschaft wie Sporting CP spiele, die es mir ermöglicht, auf höchstem Niveau zu trainieren, ist ein grundlegender Aspekt, um diese europäische Dimension in so jungen Jahren zu erreichen.“
Handball-WM: Vater Ricardo Costa und seine beiden Söhne sorgen für Portugals Höhenflug
Sporting Lissabon hat, ohne zu übertreiben, in der laufenden Champions-League-Saison die etablierten Klubs aufgemischt: Gegen Veszprem aus Ungarn gab es ein 39:39, gegen Paris St.-Germain gar ein 39:28, das bisher letzte Vorrundenspiel Anfang Dezember ging gerade mal mit einem Tor bei den Füchsen Berlin (32:33) verloren. Hauptverantwortlich für den Höhenflug in Lissabon: Familie Costa. Denn neben Francisco spielt auch der der drei Jahre ältere Bruder Martim für Sporting, das passenderweise vom Vater Ricardo trainiert wird.
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Die Costa-Brüder spielen dort wie in der Nationalmannschaft im Rückraum, Martim links und Francisco rechts. Kiko gilt als talentierter, hat eine variantenreiche Übersicht, explosive Würfe, allerdings wegen der noch recht schmächtigen Statur bei 1,90 Metern noch Schwächen in der Defensivarbeit. Der 22 Jahre alte Martim überzeugt mit Kreativität und Überraschung, warf sich bei der EM 2024 in Deutschland als Torschützenkönig in den All-Star-Rückraum mit Deutschlands Star Juri Knorr und Dänemarks Welthandballer Mathias Gidsel. Bei der WM war Francisco Costa in sechs Spielen 36 Mal erfolgreich, Martim 33 Mal. Deutschland kann sich also beim voraussichtlichen Viertelfinal-Gegner auf eines einstellen: Elf Tore werden die Costas zusammen ganz bestimmt erzielen.
Handball-WM: Deutschland reist von Herning nach Dänemark, Einsatz von Juri Knorr ungewiss
Dass sich Portugal bei dieser WM Reisestrapazen erspart, weil es seit Turnierbeginn bereits in der Unity Arena von Oslo spielt, dürfte im voraussichtlichen Viertelfinale gegen die Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason (nur bei einer Niederlage gegen Chile könnte Brasilien mit einem Sieg über Schweden noch auf Platz eins vorbeiziehen) kaum eine Rolle spielen. Unterschätzen dürfen die Deutschen ihren Gegner trotzdem nicht; erst recht nicht, weil die Gefahr besteht, dass Juri Knorr ausfällt. Vor Turnierbeginn nur mit elf Siegen aus 25 Partien, sorgte Portugal bei dieser WM gegen die USA (30:21), Brasilien (30:26), Norwegen (31:28) und Schweden (37:37) für Aufsehen.
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Die starke Jugendarbeit in Portugal – bei den Junioren-Weltmeisterschaften 2019 und 2023 sprangen der vierte beziehungsweise sechste Platz heraus – kommt nun auch Nationaltrainer Paulo Pereira zugute. Die Unbekümmertheit und Qualität von Francisco Costa – im Nationalteam trägt er die 26, im Verein die 6 auf dem Rücken –, seines Bruders Martim und von Torhüter Diogo Rema Marques (20/parierte beim entscheidenden Hauptrundensieg gegen Spanien knapp 40 Prozent der Würfe auf sein Tor) ist die ideale Ergänzung zu erfahrenen Spielern. Wie zum Beispiel Rui Silva (31), Kapitän und Schaltzentrale im mittleren Rückraum, den Außen Antonio Areia und Pedro Portela sowie Victor Iturizza (alle 34) ein.
Handball-WM: Portugals Traum soll auch von Deutschland nicht beendet werden
Der Kreisläufer bildet mit Luis Frade – beim FC Barcelona als einer der wenigen Portugiesen im Ausland beschäftigt – die Deckungszentrale. „Alle jungen Spieler lernen schnell und geben alles für den Erfolg der Mannschaft“, so Iturizza. Für ihn und seine Teamkollegen soll der WM-Traum auch gegen das bisher in Herning spielende Deutschland nicht enden: „Was wir hier empfinden, ist unglaublich. Es gibt keinen Raum für Fehler, aber wir sind zuversichtlich und glauben wirklich, dass wir das Beste aus uns herausholen und eine weitere hervorragende Leistung erbringen können.“