Arnsberg. Chef des Arnsberger Papierherstellers Wepa sieht Standort Deutschland wegen hoher Energiekosten bedroht. Europäische Lösung wichtig.
Unternehmer, Jugendliche und EU-Politiker diskutierten am Freitag darüber, was der Standort Deutschland dringend braucht und wo es in der EU gewaltig hakt. Martin Krengel, Vorstandsvorsitzender der Wepa Gruppe, eines großen Papierherstellers aus Arnsberg mit Werken in verschiedenen Ländern Europas, drängt auf gleiche Wettbewerbsbedingungen wenigstens innerhalb der EU. Auf Dauer seien die Kosten in Deutschland zu hoch. Welche Konsequenzen dies haben könnte, spricht Krengel in der Diskussion in der Industrie- und Handelskammer Arnsberg offen an.
Begeisterung für Europa zu wecken, ist hierzulande ein zähes Geschäft. Während die Hoffnung nicht ausgeschlossen ist, dass sich in Deutschland in ein paar Wochen bei der Fußball-Europameisterschaft ein zweites, Nationen übergreifendes Sommermärchen wie bei der WM 2006 entwickelt, halten sich im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni Euphorie und Erwartungen an Europapolitiker nicht nur bei Wirtschaftsvertretern, sondern auch bei Jungwählern in Grenzen.
„EU-Wahl: Was darf die mittelständische Wirtschaft von Brüssel erwarten?“ war eine Veranstaltung am Freitag in der Industrie- und Handelskammer Arnsberg überschrieben, bei der die amtierenden Parlamentarier Birgit Sippel (SPD) und Peter Liese (CDU) gemeinsam mit dem FDP-Kandidaten Klaus Willeke Unternehmerinnen und Unternehmern aus dem Hochsauerland und vom Hellweg möglichst kluge Antworten geben sollten. Der hehre Ansatz der Organisatoren, der IHK Arnsberg und des Unternehmensverbands Westfalen-Mitte, stieß in der Unternehmerschaft auf sehr übersichtliche Resonanz. Dafür wurden rund 30 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 11 von zwei örtlichen Gymnasien eingeladen, die den Saal füllten.
Die brennenden Themen sind aus Sicht der Wirtschaft längst benannt: Energiepreise und nationale CO₂-Steuer, die nicht einmal innereuropäische Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen, geschweige denn globale. Auch die als überbordend und quälend empfundene Bürokratie aus Brüssel ist bereits hoch und runter diskutiert. „Datenschutz, Lieferkettengesetz, Strahlenschutz ...- für jedes Thema gibt es eine Richtlinie und es muss ein Beauftragter benannt werden. Das sind Kosten, die den Kunden null interessieren“, erinnert Korinna Schwittay, Chefin der Siepmann Werke in Warstein-Belecke - leicht genervt. Siepmann mit rund 450 Beschäftigten ist eines der vielen mittelständischen Familienunternehmen in Südwestfalen, das schnellere Antworten aus Brüssel und Berlin benötigt.
Noch profitieren deutsche Unternehmen von Europa. Etwa der Arnsberger Papierhersteller Wepa. „Ohne EU-Binnenmarkt hätten wir als Familienunternehmen keine Chance, uns weiterzuentwickeln“, sagt Martin Krengel, Chef des Konzerns, der für Toilettenpapier, Taschen- und Kosmetiktücher in der EU nicht zuletzt einen Markt mit rund 450 Millionen Menschen sieht. An den 14 über Europa verteilten Standorten will Wepa nun weiter in CO₂-neutrale Energieversorgung investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 20 Prozent machten die Ausgaben für Energie an den Gesamtkosten aus. „Wir brauchen eine europäische Lösung, sonst sind wir gezwungen, Arbeitsplätze beispielsweise nach Frankreich zu verlagern“, sagt der Konzernchef.
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FDP-Mann Willeke will sich für eine EU-Lösung einsetzen - und fordert gleichzeitig ein Ende des deutschen Sonderwegs: „Wir können nicht nur mit Wasser, Wind und Sonne den Energiebedarf decken.“ Atomstrom aus Nachbarländern und sogar Kohlestrom aus Polen sollten seiner Ansicht nach kein Tabu sein. Für Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der Konservativen im EU-Parlament, ist Kohle tabu. Der Sauerländer sähe eine Lösung darin, billigen Sonnenstrom aus Spanien zu nutzen. Allerdings stelle sich Frankreich quer. Das ist nicht neu, aber womöglich bezeichnend für zähes Ringen innerhalb der Europäischen Union. Birgit Sippels Blick aus europäischer Perspektive: Deutschland sollte sich davon verabschieden, jedes Gesetz besonders gut und streng umsetzen zu wollen.
Jugendliche schätzt Frieden und Freiheit in Europa
Die Gymnasiasten löchern die Politik noch mit konkreten Fragen: Europa der zwei Geschwindigkeiten. Ist das gut oder schlecht, wenn sich nicht alle 27 Staaten bei allen Themen im gleichen Tempo entwickeln? Wie kann die EU denn nun konkret bei den Energiekosten helfen? Noah Grefe, 17-jähriger Schüler aus Sundern, darf erstmals wählen. Er hat Verständnis für die Unternehmersicht. Die Politik habe ihn an diesem Tag weniger abgeholt. Immerhin: „Es war interessant. Ich gehe wählen, das ist schon wichtig. Ich habe bislang von Europa nur profitiert. Hier gibt es 70 Jahre Frieden, Reise- und Meinungsfreiheit, weitgehend jedenfalls.“ Das Interesse junger Menschen an Europa scheint groß zu sein. Und sogar eine gewisse Begeisterung klingt durch.