Siegen. Alles über den Wahlabend, Reaktionen und Zahlen aus Siegen, Kreuztal, Netphen, Wilnsdorf, Freudenberg, Burbach, Hilchenbach und Neunkirchen.
Die Europawahl ist in Siegen-Wittgenstein nur leicht anders ausgegangen als im Rest der Republik: Die CDU hat zugelegt und ist stärkste politische Kraft geblieben, die sie – außer bei der Bundestagswahl – bei den letzten Wahlen auch war. Die Grünen haben erdrutschartig verloren, das Mandat im Europäischen Parlament ist für die Siegenerin Janina Singh in unerreichbarer Ferne. SPD und AfD lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Position 2, die die SPD am Ende trotz Verluste verteidigen konnte. Die FDP bleibt, wie bei der Europawahl 2019, auf Platz 5.
„Für uns Grüne ist das kein guter Tag“, sagt Janina Singh, „das ist nicht das Ergebnis, das wir erwartet haben.“ Dass die AfD starke Zugewinne bekommen könnte, „war meine größte Angst“. Dass das nun eingetroffen ist, sei „wirklich beunruhigend“. Dieser Entwicklung entgegenzusteuern, sei „Auftrag für alle demokratischen Parteien“. Währende die Grünen sich zu einem Abendessen in einem Restaurant in der Oberstadt versammelt hatben, zeigen die Spitzen der FDP Präsenz im Lyz. Kandidat Tibor Zachar aus Kreuztal hat mit seinem Listenplatz 31 keine reale Chance – die FDP hätte um die 30 Prozent holen müssen. Immerhin, so Guido Müller, der Chef der Kreistagsfraktion, sehe das FDP-Ergebnis im Kreisgebiet besser aus als auf Bundesebene: „Wir sehen das als Wasserstandsmeldung für die Kommunalwahl im nächsten Jahr.“
Gerade mal drei Dutzend Interessierte verlieren sich am Sonntagabend im Lyz-Foyer, wo die Kreisverwaltung die Ergebnisse präsentiert – dass der Bildschirm über der Getränketheke platziert ist, ist zumindest praktisch. Erste Meldungen von einer guten Wahlbeteiligung kann Dezernent Tobias Wein zumindest nicht durchgängig bestätigen. In Bad Berleburg musste im Laufe des Tages der Wahlbezirk Stünzel aufgelöst werden, weil dort weniger als 30 Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben haben. Um das Wahlgeheimnis zu wahren, wurden die Wahlumschläge mit den Stimmzetteln im benachbarten Weidenhausen in die Wahlurne geworfen.
Aus Niederholzklau kommt um 18.11 Uhr das erste Ergebnis: CDU vorn, SPD und AfD Kopf an Kopf, Grüne und FDP gleichauf. Nach und nach laufen die Ergebnisse aus den insgesamt 314 Stimmbezirken ein, zuerst die kleinen aus den ländlichen Ortschaften, dann die Bezirke aus den Städten, am Ende der riesige Schwung an Briefwählern. Roland Steffe, Sprecher des AfD-Kreisverbandes, verabschiedet sich schon nach einer halben Stunde – er hat genug gesehen: „Feiern und grillen“.
Tibor Zachar ist nicht enttäuscht. „Ich habe mein Netzwerk toll erweitern können“, sagt der Kreuztaler, der in Ungarn geboren wurde und seit 2002 in Deutschland lebt. 2017 habe er selbst noch nicht wählen dürfen. „Da habe ich mich schnell einbürgern lassen...“ Eher entspannt wirkt auch SPD-Mann Steffen Löhr. Der Netphener wird sich nicht als Ersatzmann für den Bielefelder Ingo Stuck bereithalten müssen. Damit der mit Listenplatz 24 ein Mandat bekommt, hätte die SPD zehn Sitze mehr gewinnen müssen.
Auch in Kreuztal ist die CDU nun stärkste Kraft
Gegen 20.30 Uhr ist der Wahlabend auch im Lyz-Foyer, wo sich die Spitzen von CDU und SPD gar nicht erst sehen lassen, gelaufen: In Siegen schneidet die CDU zwar schlechter als bei der Landtagswahl 2022 ab, bleibt aber mit Abstand stärkste Kraft. Auch Kreuztal, einst SPD-Hochburg, ist an die CDU gefallen. Gab es 2022 bei der Landtagswahl noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen, liegt die CDU nun mit fast zehn Prozentpunkten Vorsprung vorn. In Netphen, der drittgrößten Kommune im Kreis, erzielt die SPD nicht einmal halb so viele Stimmen wie die CDU.
In drei Gemeinden überrundet diie AfD die SPD
In Burbach, Netphen und Neunkirchen überrundet die AfD die SPD und arbeitet sich auf den zweiten Platz vor. Nur in Siegen sind die Grünen noch mit 11,1 Prozent zweistellig. In keiner der elf Kommunen des Kreises schneiden die Grünen besser ab als die SPD. Aufgrund ihres letzten Bundesergebnisses standen sie auf dem Wahlzettel an zweiter Stelle. Ein nennenswertes Ergebnis erringt das neu gegründete „Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW)“: Mit 519 Prozent arbeitet die Linken-Abspaltung sich an die FDP heran, die Linke selbst rutscht mit 1,84 Prozent in die Bedeutungslosigkeit ab.
Landrat Andreas Müller ist am Ende des kurzen Wahlabends als Wahlleiter zumindest in einem Punkt zufrieden: Mit 64,25 Prozent liegt die Wahlbeteiligung zwar unter dem Bundesdurchschnitt, aber leicht über der der Europawahl 2019: „Ein gutes Zeichen.“ Spitzenreiter mit um die 69 Prozent sind Erndtebrück, Freudenberg und Netphen.
207.992 Wahlberechtigte sind im Kreis Siegen-Wittgenstein in die Wählerverzeichnisse eingetragen, gut 3000 weniger als 2019. Erstmals wahlberechtigt sind auch 16- und 17-jährige Jugendliche: insgesamt 4422, die an Landtags- und Bundestagswahlen nach wie vor erst nach ihrem 18. Geburtstag abstimmen können. 376 Wahlberechtigte haben keinen deutschen Pass, sondern den Pass eines anderen EU-Landes – nach dem Brexit erstmals nicht mehr dabei sind die in Siegen-Wittgenstein lebenden britischen Staatsangehörigen dabei.
Juniorwahl in Siegen: CDU vor SPD und AfD
Schon vom 27. bis 29. Mai hat der Landesjugendring wieder eine U16-Europawahl ermöglicht, die in Siegen vom Jugendparlament ausgerichtet wurde. 917 unter 16-Jährige haben sich daran beteiligt. Das Ergebnis: 24,32 Prozent für die CDU, 21,83 Prozent für die SPD, 17,53 Prozent für die AfD, 7,69 Prozent für die Grünen, 5,88 Prozent für die FDP.
Ehrenamtliche Wahlhelfer in 314 Wahllokalen in Siegen-Wittgenstein
Seit Sonntagmorgen um 8 Uhr sind ehrenamtliche Wahlvorstände in den insgesamt 314 Wahllokalen im Kreisgebiet - einer von ihnen ist Mike Brombach. Seit 2017 meldet sich der Kreuztaler Lehrer zu diesem Dienst, der mit 40 Euro „Erfrischungsgeld“ vergolten wird. Auf ihn und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter kommt es an, wenn sie Punkt 18 Uhr die Wahllokale kurz schließen und dann zur öffentlichen Auszählung wieder öffnen.
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So wurde im Kreis Siegen-Wittgenstein gewählt
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Große Veranstaltungen während des Wahlkampfs gab es im Siegerland nicht, die Parteien haben sich weitgehend auf interne Veranstaltungen und Infostände beschränkt, bei denen sich die für die Region zuständigen Abgeordneten und Kandidaten sehen ließen: Dr. Peter Liese aus Meschede ist seit 1994 im EU-Parlament, er führt die CDU-NRW-Liste an. Birgit Sippel ist in Arnsberg zu Hause, ist seit 2009 SPD-Abgeordnete in Brüssel und Straßburg.
Am Wahlabend wird der Kreis Siegen-Wittgenstein im Lyz die Ergebnisse öffentlich präsentieren, dort finden sich erfahrungsgemäß auch Vertreter der Parteien ein. Eine regelrechte Wahlparty haben die Grünen vorbereitet: Sie wollen mit ihrer Kandidatin Janina Singh im Namaste-Restaurant am Siegener Markt feiern. Die 29-jährige Wirtschaftsrechtlerin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Berliner Büro der Siegener Grünen-Bundestagsabgeordneten Laura Kraft. Ihr Platz 19 auf der Liste der Grünen könnte für ein Mandat ausreichen. 2019, als die Grünen 20,8 Prozent erzielten, „zog“ die Liste bis Platz 21. Janina Singh wäre die erste Europaabgeordnete aus Siegen.
Peter Liese hat mit Platz 1 auf der CDU-Landesliste das Mandat sicher; 2019 wurden aus NRW (Landesergebnis für die CDU: 27,9 Prozent) sechs CDU-Abgeordnete nach Brüssel und Straßburg geschickt. Auch Birgit Sippel muss nicht zittern, selbst wenn die SPD auf Bundesebene noch weniger als 15,8 Prozent erringt. Die reichten 2019 für 16 Mandate – Birgit Sippel ist auf Platz 5.
Auf den Stimmzetteln gibt es aber auch noch andere Namen mit Siegener und Siegerländer Bezug. Da ist der Kreuztaler Tibor Zachar auf Platz 31 der FDP-LIste – mit insgesamt 194 Positionen ist die FDP, was den eigenen Wahlerfolg angeht, wohl die zuversichtlichste Partei vor diesem Urnengang. Das Ergebnis von 5,4 Prozent bei der Wahl 2019 hat für fünf Mandate ausgereicht. Auf Platz 25 der FDP-Liste findet sich mit der Bundestagsabgeordneten Sandra Weeser aus Betzdorf übrigens eine gebürtige Siegenerin. Platz 126 wird von Jörn Kaulfuß belegt, ein gebürtiger Siegener, der jetzt im hessischen Schlitz wohnt. Platz 138 hat Alexander Rothenpieler aus Bad Laasphe; er wurde in Kredenbach geboren.
Die SPD hat für ihre insgesamt 96 Bewerberinnen und Bewerber jeweils Ersatzleute benannt: Der Netphener Steffen Löhr, im Hauptberuf in der Kreisverwaltung Leiter des Referates des Landrats, steht neben dem Bielefelder Ingo Stucke auf Platz 24 der SPD-Liste. Mit Leoonard Niesik hat die nicht im EU-Parlament vertretene Partei der Humanisten einen Siegener auf Platz 14 ihrer LIste nominiert.
Gebürtiger Siegener ist schließlich auch Jan Denis Wulff, der von Berlin aus für die Grünen kandidiert, auf Listenplatz 18 und somit eine Position vor Janina Singh. Außerdem Sascha Panten, der in Haiger wohnt und auf Platz 9 der hessischen CDU-Liste steht. Und schließlich Carol Schröder; sie kandidiert von Essen aus auf Platz 32 der DKP-LIste.
Das sind die Ausgangspositionen
Die CDU war 2019 auch im Kreisgebiet mit 29,18 Prozent stärkste Partei, gefolgt von der SPD mit 20,53 Prozent. Auf den Stimmzetteln, die sich nach dem letztem landesweiten Ergebnis richten, sind aber zum ersten Mal die Grünen auf Platz 2; sie erzielten in Siegen-Wittgenstein 17,66 Prozent. Die AfD kam auf 10,41, die FDP auf 6,69, die Linke auf 4,42 Prozent. Unter den „Sonstigen“ nennenswert schnitt „Die Partei“ mit 2,51 Prozent ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 61,53 Prozent.
Drei Wahlen fanden nach der letzten Europawahl statt. Bei Kommunalwahl 2020 (55,85 Prozent) und Landtagswahl 2022 (53,42 in Wahlkreis 1 und 59,77 in Wahlkreis 2) lag die Wahlbeteiligung noch unter der an der Europawahl, nur Bundestagswahl 2021 mit 78,09 Prozent deutlich darüber.
Die CDU war auch bei Kommunal- und Landtagswahl mit 33 bis 38 Prozent stärkste Partei im Kreis, die SPD mit 27 bis 30 Prozent die Nummer 2. Nur bei der Bundestagswahl war das umgekehrt: 31 Prozent für die SPD, 26 für die CDU. Die Grünen schnitten bei allen folgenden Wahlen schlechter ab als bei der EU-Wahl 2019 und errangen zwischen 11 und 14 Prozent. Die FDP hat stets die „5“ oder „6“ vor dem Komma, bei der Bundestagswahl sprang sie auf 11,55 Prozent. Die AfD hat ihren zweistelligen Stimmenanteil von der letzten Europawahl nicht wieder erreicht, sie holte danach zwischen 6,7 und 9,1 Prozent. Auch die Linke blieb mit 1,5 bis 3,5 Prozent unter dem 2019er Ergebnis.
Das sollten Wählende wissen
Die Hochschulleitung der Universität Siegen hat an alle Studierenden und Beschäftigten appelliert, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Ich wünsche mir für die Universität Siegen, aber auch ganz persönlich, dass Europa auch in Zukunft ein attraktiver Standort für Forschung und Innovation bleibt, der internationalen Studierenden, Forschenden und Lehrenden offensteht und gleichzeitig europäische Werte bewahrt. Dazu können wir alle beitragen: mit einer hohen Wahlbeteiligung am kommenden Sonntag“, sagt Uni-Rektorin Prof. Dr. Stefanie Reese.
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