Gelsenkirchen/Lüdenscheid. Der Landesbetrieb Straßen.NRW steht im Feuer, weil viele Straßen in einem miserablen Zustand sind. Das sagt die Chefin Petra Beckefeld.

Ist die Lage der Straßen in Südwestfalen wirklich schlechter als im Rest von NRW oder klagt die Region nur lauter als andere?

Die Situation in Südwestfalen ist schon aufgrund der Topografie außergewöhnlich. Es gibt in der Region sehr viele enge Täler; da ist nur sehr wenig Platz für Straßen und Schienen. Wenn nur zehn Meter Brücke kaputt gehen, kann das schon zum Riesenproblem werden. Südwestfalen ist zudem in NRW die Region mit den meisten Stützbauwerken und zahlreichen Hangsicherungen. Zudem ist die Infrastruktur in die Jahre gekommen. Bei unseren Sanierungsarbeiten sperren wir Straßen häufig vollständig. Das erfordert immer wieder der Arbeitsschutz und gleichzeitig können wir so schneller arbeiten. Das ist schwierig, weil die Zahl der Ausweichrouten begrenzt ist. Ich habe Verständnis dafür, dass Vollsperrungen vor Ort abgelehnt werden. Aber so dauert es dann natürlich länger. Die Notwendigkeit, Straßen instand zu setzen, gibt es in ganz Deutschland. In Südwestfalen zeigt sich aber besonders, dass die Netzdichte für Ausweichrouten nicht hinreichend hoch ist.

Und dann kommt zu allem Übel noch die A 45 dazu.

Genau. In einer Region mit einem exorbitant hohen Schwerlastanteil wirkt sich die Sperrung einer solchen Hauptschlagader besonders stark aus. Das ist tatsächlich eine enorme Belastung für die Wirtschaft und die Menschen, die dort leben.

Petra Beckefeld ist die Chefin von Straßen.NRW. Sie fordert mehr Wertschätzung für ihre Leute.
Petra Beckefeld ist die Chefin von Straßen.NRW. Sie fordert mehr Wertschätzung für ihre Leute. © Strassen NRW | Strassen nrw

Kommen Sie mit der Sanierung der Umleitungsstrecken noch nach?

Alle Nebenstrecken sind überlastet. Wir können momentan nur das Nötigste erledigen, um die Verkehrssicherheit zu garantieren, das hat absolute Priorität. Vollsperrungen sind kaum möglich, sonst würde der Verkehr zusammenbrechen. Ich verstehe, dass die Belastungen bei allen Betroffenen Frust auslösen.

Leiden Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter diesem Frust?

Ja. Es ist eine Zumutung, wie unsere Leute zum Teil behandelt werden.

Von den Medien oder von den Bürgern?

Pauschale Verurteilungen sind nie hilfreich. Unsere Leute engagieren sich mit großem persönlichen Einsatz. Sie tun ihr Bestes unter schwierigen Bedingungen. Sie leben ja zum Teil selbst in der Region. In Nachrodt-Wiblingwerde, wo wir die Lenne-Brücke reparieren, ist ein Mitarbeiter, der sich einen Kaffee holen wollte, mit dem Satz rausgeflogen: „Für euch gibt es hier nichts.“ Das macht mir große Sorgen. Ich möchte nicht, dass Leute attackiert werden, weil sie eine Jacke von Straßen.NRW tragen. Die Belastung ist groß, das wirkt sich auch auf den Krankenstand der Niederlassung Südwestfalen aus. Ich würde mich sehr freuen, wenn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch öffentlich Wertschätzung und Rückendeckung erfahren würden. Vertrauen Sie uns: Hier sitzen Menschen, die die Straßen in Ordnung bringen wollen und wissen, was sie tun.

Jetzt können Sie nur das Nötigste reparieren. Wie wollen Sie das alles aufholen, wenn die A-45-Brücke hoffentlich in zwei Jahren wieder für den Verkehr freigegeben wird?

Der Bedarf ist in der Tat immens. Deshalb wurde ja im November die Sanierungsoffensive „Straßeninfrastruktur NRW“ vorgelegt. Für Südwestfalen erarbeiten wir gerade ein gesondertes Konzept und stimmen es mit dem NRW-Verkehrsministerium ab.

Was steht drin?

Wir priorisieren die Projekte, die wir angehen wollen, und formulieren, was wir dafür benötigen.

Also unter anderem Personal und Finanzen?

Genau. Im Haushalt 2024 ist erstmals die Rekordsumme von 220 Millionen Euro für Erhaltungsmaßnahmen ausgewiesen. Aber Geld ist nicht alles. Wir können ja nicht überall gleichzeitig bauen.

Aber mehr Personal wäre schon hilfreich, oder?

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mehr als 300 neue Stellen besetzen können, das ist eine Menge. Aber selbstverständlich trifft uns auch der Facharbeitermangel, zumal der Tarifvertrag der Länder nicht sehr hilfreich ist. Bei der Autobahn GmbH bekommt ein Ingenieur schnell mal ein paar hundert Euro im Monat mehr als bei uns. Von der freien Wirtschaft gar nicht zu sprechen.

Können Sie sich auf die Rückendeckung der Landesregierung verlassen?

Auf jeden Fall.

Und auf die der Opposition?

Da erleben wir, dass wir häufig öffentlich angegriffen werden, auch wenn wir sachlich informieren. In Einzelgesprächen erleben wir dann aber ein positives Feedback.

Wie machen Sie mehr Tempo?

Wir werden mehr Brücken in Modulbauweise errichten. Zudem werden wir mehr Projekte funktional ausschreiben. Das heißt: Planung und Bau sind in der Hand des Auftragnehmers.

Über das Portal TIC-Kommunal werden sämtliche Informationen über Baustellen und alle Beteiligten gesammelt. Warum machen nicht alle Kommunen mit?

Das müssen Sie die Kommunen fragen. Für unser Baustellenmanagement ist es natürlich hinderlich, wenn nicht alle dabei sind. Aber wir können niemanden zwingen. Für die Kommunen ist die Nutzung kostenlos und hat den wichtigen Nebeneffekt, dass die Baustellendaten über eine Schnittstelle allen Service Providern wie Rundfunkstationen oder Navi-Dienstleistern zur Verfügung stehen.

Wie schwierig ist die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn.

Schwierig würde ich das nicht nennen, aber herausfordernd. Bestimmte Maßnahmen müssen Sie fünf Jahre vorher anmelden, etwa wenn Bahnstrecken gesperrt werden müssen.

Nach dem Infrastrukturgipfel teilte der Märkische Kreis mit, dass Straßen.NRW einen Koordinator für die Region benennen werde. Wer wird’s?

Ansprechpartner ist unser Niederlassungsleiter Südwestfalen. Sie können ihn auch gern Koordinator nennen.

Also gibt es keine neue Position?

Nein, es gibt bei Straßen.NRW eine klare Organisation, klare Hierarchien und klare Abstimmungsabläufe. Dort eine neue Funktion einbauen zu wollen, wäre kontraproduktiv.