Hagen. Die marode Infrastruktur plagt Südwestfalen. Wie belastet Straßen und Nerven sind, zeigt eine Reise durchs Land der bröselnden Brücken.

Sie ist 57, also normalerweise noch lange nicht am Ende ihres Lebens angekommen. Aber wenn sie über die Verkehrssituation und die marode Infrastruktur in der Region spricht, dann fühlt sich Iris aus Nachrodt ihrem Lebensende doch näher als einem Abschluss der umfangreichen Sanierungsmaßnahmen, die in Südwestfalen erforderlich sind.

Über die teilgesperrte Lennebrücke in ihrem Heimatort sagt die Frau, die mit ihren beiden Hunden über das marode Bauwerk spazieren geht, beispielsweise: „Bis die neue Brücke da ist, bin ich nicht mehr da.“ Es ist ein Satz, der nachdenklich stimmt.

Die Brücke in Nachrodt ist dabei nur einer von zahlreichen Sanierungsfällen im Märkischen Kreis, dem seit der Sperrung der Rahmedetalbrücke der A45 bei Lüdenscheid und seit dem Hochwasser im Jahre 2021 der Verkehrsinfarkt droht. Wie belastet die Straßen und die Nerven sind, zeigt eine Bestandsaufnahme im Land der bröselnden Brücken.

Eine Reise durch den Märkischen Kreis, vorbei an Baustellen, Beschädigungen und Beschränkungen.

Der Verkehr im Märkischen Kreis quält sich vorbei an vielen Baustellen.
Der Verkehr im Märkischen Kreis quält sich vorbei an vielen Baustellen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Achtung, Straßenschäden

Die Tour startet donnerstagnachmittags in Hagen – und mit der ersten Einschränkung. Auf dem Weg raus aus der Stadt geht es mit Tempo 10 voran, eine Brücke im Stadtteil Eilpe an der B54 ist beschädigt...

Auf dem Weg über den Volmeabstieg nach Hohenlimburg grüßt an der Autobahn-Auffahrt Hagen-Süd ein Schild, das auf die Sperrung der A45 bei Lüdenscheid und damit auf den Auslöser der Verkehrs-Probleme in der Region aufmerksam macht. In Hohenlimburg stören die Schlaglöcher auf der B7 beim Blick hoch zum Schloss, von dem sich ein herrlicher Blick über das Lennetal bieten kann. In Iserlohn-Letmathe ist die Durchfahrt ab Alter Markt gesperrt, außerdem weisen Schilder an der B236 bereits auf eine Sperrung im zehn Kilometer entfernten Altena hin. Für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen heißt es: „Umleitung über Iserlohn, Hemer. Bitte wenden.“ Außerdem taucht ein Schild auf, das im Märkischen Kreis heimisch geworden ist: Achtung, Straßenschäden.

So ruhig, wie die Lenne an diesem Tag in ihrem Flussbett neben der B236 fließt, geht es auf der Straße nicht zu. Feierabendverkehr. In Nachrodt geht dann erst einmal gar nichts mehr.

Erzählen können alle viel, so richtig ernst nehme ich das nicht mehr. Es ist teilweise lächerlich.
Iris - Einwohnerin Nachrodt

Sarkasmus und Resignation

Die dortige Brücke über die Lenne war zeitweise gesperrt, ist inzwischen stabilisiert und wieder für den Verkehr freigegeben – zumindest einspurig. Eine Baustellen-Ampel regelt den Verkehr. Bei Rot bildet sich mitunter ein Rückstau von mehreren Hundert Metern Länge, wie auch Iris bestätigt.

Als „unbefriedigend“ bezeichnet sie die Situation mit all den Straßenschäden in der Region. „Viel schlimmer“ sei jedoch die Bürokratie, dass es so lange dauere, „bis mal was gemacht wird“. Sie, die ihren Nachnamen nicht verraten möchte, nimmt die Situation mit Sarkasmus und Resignation. So sagt sie zu dem Plan, dass die neue Rahmedetalbrücke an der A45 bis Mitte 2026 zumindest teilweise für den Verkehr freigegeben werden soll: „Erzählen können alle viel, so richtig ernst nehme ich das nicht mehr. Es ist teilweise lächerlich.“

Man ist genervt. Es findet kein Ende.
Thomas Hermann - Einwohner Altena

Ohne Ortskenntnis wird es schwierig

Weiter geht die Fahrt nach Altena. Auch hier: Brückenschäden. Die B236 ist für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen Gewicht und 3,40 Metern Höhe gesperrt. Die Stimmung? „Man ist“, sagt Einwohner Thomas Hermann (38), „genervt.“ Egal, in welche Richtung man fahre, es gebe Baustellen, Staus, Beschränkungen, Schlaglöcher, ergänzt sein Kollege Mark Lengelsen (25). „Es findet kein Ende“, klagt Hermann, „noch eine Sperrung, dann war es das.“ Dann gehe gar nichts mehr.

Die beiden Männer haben ihre Autos in Sichtweite des Nadelöhrs an der Lenne geparkt. Sie erzählen von Arbeitskollegen, die aus Dortmund nach Altena pendeln – und genervt seien. Sie berichten von ortsfremden Lkw-Fahrern, die im Dschungel von Sperrungen und Umleitungen nicht weiterwüssten, Staus verursachten. „Für die Lkw ist das eine Katastrophe“, sagt Thomas Hermann, „ich kenne mich hier aus, aber wer das nicht tut, hat ein Problem.“

Hoffnung auf Besserung haben sie nicht, jedenfalls „nicht in absehbarer Zeit“, wie Mark Lengelsen formuliert. Laut des Landesbetriebs Straßen.NRW wird beispielsweise die Sperrung in Altena noch bis mindestens 2026 bestehen bleiben. Kurzfristig sind die Infrastrukturprobleme der Region nicht zu lösen.

Genervt von den Baustellen, Umleitungen und Staus: Thomas Hermann (l.) und Mark Lengelsen.
Genervt von den Baustellen, Umleitungen und Staus: Thomas Hermann (l.) und Mark Lengelsen.

Das Leben umstellen

In Lüdenscheid ruhen an diesem Abend die Arbeiten an der neuen Rahmedetalbrücke. Dafür quälen sich Lkw über die Bedarfsumleitung durch die Stadt. Teils geht es nur im Schritttempo voran – und über Schlaglöcher und durch Tempo-30-Zonen. Auch hier grüßt das Schild: Achtung, Straßenschäden.

Seitdem die Polizei das im Juni 2023 von der Stadt verhängte Lkw-Durchfahrverbot für ortsfremde Trucks nicht mehr mit einem Großaufgebot kontrolliert, soll der Schwerlast-Verkehr wieder zugenommen haben, auch auf der Ausweichroute über die B54 durchs Volmetal. Im Lüdenscheider Ortsteil Brügge ist seit Mitte der Woche die Teilsperrung der B54 aufgehoben, da die Arbeiten an der dortigen Eisenbahnbrücke nach knapp zwei Monaten abgeschlossen sind. Immerhin ein Fortschritt.

Auf einem Supermarktparkplatz verstaut Gerhard Schlieck am Abend erst seine Einkäufe im Auto, dann sagt er über die Verkehrssituation: „Man muss sein Leben umstellen.“ Er komme aus Kierspe, stehe früher auf, fahre früher los. Außerdem versuche er, sich nicht aufzuregen. Klappt das? „Das geht, ja“, sagt Gerhard Schlieck, aber er sei auch ein ruhiger Typ.

Ein Grund für die Gelassenheit, die er auch im Gespräch vermittelt, könnte sein, dass er nicht mehr so oft ins Epizentrum der Verkehrsprobleme muss. Bis zum vergangenen Jahr habe er in Lüdenscheid gearbeitet, nun fahre er beruflich nach Meinerzhagen. In seiner ehemaligen Firma habe er allerdings auch Arbeitskollegen erlebt, die aus Dortmund oder Hagen täglich nach Lüdenscheid pendelten, viel Zeit verloren und deshalb gekündigt hätten. „Unser Unternehmen“, sagt Gerhard Schlieck, „hat gelitten.“ Wie die Infrastruktur.

Die nächste Sperrung kommt im Mai

Der nächste Tag, Freitagnachmittag, Landstraße 528 zwischen Hagen und Breckerfeld, gut 15 Kilometer westlich von der A45. Seit der Sperrung der Autobahn und der Einführung des Lkw-Durchfahrverbots in Lüdenscheid sieht man auf der ländlichen Strecke, die über einen Höhenzug fast parallel zur B54 im Volmetal nach Meinerzhagen und zur A45 führt, häufiger viele Lkw. Vor dem Wochenende treffen sich hier Autos, Trucks, Trecker. Es geht nur langsam voran.

Auch auf dieser Route gehören Straßenschäden, Baustellen und Verzögerungen dazu, teilweise gibt es auch Durchfahrtbeschränkungen für Fahrzeuge ab 3,5 oder 7,5 Tonnen, was die Sache für Lkw-Fahrer auch hier nicht einfacher macht. Die Möglichkeiten, die Problemzone(n) zu umfahren, sie sind gering. Hinzu kommt: Bald wird die Ortsdurchfahrt Halver zwecks Fahrbahnsanierung voll gesperrt, zunächst ab dem 2. Mai für voraussichtlich drei Wochen, dann, ab dem 8. Juli, für vier bis sechs Wochen. Weiter südlich ist in Kierspe zudem eine Brücke über die Volme nur einspurig befahrbar: Bauwerkschäden. Für Lkw ab 40 Tonnen ist die Brücke tabu.

Eine Ortschaft von Kierspe heißt übrigens: Neue Brücke. Klingt wie ein Programm für Südwestfalen.