Herzogenaurach. Die WM 2006 ist noch immer im Gedächtnis. Die heutigen DFB-Spieler waren damals Kinder und Jugendliche. Das sind ihre Erinnerungen.
Wer erinnert sich nicht daran, wo er gerade war, als David Odonkor Richtung Grundlinie sprintete, Oliver Neuville in die Flanke grätschte und Deutschland in letzter Minute mit 1:0 gegen Polen gewann. Es war der Moment, in dem Fußball-Deutschland endgültig in Euphorie verfiel. Am Freitag jährt sich dieser Moment zum 18. Mal. Es folgten die Glücksgefühle beim 2:0 im Achtelfinale gegen Schweden mit dem Doppelpack von Lukas Podolski, die dramatischen Momente im Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Argentinien, das schmerzhafte Halbfinal-Aus im Halbfinale gegen Italien und das Happyend im Spiel um Platz drei gegen Portugal mit den drei Toren von Bastian Schweinsteiger.
Die Schweinis und Poldis heißen 18 Jahre später Musiala und Wirtz. Die beiden 21 Jahre jungen Hoffnungsträger der am Freitag beginnenden Heim-EM waren beide erst drei Jahre alt, als Deutschland vier Wochen lang einen schwarz-rot-goldenen Fußballrausch erlebte. Nun wollen die beiden Dribbelkünstler dazu beitragen, dass die DFB-Auswahl für ein erneutes Sommermärchen sorgt. Die beiden Freunde wollen allerdings ihre eigene Geschichte schreiben. „Natürlich sind das Idole. Es ist eine Ehre, wenn man mit solchen Spielern verglichen wird“, sagte Wirtz am Mittwoch an der Seite von Musiala. „Wir wollen aber nicht die neuen Schweinis und Poldis sein.“
Das neue Zauber-Duo der deutschen Nationalmannschaft kennt die Momente des Sommermärchens ohnehin nur aus späteren Zusammenfassungen im Fernsehen. Vielen anderen aktuellen Nationalspielern sind die vier Wochen der Weltmeisterschaft 2006 aber noch im Gedächtnis geblieben. Torhüter Manuel Neuer war der einzige Spieler aus dem aktuellen Aufgebot, der damals schon volljährig war. Andere Spieler wie Kai Havertz oder Nico Schlotterbeck waren damals zwar erst sieben Jahre alt, verbinden mit ihrem ersten großen Turnier aber noch besondere Erinnerungen. Diese Redaktion hat elf DFB-Profis in den vergangenen Wochen nach ihrem WM-2006-Moment befragt. Hier erzählen sie exklusiv ihre Sommermärchen-Geschichte.
Manuel Neuer
Ich war 20 Jahre alt und noch bei Schalke. Ich habe mir viele Spiele im Stadion angeschaut. Das war Wahnsinn. Schweiz gegen die Ukraine in Köln, England gegen Portugal in Gelsenkirchen und in Dortmund war ich auch (lacht). Schweden gegen Trinidad und Tobago. Es war einfach ein schöner und friedlicher Sommer und hat so viel Spaß gemacht. Wenn man so etwas selbst erlebt hat, möchte man das auch anderen Menschen geben, zum Beispiel den Kindern, die ich mit meiner Stiftung unterstütze. Ich hoffe dass wir in Fußball-Deutschland noch einmal so eine Erfahrung machen können.
Joshua Kimmich
Ich habe damals mit meinen Kumpels aus Bösingen mit einer Freizeitmannschaft beim Sparkassen-Cup mitgespielt und wir haben uns für das Deutschland-Finale in Berlin qualifiziert. Am selben Tag hat Deutschland in Berlin das Viertelfinale gegen Argentinien gespielt. Leider war ich etwas zu jung, um alles mitzukriegen. Aber auch mit elf Jahren habe ich die besondere Stimmung gespürt. Die Bilder von der Fanmeile in Berlin waren überragend. Jetzt selbst für die Nationalmannschaft im eigenen Land zu spielen, ist ein Kindheitstraum.
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Jonathan Tah
Mit der WM 2006 verbinde ich sehr viel Euphorie und eine positive Stimmung. Ich war in Hamburg, zehn Jahre alt und habe auch Spiele auf dem Fanfest auf dem Heiligengeistfeld geschaut. Ich kann mich aber gar nicht mehr so sehr an die Spiele erinnern, sondern an diese Atmosphäre, die in Deutschland geherrscht hat. Alle waren miteinander verbunden, alle waren für Deutschland.
Das war für mich das schönste Gefühl.
Nico Schlotterbeck
Für mich begann das Sommermärchen im Eröffnungsspiel, als Philipp Lahm nach innen gezogen ist und den Ball oben rechts in den Winkel geschweißt hat. Er war damals der Spieler, zu dem ich aufgeschaut habe – da war allerdings noch nicht absehbar, dass ich mal Innenverteidiger werde. Die Spiele habe ich mit meiner Familie beim Public Viewing in meinem Heimatort Waiblingen geschaut. Da war ordentlich etwas los. Für mich als kleiner Junge war dieser Sommer außergewöhnlich, und ich hoffe, dass wir auch bei dieser EM eine Euphorie schaffen werden, die an 2006 erinnert. Dann ist mit der Qualität unserer Mannschaft und unseren Fans etwas Großes möglich.
Maximilian Mittelstädt
Wenn ich an die WM 2006 zurückdenke, kommt mir als Linksverteidiger natürlich das Auftakttor von Philipp Lahm in den Kopf. Wir haben die deutschen Spiele bei uns im Garten geschaut, das war sozusagen unser eigenes kleines Public Viewing. Am meisten kommt mir aber eine DVD-Box in den Sinn, die wir nach der WM gekauft hatten und auf der alle Spiele des Turniers zu sehen waren. Die habe ich mir jeden Abend angeschaut. Mein Papa erzählt heute noch davon, wie er täglich in mein Zimmer kam, und den Fernseher ausschalten musste, weil ich dabei mal wieder eingeschlafen bin.
Robert Andrich
Ich war zwölf Jahre als und kann mich noch gut an das Elfmeterschießen gegen Argentinien erinnern. Mein Vater und ich wollten immer zu Hause in Potsdam in Ruhe die Spiele gucken. Wenn zu viele dabei sind, wird immer so viel dazwischen geredet (lacht). Mit der Ruhe war es gegen Argentinien dann aber vorbei. Da bin ich mehrfach vom Sofa aufgesprungen.
Toni Kroos
Ich war 16 und bin in dem Sommer von Rostock zu Bayern München gewechselt. Ich war genauso im Fieber wie das ganze Land und kann mich an den einen oder anderen Fanmeilenbesuch erinnern. Es ist unser aller Ziel, dass wir wieder etwas auslösen können mit unserem Fußball und unseren Ergebnissen. Die Fans sind bereit, Deutschland ist bereit, jetzt liegt es ein ganzes Stück an uns.
Ilkay Gündogan
Für Deutschland war die WM 2006 ein unvergleichliches Erlebnis, das sich die Menschen in ähnlicher und hoffentlich noch erfolgreicherer Form auch für diese EM wünschen. Ich habe damals noch in der Jugend bei Bochum gespielt und dementsprechend noch an meinem Traum vom Fußballprofi gearbeitet. Das Sommermärchen habe ich als Fan intensiv verfolgt. Glücklicherweise durfte ich als 15-Jähriger beim Viertelfinalspiel zwischen England und Portugal dabei sein, weil ich bei einem Fanfest in meiner Heimatstadt Gelsenkirchen Tickets gewonnen hatte. Für mich war es das erste größere Fußballspiel, das ich im Stadion erlebt habe. An die Atmosphäre im und um das Stadion erinnere ich mich noch heute gerne zurück. Ich wünsche mir eine vergleichbare Stimmung für die Europameisterschaft und hoffe, dass wir Deutschland mit unserem Auftreten ein großartiges Fußballfest bescheren können. Das ist unser Ziel.
Thomas Müller
Meine intensivste Party hatte ich beim Argentinien-Spiel. Wobei… dann dürfte ich mich daran eigentlich nicht mehr so gut erinnern (lacht). Ich war noch jung, unter 18. Sehr intensiv war auch das Spiel gegen Polen, da gab es bei uns in der Nachbarschaft eine Grillparty mit 50 Leuten. Da ging auch gut was ab. Und natürlich der Auftakt gegen Costa Rica. Die Initialzündung eines Eröffnungsspiels, auf das du drei Wochen hinarbeitest, kann die mentalen Fesseln lösen. Das gibt dir einen Schub und du stehst dann nicht so unter Druck wie bei den vergangenen Turnieren.
Niclas Füllkrug
Das waren schöne Wochen, ich erinnere mich vor allem an den Autokorso in der Innenstadt von Hannover nach dem gewonnenen Viertelfinale gegen Argentinien – und daran, wie ich beim 0:0 zwischen Angola und Mexiko im Stadion war. Das war geil. Meine gesamte Jugend-Mannschaft hat Freikarten vom „Kicker“ erhalten, weil ich in der Saison über 200 Tore gemacht habe. Die Mexikaner haben Stimmung ohne Ende gemacht. Wir sind von ihnen komplett eingekleidet worden, mit Trikots, Hüten, allem drum und dran. Das muss man sich mal mal vorstellen: Eine Horde 12-jähriger Hannoveraner mit Sombreros. Danach waren wir alle Mexiko-Fans.
Kai Havertz
Die WM 2006 war mein erstes großes Turnier, das ich verfolgt habe. Ich kann mich an viele Spiele erinnern, die wir zu Hause im Garten in Mariadorf geguckt haben. Da haben wir immer den Fernseher rausgetragen und unser eigenes kleines Public Viewing gemacht mit meinen Eltern, meinem Bruder, meiner Schwester und meiner Oma. Das sind Erinnerungen, die ich mein Leben lang behalten werde und die prägend waren. Wir haben natürlich die Deutschen unterstützt, aber am meisten erinnere ich mich an das Siegtor von Thierry Henry im Viertelfinale zwischen Frankreich und Brasilien in Frankfurt. Er ist auch ein Vorbild von mir, hat so einen großen Status bei Arsenal. Für mich einer der besten Fußballer aller Zeiten.