Herzogenaurach. Wer folgt auf Toni Kroos? Was wird aus Ilkay Gündogan? Wie Bundestrainer Julian Nagelsmann das Nationalteam nach dem EM-Aus verändert.
Es war ein tränenreiches Adieu für Julian Nagelsmann und die Nationalmannschaft. Als sich die deutschen EM-Spieler am Samstag nach dem EM-Aus gegen Spanien in Herzogenaurach in den Urlaub verabschiedeten, hatten viele Spieler feuchte Augen. Doch schon in 57 Tagen werden sich Nagelsmann und seine Spieler an gleicher Stelle wiedersehen. Dann trifft sich die Nationalmannschaft zur Vorbereitung auf die Nations League, die am 7. September in Düsseldorf mit der Partie gegen Ungarn beginnt und drei Tage später in Amsterdam gegen die Niederlande den ersten großen Prüfstein für die neue Nationalmannschaft bereithält.
Wer beim Wiedersehen in Herzogenaurach am 2. September dabei sein wird, ist allerdings noch nicht absehbar. Das gilt insbesondere für Ilkay Gündogan, der das DFB-Camp am Samstag als Letzter verlassen hatte. Der Kapitän der EM-Auswahl ließ seine Zukunft in der Nationalmannschaft nach dem Viertelfinal-Aus offen. „Klar freue ich mich, wenn er weitermacht. Stand jetzt, gehe ich auch davon aus, dass er weiter zur Verfügung steht. Aber das soll Ilkay am Ende selbst entscheiden und auch selbst verkünden“, sagte Nagelsmann über Gündogan.
EM 2024: Gündogan lässt seine DFB-Zukunft offen
Der 33-Jährige will nach Informationen dieser Redaktion keine vorschnelle Entscheidung treffen und sich dabei nicht von Emotionen leiten lassen. Grundsätzlich hat Gündogan positiv registriert, dass er bei der EM eine neue Wertschätzung erfuhr. Er hat eine gute, aber keine sehr gute EM gespielt. Zumindest aber konnte Gündogan in der öffentlichen Wahrnehmung durch die ersten zwei EM-Spiele gegen Schottland und Ungarn mit einem Tor und zwei Vorlagen an seinem Stellenwert arbeiten. „Ich habe mich extrem gefreut, dass er das erste Mal nicht nur Gegenwind gekriegt hat als Nationalspieler. Er ist ein stiller Leader, der eine große Erfahrung hat. Er hat ein gutes Gespür für eine Gruppe“, sagte Nagelsmann, der Gündogan mit den Worten „bis bald“ verabschiedet hatte.
Für Nagelsmann geht es nach dem Rücktritt von Toni Kroos und den möglichen Rücktritten der zwei anderen Weltmeister, Manuel Neuer (38) und Thomas Müller (34), um einen Neuaufbau der Nationalmannschaft bis zur Weltmeisterschaft 2026 in Mexiko, Kanada und den USA. Schon jetzt steht aber fest, dass es keinen großen Umbruch in der Mannschaft geben wird. „Es macht keinen Sinn, den kompletten Kader durchzuwürfeln. Wir haben einen großen Stock, der die WM noch spielen kann“, sagte Nagelsmann, was ein Indiz dafür ist, dass sich etablierte Spieler wie Münchens Leon Goretzka (29) oder der von Leipzig an Tottenham verliehene Timo Werner (28) strecken müssen, um wieder eingeladen zu werden.
DFB: Pavlovic und Stiller als Kroos-Nachfolger?
Ein Umbruch wird auch nicht nötig sein. Jamal Musiala (21) und Florian Wirtz (21) stehen Nagelsmann als internationale Topstars zur Verfügung, die das Gesicht der deutschen Mannschaft in den nächsten acht Jahren prägen werden - mindestens. Auch Kai Havertz (25) kann noch einige Jahre auf internationalem Topniveau spielen. Um die Innen- und Außenverteidigung muss sich Nagelsmann ebenso keine Sorgen machen.
Primär wird es darum gehen, einen Nachfolger für Schlüsselspieler Kroos zu finden. Die größten Chancen haben aktuell Aleksandar Pavlovic (20) vom FC Bayern München und Angelo Stiller (23) vom VfB Stuttgart. „Klar haben wir mit Pavlo und Angelo schon Kandidaten, die einen ähnlichen Spielstil haben oder haben können“, sagte Nagelsmann. „Am Ende liegt es dann auch an den Spielern, die Leistung zu bestätigen, die sie in der vergangenen Saison gezeigt haben.“
Pavlovic hatte die EM wegen einer Erkrankung verpasst. Rocco Reitz (22) von Borussia Mönchengladbach war als weiterer Sechser in der Vorbereitung schon dabei, gleiches gilt für Brajan Gruda (20), Flügelspieler vom FSV Mainz 05.
Gut möglich aber, dass in der Nations League ein Spieler die Kroos-Rolle übernimmt, der nur eineinhalb Jahre jünger ist als die Real-Madrid-Legende: Pascal Groß. „Klar, er ist 33, er ist jetzt nicht mehr ganz der Jüngste. Aber er ist einer, der das in einem sehr ähnlichen Stil kann“, sagte Nagelsmann. Groß von Brighton & Hove Albion, der ein heißer Kandidat bei Borussia Dortmund ist und dafür sorgen kann, dass künftig wieder eine BVB-Achse in der Nationalmannschaft präsent ist. Mit Stuttgarts Waldemar Anton, der beim Wiedersehen in Herzogenaurach sicher wieder dabei ist, ist sich Dortmund bereits einig. Julian Brandt (28) oder Karim Adeyemi (22) könnten zurück ins Blickfeld rücken.
Nur ein U-17-Weltmeister hat schon einen Profieinsatz
Zur Wahrheit der Zukunft des deutschen Fußballs gehört aber auch, dass in den U-Mannschaften des DFB keine Supertalente auftauchen, die schon jetzt ein Versprechen für die Zukunft der Nationalmannschaft sind. Und das trotz des Weltmeistertitels der deutschen U17 im vergangenen Jahr. Deren Topspieler wie Noah Darwich (17/FC Barcelona), Paris Brunner (18/BVB) oder David Odogu (18/VfL Wolfsburg) haben noch kein Profispiel absolviert. Lediglich Mittelstürmer Max Moerstedt (18) hat bei der TSG Hoffenheim seine ersten zehn Bundesligaminuten in der Bilanz. Moerstedt ist ein Toptalent, doch die WM 2026 dürfte für ihn noch zu früh kommen. Den größten Entwicklungsschritt ist dem bisherigen Schalker und Neu-Leipziger Assan Ouédraogo (18) zuzutrauen.
Kurzfristig werden die Spieler der aktuellen U21 wie Stuttgarts neuer Stürmer Nick Woltemade (22) oder Freiburgs Mittelfeldspieler Merlin Röhl (22) größere Chancen haben, die nächsten Debütanten bei Nagelsmann zu werden. Sie alle haben in den kommenden zwei Jahren Zeit, sich für die Nationalmannschaft und die WM 2026 zu empfehlen. Im Dezember wird die Qualifikationsgruppe ausgelost, im März 2025 finden die ersten zwei Qualifikationsspiele statt. Gut möglich, dass Nagelsmann sich mit seiner Mannschaft dann erneut in Herzogenaurach vorbereitet und es zum nächsten großen Wiedersehen im Homeground kommt.