Herning. Mit 22 Jahren schon Weltklasse, aber manchmal zu überhastet. Deutschlands Handballer brauchen Renars Uscins‘ WM-Tore gegen Dänemark.
Auch wer ein Sportlerleben im Zeitraffer führt, bekommt manchmal vor Augen geführt, in 365 Tagen doch nur um ein Jahr zu altern und als Gerade-mal-Twen noch nicht alles perfekt zu machen. Renars Uscins stach als Handballer bereits oft heraus. Mehr denn je bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr, als das Harz an seinen Händen den Ball wie ein Geschoss freigab und er mit einem Siegtor vor 27.000 überwiegend Franzosen in Lille mal eben die internationale Karriere eines gewissen Nikola Karabatic beendete. Vielleicht noch eindrücklicher, als die deutschen Nationalspieler nach dem verlorenen Finale mit der Silbermedaille um den Hals baumelnd fürs Abschlussfoto posierten – und der 22-Jährige anders als seine Teamkollegen nicht den schwarzen Kapuzenpulli trug, sondern als einziger ein gelbes T-Shirt. Nachdem er aus der Kabine zurück in die Halle gegangen war, habe er erst den Fashion-Fauxpas bemerkt, sagt Renars Uscins, „da dachte ich: Ja, Mist, jetzt ist’s zu spät.“
Renars Uscins: Für Bundestrainer Gislason unverzichtbar, für Welthandballer Gidsel eine Wurfmaschine
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Die Zurechtweisungen fielen erfreulicherweise milde aus; es war ihm im vergangenen Sommer ja selbst unangenehm, farblich im Mittelpunkt zu stehen und nicht nur sportlich wie sonst. Es wäre zu viel der Scham und ein sportliches Drama gewesen, wenn der Kaffee-Enthusiast deshalb am liebsten in einem See aus schwarzem Espresso verschwunden wäre. Kein halbes Jahr nach dem olympischen Finale, dieser Tage bei der Weltmeisterschaft im dänischen Herning, stehen wieder ausschließlich Renars Uscins‘ handballerischen Qualitäten im Fokus. Und doch hat sich in den paar Monaten einiges getan. „Wer letztes Jahr ein ziemlicher Neuling war“, sagt Bundestrainer Alfred Gislason, „ist jetzt bei den Gegnern bekannt.“
Dieser reflektierte, bescheidene junge Mann würde es bestimmt nicht zugeben, aber: Wenn ihn der aktuelle Welthandballer Mathias Gidsel, der an diesem Dienstag (20.30 Uhr/ARD) mit der dänischen Übermacht gegen das Gislason-Team die Hauptrunde eröffnet, als die „deutsche Wurfmaschine“ bezeichnet, dürfte dieses Lob Renars Uscins heruntergehen wie Öl. Andere Worte der Anerkennung findet der Bundestrainer, für den 65 Jahre alten Isländer ist der Halbrechte vom Bundesligisten TSV Hannover-Burgdorf „mittlerweile ein Spieler, den wir nicht ersetzen könnten“.
Handball: Als Renars Uscins die internationale Karriere von Nikola Karabatic beendete
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Manche sehen in ihm einen künftigen Weltstar. Vielleicht hat Karabatic, zwei Jahrzehnte lang eine der prägendsten Figuren ihres Sports, auch das im Nachgang zu Uscins gesagt, mit dessen Namen diese olympischen Viertelfinal-Sensation in und gegen Frankreich – zwei Tore des Jungstars in den letzten 13 Sekunden zur Verlängerung, dann sein 14. Treffer zum entscheidenden 35:34 und Erreichen des Halbfinals – auf ewig verbunden sein wird. Bei der Heim-EM im vergangenen Jahr lernten sogar die Dänen beim Einzug ins Endspiel diesen Jungen kennen, der mit drei Jahren aus Lettland nach Deutschland gekommen war. „Warum soll ich Angst haben?“, fragte Uscins nach fünf Toren beim 26:29 und der Auszeichnung zum Spieler des Spiels. „Wenn man auf dem Spielfeld steht und das Spiel beginnt, dann sind es 40 x 20 Meter, dann spielt man einfach und hat richtig viel Spaß.“
Das klingt beinahe zu puristisch für eine der spektakulärsten Positionen im Handball. Uscins spielt dort, wo die langen Kerle in die Höhe steigen und Bälle wie Raketen aufs Tor abfeuern. 1,89 Meter Körpergröße lassen ihn dafür nicht übergroß erscheinen, der Kräftigste ist der U-21-Weltmeister von 2023 ebenso wenig, weshalb der reibungslose Wechsel vom Junior zum Profi umso mehr überrascht. Den Linkshänder zeichnet sein „hoher Handball-IQ“ aus, hat sein Hannoveraner Coach, der frühere Bundestrainer Christian Prokop, mal gesagt. Uscins‘ Wurfrepertoire gilt als allumfassend; dank seiner Sprungkraft mutet es gelegentlich so an, als könne er in der Luft stehen bleiben und auf den Abschluss warten, während die Füße seiner Gegner sich schon wieder dem Hallenboden nähern. Eins-gegen-eins-Zweikämpfe scheut er nicht, mit seinem Blick für den Nebenmann sorgt er zusätzlich für Stabilität und Orientierung im Spiel.
Handball-WM: Deutschland unterstützt Renars Uscins, aber Kapitän Johannes Golla warnt auch
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Renars Uscins, den sie Uschi rufen, hat mal geschildert, wie wichtig es sei, von sich nicht in jeder Partie zehn Tore zu erwarten. Keine Angst vor Fehlern, kein Risikobewusstsein zu haben, verleitet hin und wieder aber doch dazu, es in kritischen Spielphasen mit der Brechstange zu probieren. Trotz bereits 24 WM-Toren in Dänemark war die Quote in den ersten beiden Begegnungen nicht die eines Weltklassemanns. „Renars will Verantwortung übernehmen – das ist gut, wir haben jedes Vertrauen in ihn“, sagt DHB-Kapitän Johannes Golla. „Aber er kann nicht in jedem Spiel 80 Prozent der Aktionen nehmen. Da muss man ihm sagen: Du musst es nicht allein regeln, es sind immer auch noch Kollegen da.“ Oder anders ausgedrückt: Uschi, mach kein Quatsch.
Alfred Gislason gesteht seinem Rückraumspieler solche Erfahrungen zu, sie sind ja gerade so wichtig für einen potenziellen Werdegang im Eiltempo zum Weltstar: „Er muss werfen!“ Für Renars Uscins ist es wichtig, Ruhe zu bewahren, nicht überhastet abzuschließen, auf sich zu vertrauen. Das weiß er, deswegen nehme er auch mal eine ineffiziente Chancenverwertung in Kauf. „Aber wenn ich als Rückraumspieler anfange, ungefährlich zu werden, weil ich Angst habe, zu verwerfen, hilft das niemandem von uns. Nicht mir, nicht der Mannschaft.“ Es ist davon auszugehen, dass Renars Uscins gegen Dänemark nichts unversucht lassen wird.