Hagen. Janina Singh aus Siegen will ins Europaparlament. Hunderte Kandidaten sind chancenlos. Warum die Grüne es aber schaffen könnte.
Drei bekannte Gesichter und - zumindest nicht völlig undenkbar - ein viertes neues. So lässt sich das Kandidatinnen- und Kandidaten-Karussell für Südwestfalen zusammenfassen, wenn am 9. Juni das Europaparlament gewählt wird. Das vierte, das neue Gesicht aus Südwestfalen, könnte die 29-jährige Janina Singh aus Siegen sein. Dann aber müsste ihre Partei, die Grünen, ihren Erfolg aus dem Jahr 2019 wiederholen.
Damals waren es bundesweit 20,5 Prozent der Stimmen, die den Grünen 21 Sitze einbrachten. Janina Singh, die europäisches Wirtschaftsrecht sowie Plurale Ökonomie studiert hat und heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag arbeitet, belegt Platz 19 auf der bundesweiten Kandidatenliste der Grünen. Bei gut 19 Prozent der Stimmen oder mehr für die Grünen dürfte sie also in das Brüsseler Parlament einziehen - die jüngste Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sieht die Grünen aktuell aber bei nur 15 Prozent bundesweit.
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Im Gegensatz zu der Bundestags-und der Landtagswahl gibt es bei der Europawahl keine Wahlkreise. Streng genommen gibt es also gar keine südwestfälischen Europaabgeordneten. Entscheidend ist, wie Kandidatinnen und Kandidaten auf den bundesweiten Listen ihrer Parteien platziert werden. Eine Ausnahme bildet nur die Union, die - wegen der CSU in Bayern - mit Kandidatenlisten für die einzelnen Bundesländer antritt. Deutschland entsendet insgesamt 96 Abgeordnete nach Brüssel. Eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es nicht bei der Wahl am 9. Juni, deshalb haben auch Kleinst-Parteien ab etwa 0,5 Prozent Stimmenanteil Chancen auf einen Sitz. Man kann in etwa sagen: Die Parteien bekommen so viele Sitze wie sie Prozentpunkte bei der Wahl erreichen.
Vor diesem Hintergrund kann man schon jetzt ziemlich genau prognostizieren, wer aus Südwestfalen auch im neuen EU-Parlament vetreten sein wird.
Der „Dauerbrenner“: Peter Liese
Da ist zunächst einmal der „Dauerbrenner“ für die CDU: Peter Liese aus Meschede sitzt seit 1994 im Europaparlament - damals als Nachfolger eines gewissen Friedrich Merz. Der 58-jährige Kinderarzt gilt als sehr einflussreich, insbesondere in seinem Spezialgebiet Klimaschutz und EU-Emissionshandel. In der Corona-Pandemie war er zudem als Mediziner eine der lautesten Stimmen. Der „Spiegel“ bezeichnete ihn damals als „Karl Lauterbach Brüssels“ und handelte ihn vor der Bundestagswahl 2021 sogar als einen möglichen Gesundheitsministerkandidaten der Union. Er steht auf Platz 1 der CDU-Landesliste für NRW und wird damit sicher auch im neuen Parlament in Brüssel vertreten sein.
Der Sozialpolitiker: Dennis Radtke
Ähnliches gilt für Dennis Radtke aus Bochum. Der 44-Jährige steht auf Platz 3 der CDU-Landeliste für NRW, der auch als sicher gilt. Auch wenn es keine Wahlkreise bei der EU-Wahl gibt, gilt der gelernte Industriekaufmann und frühere Gewerkschaftssekretär als der CDU-Kandidat für Hagen, den Ennepe-Ruhr-Kreis und das Ruhrgebiet. Radtke, der seit 2017 im Europaparlament sitzt, hat sich zu einem der führenden und wenigen prominenten Sozialpolitiker der Union entwickelt und gilt auch als einflussreich.
Die Fachfrau: Birgit Sippel
Für die SPD in der Region hat Birgit Sippel aus Arnsberg allerbeste Chancen, wieder in das EU-Parlament einzuziehen, in dem sie schon seit 2009 sitzt. Die jüngste Umfrage sieht die SPD trotz aller Ampel-Schwierigkeiten bei immerhin 16 Prozent, Platz 5 auf der bundesweiten Kandidatenliste der Sozialdemokraten dürfte der 64-Jährigen also locker reichen. Obwohl schon 15 Jahre in Brüssel vertreten, gilt sie als eher unbekannt, gleichwohl aber innerhalb ihrer Partei als gut vernetzt und einflussreich. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin ist im Parlament unter anderem Fachfrau für Fragen der Privatsphäre und des Datenschutzes sowie der Asyl- und Migrationspolitik und vertritt für ihre das Partei Sauer-und Siegerland, aber auch Hagen.
Andere Parteien ohne Südwestfalen-Kandidaten
Die anderen im Bundestag vertretenen Parteien, also FDP, AfD, Linke und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) haben auf ihren Wahllisten keine Kandidaten aus Südwestfalen auf den aussichtsreichen Plätzen, gleiches gilt für die Kleinstparteien wie Volt, Die Partei oder die Tierschutzpartei.
Also bleibt Janina Singh aus Siegen, die für die Grünen zumindest in Reichweite eines Sitzes in Brüssel ist - und so das Trio Sippel-Liese-Radtke ergänzen könnte. Wenn nicht sofort, dann gegebenenfalls in den kommenden Jahren, da es in der fünfjährigen Wahlperiode immer wieder zu Wechseln kommt und Nachrücker einziehen können. So wie Dennis Radtke, der 2017 für die CDU nachrückte, als Herbert Reul, der bis dahin im EU-Parlament war, zum NRW-Innenminister ernannt wurde.
Janina Singh sieht keinen Nachteil darin, dass die anderen Kandidaten aus Südwestfalen eine vermeintlich größere Bekanntheit haben, weil sie schon länger im EU-Parlament sitzen: „Ich glaube, dass es immer gut ist, neue Gesichter und frische Perspektiven in einem Wahlkampf zu haben. Auf den Podien in ganz NRW, auf denen ich die Grünen bislang vertreten durfte, war ich oft die einzige Frau und mit Abstand die Jüngste. Ich glaube, ich bringe nochmal neue Blickwinkel auf Europapolitik mit und das macht es doch nochmal interessanter.“
Richtig in Schwung gekommen sei der Wahlkampf allerdings noch nicht: „An den Wahlkampfständen sind die meisten bislang sehr überrascht darüber gewesen, dass bald schon Europawahl ist“, so die 29-Jährige. „Das Bewusstsein ist also gefühlt noch nicht ganz da. Wenn die ersten Wahlplakate in der Stadt hängen, wird sich das aber auch ändern.“