Hagen. „Nur“ eine Europawahl? Von wegen. Fünf Punkte zeigen, warum mit Spannung auf die Ergebnisse rund ums Sauerland und Hagen geschaut wird.
Friedrich Merz wird am Sonntag ganz sicher auf viele Ergebnisse der Europawahlen schauen. Doch eines dürfte ihn ganz besonders interessieren: Wie hat seine CDU in seiner Heimat, im Hochsauerlandkreis, abgeschnitten? Besser als bei der Europawahl 2019, als die Union auch im schwarzen Sauerland mächtig Federn lassen musste (-7,1 Prozentpunkte)? Und auch besser als 2022 bei der Bundestagswahl, als am Ende ein Minus von 8,2 Prozentpunkten stand? Doch neben diesem Merz-Faktor gibt es weitere Gründe ganz genau auf den Ausgang der Wahlen in Südwestfalen zu schauen. Der Überblick:
1. Wer hat überhaupt eine Chance?
Wahlkreise, wie wir sie in Bund und Land kennen, gibt es bei den Europawahlen nicht. Aber natürlich leben die Kandidatinnen und Kandidaten irgendwo - und die Parteien ordnen ihnen auch räumliche Zuständigkeiten zu. Nimmt man das zum Maßstab, dann hat Südwestfalen drei Europaabgeordnete - oder genauer gesagt: Für eine ganz kurze Zeit sogar vier. Peter Liese (CDU) ist dabei der Veteran. Der Arzt aus Meschede sitzt seit 1994 im Europaparlament, belegt Platz 1 der CDU-Wahlliste für NRW, vertritt Südwestfalen und ist damit so gut wie sicher wieder in Brüssel vertreten. Gleiches gilt für Dennis Radtke aus Bochum auf Platz 3 der CDU-Liste. Er sitzt seit 2017 im EU-Parlament und ist unter anderem für Hagen und den Ennepe-Ruhr-Kreis zuständig.
Die Zuständigkeit ist bei der SPD ein bisschen anders geregelt: Birgit Sippel ist für ganz Südwestfalen inklusive Hagen zuständig. Mit Platz 5 auf der bundesweiten SPD-Liste ist sie auch so gut wie sicher wieder drin im Parlament. Spannender wird es bei den Grünen in Südwestfalen: Seit wenigen Wochen sitzt zwar Jan Övelgönne aus Arnsberg für die Öko-Partei im Brüsseler Parlament, aber nur als Nachrücker, er kandidiert diesmal gar nicht. Allerdings ist Janina Singh aus Siegen auf Platz 19 der Bundesliste der Grünen nominiert. Sie selbst geht davon aus: „Bei einem Grünen-Ergebnis von 18,5 Prozent würde der Listenplatz ziehen“. Danach sieht es nach den aktuellen Umfragen nicht aus - ausgeschlossen ist es aber auch nicht. Alle anderen Parteien haben keine aussichtsreichen Kandidaten aus Südwestfalen.
2. Können sich CDU und SPD wieder erholen?
Wenn man so will, dann haben es CDU und SPD gut: Sie haben bereits bei der Europawahl 2019 so schlecht abgeschnitten, dass sie nun jedes halbe Prozentpünktchen mehr als Erfolg verkaufen können - wenn es denn tatsächlich mehr wird dieses Mal. Im Jahr 2019 hatte die CDU - etwa im Hochsauerlandkreis, im Kreis Olpe oder im Märkischen Kreis - ein noch größeres Minus eingefahren als im Bundesschnitt (-6,4 Prozentpunkte). Aber das war noch gut im Vergleich zur SPD, die bundesweit mit minus 11,5 Prozentpunkten verheerend abgeschnitten hatte. In der Region kam es aber noch schlimmer, etwa mit minus 17,1 (Hagen) oder minus 16 Prozentpunkten (Ennepe-Ruhr-Kreis). Seitdem konnten die SPD (bei der Bundestagswahl 2021) und die CDU (bei der Landtagswahl 2022) zwar zwischenzeitlich wieder Erfolge in der Region feiern. Aber das Ergebnis bei den Europawahlen am Sonntag wird Hinweise geben, wie viel Volkspartei tatsächlich noch in CDU und SPD in Südwestfalen steckt.
3. Wird Südwestfalen wieder zum Grünen-Ödland?
Keine gefestigten Strukturen, keine flächendeckende Präsenz, keine überragenden Wahlergebnisse: Die Grünen hatten es lange schwer in Südwestfalen. Doch das schien sich spätestens mit der Europawahl 2019 zu ändern. Fast flächendeckend gab es satte, meist zweistellige Zugewinne für die Grünen, selbst im schwarzen Hochsauerlandkreis kam die Öko-Partei auf 16 Prozent, im Ennepe-Ruhr-Kreis verdoppelte sie sich sogar fast und wurde mit 23,6 Prozent zur stärksten Partei. Auch danach gab es (etwas schwächer) bei der Bundestagswahl 2021 und (erheblich stärker) bei der Landtagswahl 2022 flächendeckende Zugewinne für die Grünen. Aber inzwischen gab es auch das Heizungsgesetz, die Bauernproteste, den Kampf um mehr Windräder und noch mehr. Markiert dies das Ende des grünen Höhenflugs?
4. Wie kommt Sahra Wagenknecht im Sauerland an?
Die große Unbekannte ist auch in Südwestfalen das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Ihre frühere politische Heimat, die Linkspartei, hatte schon bei der vergangenen Europawahl flächendeckend in Südwestfalen weniger als für Prozent erreicht. Mehr dürfte es diesmal kaum werden. Aber erreicht das BSW mit seiner umstrittenen Anführerin ganz andere Wählergruppen oder bleiben da „schwarze“ Gebiete wie der Hochsauerlandkreis und Olpe immun? Erste Basisstationen in Südwestfalen gibt es für die neue Partei immerhin: Im Rat der Stadt Iserlohn sind Teile der Linke-Fraktion zum BSW gewechselt, so auch Fraktionschef Oliver Ruhnert, im Hauptberuf Chefscout bei Bundesligist Union Berlin. Und in der Hagener Bezirksvertretung Hohenlimburg ist ein Großteil der SPD zur Wagenknecht-Partei gewechselt und hat eine BSW-Fraktion gebildet. Die Frage ist auch, ob das BSW der AfD Stimmen abjagen kann: Die Rechtsextremen hatten bei der Europawahl 2019 in Südwestfalen flächendeckend zugelegt, bei den Bundestags- und Landtagswahlen 2021 und 2022 hatten sie dann aber teils Stimmen verloren. Wie sieht es nun aus?
- Aus dem Sauerland mal eben kurz ins EU-Parlament nachgerückt
- Wagenknecht-Fraktion nach SPD-Beben gegründet
- Europawahl Siegen: Erstmals Abgeordnete aus Siegen in Brüssel?
- Europawahl mit 16: Wollen Jugendliche in NRW überhaupt abstimmen?
5. Welche Chancen haben Kleinstparteien?
Eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es nicht bei der Europawahl, daher reichen etwa 0,5 Prozent der Stimmen bundesweit für einen Sitz im EU-Parlament. Die Satire-Partei „Die Partei“ wird das wohl schaffen, schon 2019 ist sie mit zwei Abgeordneten eingezogen. Und in der Folge gab es auch bei den Kommunalwahlen in NRW Erfolge - „Die Partei“ sitzt in mehreren Stadt- und Gemeinderäten. Etwa in Bad Laasphe. Dort engagiert sich auch Alexander Rothenpieler als Sachkundiger Bürger im Rat, der nun aber für „Die Partei“ nach Europa strebt. Allerdings auf Platz 138 der Liste. Vorsichtig gesagt: Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass dies gelingt. Anders sieht es beim Blick auf die Tierschutzpartei aus, die 2019 1,4 Prozent errang. Deren Spitzenkandidat Sebastian Everding kommt aus Dortmund. Er hat wohl gute Aussichten auf einen Sitz in Brüssel.