Herning. Norwegen statt Dänemark, K.-o.-Nervenkitzel statt Gruppenphase: Deutschlands Handballer stellen sich fürs WM-Viertelfinale neu auf.
Den deutschen Handballern fiel es unterschiedlich schwer, die Koffer zu packen und ihre dänische Unterkunft zu verlassen. Auschecken hieß es am Sonntagmorgen in Silkeborg, das Hotel inmitten der historischen Kulisse einer ehemaligen Papierfabrik erwies sich in den vergangenen zwei Wochen als gute Basis für eine bisweilen mit fünf Siegen in sechs Spielen erfolgreiche WM-Mission. Das 31:19 über Tunesien am Vorabend zum Ausklang der Hauptrunde sei deshalb „ein schönes Auf Wiedersehen“ vom gut 40 Kilometer entfernten Spielort Herning gewesen, sagte DHB-Kapitän Johannes Golla. Torhüter David Späth fand die Unterstützung schwarzrotgoldener Fans „cool – die sind hoffentlich auch weiter in Oslo dabei“, wo ab Mittwoch der neue Weltmeister ermittelt wird.
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Zwischen dem Ufer des Stadtsees Silkeborg Langsø und der neuen Residenz in der norwegischen Hauptstadt am Oslofjord lagen einige Kilometer Busfahrt und ein dreiviertelstündiger Flug. Der skandinavische Standortwechsel rief bei Renars Uscins große Erwartungen hervor. „Neue Halle, neues Land – neuer Reiz für den Kopf“, sagte Deutschlands gegen Tunesien beschäftigungsloser, aber bislang treffsicherster Torschütze im Turnier (31 Treffer). Denn zwei Wochen Gruppenphase können sich mitunter ziehen wie Kaugummi. In Herning mitten in der jütländischen Provinz viel eher als in einer europäischen Metropole wie Oslo.
Nun biete sich ihm und den Kollegen die Gelegenheit, noch „ein paar Tage auszuruhen“, blickte Luca Witzke voraus. Denn am Mittwoch „haben wir unser bisher wichtigstes K.-o.-Spiel“, betonte sein Rückraum-Mitstreiter Uscins. Streng genommen das erste, selbst wenn anderen WM-Partien zuvor von Bundestrainer Alfred Gislason wegen der wankelmütigen Darbietungen seiner Mannschaft schon Endspielcharakter zugesprochen wurde. Aber jetzt geht es wirklich um Medaillen, daher noch mal Witzke und Uscins: „Wir müssen alles auf der Platte lassen“, so der Leipziger Spielgestalter, zumal „unser Ziel klar das Halbfinale ist“, bekräftigte der Hannoveraner Scharfschütze.
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Dem Gegner im Viertelfinale in der Osloer Unity Arena mit knapp 14.000 Sitzplatzgelegenheiten verpasste am Samstagabend kein deutscher Nationalspieler mehr die vorsorgliche Einschränkung „wahrscheinlicher“. Obwohl der Folgetag noch die Gewissheit bringen musste, dass Portugal durch das 46:28-Torfestival gegen Chile die Ehre zuteil wird, nun die Olympia-Silbermedaillengewinner von Paris und Lille herauszufordern.. Portugal – und nicht Schweden, Spanien oder Norwegen, die man eher als Qualifikanten für die letzte Turnierphase aus der Gruppe 3 erwartet hätte.
„Wenn man sieht, welche Mannschaften die hinter sich gelassen haben, sagt das viel über sie aus“, warnte Alfred Gislason vor Übermut gegen Portugal, das sich mit dem erstmaligen Erfolgserlebnis über den Nachbarn Spanien (35:29) das erstmalige Glücksgefühl einer Viertelfinal-Teilnahme gesichert hatte. Teamintern wurde dies bereits verinnerlicht: Aus dem Chor mit Respektsbekundungen bis hin zu salbungsvollen Worten scherte kein DHB-Angestellter aus.
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„Eine Überraschungsmannschaft, aber ein schwerer Brocken mit ein, zwei Ausnahmespielern“, den Costa-Brüdern Francisco (19) und Martim (22) auf den Rückraum-Halben, urteile Luca Witzke. Außer gegen Dänemark könne man kaum mehr Gegenwehr erwarten, so David Späths Einschätzungen nach einem 21-Paraden-Abend: „Das wird Mittwoch ein extremer Kampf. Mit extremer Körperlichkeit und extrem viel Tempo.“ Und brauchen die in der sportlich zweitrangigen Partie gegen Tunesien von Gislason geschonten Vollzeit-Angestellten Andreas Wolff, Johannes Golla und Julian Köster am Mittwoch eine Pause, wisse der Bundestrainer laut Elf-Tore-Mann Marko Grgic „noch ein paar gute Jungs in der Hinterhand. Alfred muss also keine Angst haben, wenn er auf die Bank schaut.“ Anerkennung statt Neid formulierte Renars Uscins: „Ein spannender, moderner Gegner. Vielleicht haben sie gerade den Flow, den wir bei Olympia hatten.“
In diesen Rausch wieder zu gelangen, ist nun erster Arbeitsauftrag für das deutsche Team. Sorgen und Unruhe bereitet nur, dass der Infekt nach Juri Knorr und Rune Dahmke auch Lukas Stutzke erwischt hat. „Montag, vielleicht noch später“ wisse man, ob es das Trio zum Viertelfinale schaffe. „Es sieht aber ganz gut aus – bei allen dreien“, sagte Alfred Gislason. Nur: Die Verwirrungstaktik des DHB, dass niemand genau sagen konnte, ob Anführer Knorr seine Brustschmerzen und Atemprobleme nach vorzeitiger Abreise aus Dänemark nun eindringlich in Flensburg oder doch in Bad Schwartau hat untersuchen lassen, wird den Viertelfinalgegner am Mittwoch ganz sicher nicht aus dem Konzept bringen.