Iserlohn. In der Fußball-Bundesliga bewegt Oliver Ruhnert Millionen – führt die Linken in Iserlohn an und pfeift Spiele in der Kreisliga. Ein Porträt.
Die schwarzen Stutzen richtet sich Oliver Ruhnert (51) noch ein letztes Mal. Müde sieht er aus, drei Stunden nur geschlafen, sein Auto hatte eine Panne in der Nacht und der Pannenservice nicht die besten Mitarbeiter im Dienst, weil sie jemanden schickten, ihn in Berlin abzuholen, dabei stand er in Hamm. Aber das ist eine andere Geschichte. Ruhnert winkt ab.
Vielleicht auch wegen dieser Nacht hätte er sich gefreut, wenn jemand den Raum aufgeräumt hätte: Auf dem Tisch in der Schiedsrichterkabine liegt noch eine benutzte Pommesschale, daneben steht eine leere Dose Red Bull. Fußball, Kreisliga A, Iserlohn, Spitzenspiel: Vatanspor Hemer gegen SC Hennen. Draußen vier Grad, bisschen Schneeregen, 42 Zuschauer. „Wenn du eingeteilt bist, dann gehst du auch hin“, sagt er. Es klingt wie eines seiner Prinzipien.
Millionen-Manager und Linken-Politiker: Wie passt das zusammen?
Die hat er, immer schon, noch bevor er wurde, was er heute ist und was nicht so recht passen will zu dem Rest seines Lebens: Ruhnert ist Manager des 1. FC Union Berlin, der Sensationsmannschaft in der Fußball-Bundesliga. Auf Tabellenplatz drei steht der Klub mit seinem Klein-Etat und schaltete im Europapokal das traditionsreiche Ajax Amsterdam aus. Aber Ruhnert ist auch noch: Schiedsrichter im Amateurfußball und Fraktionsvorsitzender der Linken im Iserlohner Stadtrat.
Ein Mann, drei Rollen – und viele Fragen, ob das eine nicht das andere ausschließt: der große Sport mit den Stars, den vollen Stadien, den hellen TV-Studios – und der Sonntag im gelben Hemd in der Weite des Sauerlandes; die Millionen Euro, die in der turbokapitalistischen Branche verschleudert werden – und die teils sozialistischen Ideen der Linken.
Wer ist dieser Typ?
„Es gibt ja immer wieder Spiele, in denen es auch mal heiß hergeht. Wenn du am Ende den Platz verlässt und es gab kein Theater, dann war alles gut“, sagt Ruhnert kurz vor dem Anpfiff. Schiedsrichter haben es nicht leicht, das Ausbleiben wüster Beschimpfungen ist zumeist das höchste Lob, das sie erhalten. Schuld an Niederlagen sind sie sowieso oft.
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Aber so sieht er das nicht. „Wenn ich sonntags nicht auf dem Platz stehen kann, dann vermisse ich das richtig“, sagt er. „Mir gibt das die Gelegenheit, abzuschalten, gedanklich woanders zu sein – und mit frischen Gedanken nach Berlin zurück zu gehen.“ Dabei ist nicht die Tätigkeit allein, er könnte ja auch in Berlin Spiele leiten. „Ich brauche meine Heimat, das Sauerland, die Leute dort.“
Die Mama wohnt in der Heimat in Hüsten, Hochsauerland. Noch mehr aber ist Ruhnert Iserlohn verbunden, wohin er weitere familiäre Bindungen hat, wo er als junger Mann Verbandsliga spielte, später drei Mannschaften coachte, um während des Lehramts-Studiums Geld zu verdienen, und wo er dem Klub bis heute mit Rat und Tat zur Seite steht. Manchmal kommt er hoch zum Platz, schaut beim Training zu, unterhält sich, geht ins Vereinsheim. Im traditionsreichen Café Spetsmann in der Innenstadt knufft ihn die Bedienung zur Begrüßung in die Seite.
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„Der pfeift auch jeden Scheiß heute“, raunt einer am Rand des Kreisliga-Spitzenspiels. Leise genug, dass es keiner hört, denn Ruhnert wird als Fachmann respektiert. Seine Pfiffe klingen nicht wie Alarm, sondern wie ein kurzer Hinweis. Das reicht schon.
Elfmeter für die Gastgeber. Keine Proteste.
„Hände weg, Nummer 9“, ruft er dem Stürmer später zu, der die Hände vom Gegner lässt.
Der Weg in den Profifußball beginnt 2007 mit der Entlassung in Iserlohn
5:1 gewinnt Vatanspor. „Als wir gesehen haben, dass er das Topspiel, pfeift haben wir gedacht: Gott sei Dank, ein guter Schiedsrichter“, sagt Hennens Co-Trainer und lacht: „Dass er manchmal im Fernsehen ist, ändert nichts: Wenn er mal Grütze pfeift, würde ich mit ihm meckern wie mit jedem anderen auch.“
Wann immer es geht, reist Ruhnert aus Berlin nach Iserlohn, zumeist mit der Bahn, drei Stunden sind es bis Hamm. Neulich, nach dem Heimspiel gegen Köln, nahm er den letzten Zug Richtung Westen – zusammen mit vielen FC-Fans. „Ruhnert raus“ hätten sie bei jedem Halt voller Freude gerufen. 20 Spiele pro Saison pfeift er etwa, zu den Ratssitzungen fehlt er nur ausnahmsweise.
Mit Ruhnert beginnt Unions Weg nach oben
2007 wurde Ruhnert als Oberliga-Trainer in Iserlohn entlassen. Freiwillig wäre er da nie weggegangen, sagt er. Ein kritisches Interview wurde ihm zum Verhängnis. Aber da beginnt seine wundersame Reise in den Profifußball: Er kommt über den früheren Bundesligatrainer Helmut Schulte, ebenfalls Sauerländer, als Scout zum FC Schalke, wird Trainer der zweiten Mannschaft, später Leiter der Nachwuchsabteilung. Schalke ist sein Herzensverein, den er 2017 offiziell auf eigenen Wunsch verlässt. Atmosphärische Störungen sollen der Grund gewesen sein.
Seitdem ist er bei Union. Schulte lotste ihn auch dorthin. Erst arbeitete Ruhnert als Chefscout, seit 2018 als Geschäftsführer Sport. Seitdem geht es aufwärts. Erstmaliger Aufstieg in die Bundesliga 2019, jetzt schickt sich der Klub an, sich für die Champions League zu qualifizieren. Völliger Irrsinn wäre das. Neulich, sagt Ruhnert, sei er in Berlin von zwei älteren Damen angesprochen worden, die eine mit Union-Tattoo auf dem Arm. Sie hätten sich bedankt, dass sie all das noch erleben dürften mit ihrem Verein. Einer der Gründe dafür: Ruhnert, der Architekt des Erfolgs, der Spieler findet, die sonst keiner findet.
Lob für Ruhnert: „Transferkönig“ und „magischer Manager“
Respekt hat er sich erarbeitet in der Branche, in der viele als Manager arbeiten, die früher selbst Profifußball gespielt haben: Sebastian Kehl beim BVB, Hasan Salihamidzic in München. Die FAZ nennt Ruhnert den „Transferkönig“, vom RBB wird er „magischer Manager“ geadelt. „Die Manager-Kollegen würden mir glaube ich ein positives Feedback geben. Viele sagen bestimmt auch: Der ist anders. Allein schon, weil mein Weg dorthin ungewöhnlich war“, sagt er.
Ein Dienstagabend im März, Ratssitzung der Stadt Iserlohn im Multifunktionssaal: hohe Decken, sechs Sitzreihen, jemand drückt wieder und wieder auf den Hebel der Isolierkanne, die ihren Kaffee in einen Becher faucht. Es geht um denHaushalt der Stadt. Und Ruhnert geht es um Teilhabe. „Ich habe früh im Leben mitbekommen, dass dass es finanziell nicht immer nur die Sonnenseite im Leben gibt“, sagt er über seine Kindheit. Während seines Lehramtsstudiums arbeitete er nachts in der Tankstelle und trug Zeitungen aus. „Vielleicht kommt daher ein gewisses Gerechtigkeitsempfinden, dass man versuchen muss, allen ein gutes Leben zu ermöglichen.“ Damit sei nicht Karibik für alle gemeint, sondern Zugang zum Sport- und Kulturangebot. „Wir können unsere Städte nicht kaputtsparen“, sagt er in seiner Haushaltsrede, während draußen der Tag zuende geht.
Den Weg zum Lehrer abgebrochen – Entscheidung für den Fußball
Einfach abnicken und Ja sagen, das ist nicht seins. Den Weg zum Lehrerberuf brach er nach dem ersten Staatsexamen ab. Er konnte sich nicht vorstellen, die nächsten 40 Jahre diesen Job zu machen. Die Familie hätte es begrüßt, wenn er auf Nummer sicher gegangen wäre. Er selbst kann bis heute nicht erklären, was ihn damals geritten hat. Er liebte Fußball – aber einen Plan, wie er damit verlässlich genug Geld verdienen könnte, hatte er nicht. Bis sich doch wieder alles fügte.
Früher hat er sich im Programm der SPD wiedergefunden, seit vielen Jahren nun schon bei den Linken. Blanke Ablehnung hätten sie beim Aufbau der Partei in Iserlohn erfahren von Bürgern und aus der Politik. Sie seien „als Mauerschützen und Linksradikale bezeichneten“ worden, „Steinewerfer und Stasischweine waren wir auch“.
Doch Ruhnert etabliert die Linken und holt im konservativen Sauerland erstaunliche Ergebnisse. „Oft sagen mir die Leute, dass ich aufgrund meines Einkommens eigentlich FDP-Mitglied sein müsste“, sagt er, „aber ich habe ja nicht angefangen, mich zu verändern. Das andere, was ich bin, bin ich viel länger als Bundesligamanager.“
Schiedsrichter, Mitglied bei den Linken – Ruhnert muss selbst schmunzeln. „Den Weg des geringsten Widerstandes bin ich nie gegangen. Ich bin keiner, der anderen nach dem Mund redet.“ Zumindest nicht, wenn er andere Überzeugungen hat. Trotzdem hat er es weit gebracht. Oder: gerade deshalb.
+++ Hintergrund +++
Oliver Ruhnert war das jüngste von sechs Geschwisterkindern und wurde in Hüsten groß. „Es waren sehr einfache, sehr schwierige Verhältnisse, in denen wir lebten. Nicht, dass es an irgendetwas gemangelt hätte. Nur über das Nötige hinaus konnten wir uns nicht viel leisten“, heißt es in dem Buch „Oliver Ruhnert – Das Geheimnis seines Erfolgs“, das 2022 erschien.