Düsseldorf. Warum die Europawahlliste der NRW-CDU zeigt, wie geschickt Ministerpräsident Wüst inzwischen den größten Landesverband der Union formt.
Auf den ersten Blick sieht die Europawahlliste der NRW-CDU, die am Wochenende in Dortmund beschlossen wurde, nach machtpolitischer Routine aus. Beim zweiten Hingucken wird jedoch deutlich, wie geschickt Ministerpräsident und Landeschef Hendrik Wüst nach nur zweieinhalb Jahren im Amt inzwischen die wichtigste Parteigliederung der CDU nach seinem Willen formt.
Wie schon bei der vergangenen Europawahl 2019 wird auch am 9. Juni der erfahrene Umweltpolitiker Peter Liese die Liste der NRW-CDU anführen. Der 58-jährige Kinderarzt aus Meschede arbeitet seit 30 Jahren in Brüssel und ist parteiübergreifend anerkannt für seinen Kampf um einen Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie. „Wir müssen uns darum kümmern, dass unsere Wirtschaft Rückenwind und keinen Gegenwind bekommt“, sagte Liese in Dortmund.
NRW-CDU wollte auf Europawahlliste Parität zwischen Frauen und Männern
Dass Liese, ein Vertrauter von Parteichef Friedrich Merz, erneut die Spitzenkandidatur übernimmt, war deshalb keine Überraschung. Auf den Listenplätzen dahinter schimmert jedoch deutlich Wüsts Handschrift durch. Der Ministerpräsident hatte frühzeitig in den Parteiapparat signalisiert, dass er erstmals eine aus Frauen und Männern paritätisch besetzte Liste wünsche. Das sorgte intern für heftige Diskussionen, da 2019 nur die ersten sechs Plätze zum Einzug ins Europaparlament berechtigten. Fünf von sechs dieser aussichtsreichen Ränge waren damals mit Männern besetzt, die diesmal allesamt noch einmal antreten wollten.
In monatelanger Pendeldiplomatie musste Wüsts Generalsekretär Paul Ziemiak, der selbst Lieses Parteibezirk Südwestfalen führt, mit den sieben übrigen Bezirksfürsten der NRW-CDU ein Tableau aushandeln. Am Wochenende jubelte er, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Landesverbands mehr Frauen als Männer auf der Wahlliste stünden. „Der Frauenanteil auf der Gesamtliste liegt sogar bei zwei Dritteln“, sagte Ziemiak.
Wüst-Vertrauter Radtke steigt in der NRW-CDU auf
Das ist gewiss eine gute Portion Polit-Marketing, da voraussichtlich ohnehin nur sechs, maximal sieben Listenplätze für die NRW-CDU Erfolgsaussichten haben und der große Rest reine Zählkandidaten sind. Doch auch innerhalb des vorderen Drittels hat Wüst interessante Verschiebungen durchgesetzt. So ist die Aachener Europaabgeordnete Sabine Verheyen auf Platz zwei hinter Liese vorgerückt.
Noch bemerkenswerter: Der Bochumer Europaabgeordnete Dennis Radtke springt auf Rang drei. Der Landeschef des Sozialflügels CDA musste 2019 noch mit Rang fünf vorliebnehmen. Der 44-Jährige ist seit gemeinsamen Tagen in der Jungen Union ein enger Gefolgsmann Wüsts, der 2021 in der parteiinternen Schlacht um die Nachfolge von Armin Laschet nimmermüde bei Arbeitnehmern Vorbehalte gegen den Konservativen a.D., Hendrik Wüst, abbaute. Zudem gilt Radtke als wortflinker Kritiker von Parteichef Merz und wird wohl Nachfolger Karl-Josef Laumanns, wenn der 67-Jährige nicht mehr als CDA-Bundeschef antreten sollte. Mit dem kernigen Industriekaufmann Radtke als kommendem Gesicht der Arbeitnehmer in der Union kann Wüst den zunehmend unterbelichteten Sozialflügel demonstrativ stärken.
Eine Neueinsteigerin als Hoffnung für das Innenressort in NRW
Als starke Neueinsteigerin und Profiteurin der Quote gilt auf Platz vier Verena Mertens aus Ostwestfalen. Die 42-jährige Volljuristin ist bislang Leiterin der Kriminalpolizei in Paderborn und schon lange in der CDU engagiert. Mit dem Wechsel in die Berufspolitik könnten ihr in den kommenden Jahren noch größere Perspektiven offenstehen. Wenn der populäre NRW-Innenminister Herbert Reul, der im August 72 wird, in den Ruhestand geht, dürfte die Zeit reif sein für die erste Frau in der Landesgeschichte an der Spitze des bedeutsamen Polizei-Ressorts. Neben der aktuellen Innen-Staatssekretärin Daniela Lesmeister könnte da auch Mertens‘ Profil für Wüst interessant sein.
Weggelobt wird hingegen der Münsterländer Europaabgeordnete Markus Pieper, der sich ironischerweise vor 20 Jahren im regionalen Kandidatenwettstreit gegen einen gewissen Hendrik Wüst durchsetzte. 2019 war Pieper noch Nummer zwei der Landesliste. Nun soll er „Mittelstandsbeauftragter“ der EU-Kommission werden. Angeblich ließ Wüst monatelang nach dieser Anschlussverwendung fahnden.
Die bisherigen Abgeordneten Axel Voss und Stefan Berger dürfen als Fünfte und Sechste der Liste auf einen Wiedereinzug ins Parlament hoffen. Voss wurde vom neuen Bezirkschef Mittelrhein, dem einflussreichen Staatskanzleichef Nathanael Liminski, kräftig unterstützt. Der Viersener Wirtschaftswissenschaftler Berger wiederum ist ein langjähriger persönlicher Freund von Wüst und hat 2019 seinen sicheren Landtagswahlkreis am Niederrhein für den Wechsel nach Brüssel aufgegeben. Im Landesvorstand versuchte offenbar Innenminister Reul als bergischer Bezirkschef noch in letzter Minute, Berger von Rang sechs zu verdrängen und seine Kandidatin Miriam Viehmann durchzusetzen. Vergeblich. Wüst-Intimus Berger setzte sich mit 26:9 Stimmen klar durch.