Hagen. Die Straßen in Südwestfalen werden wohl schneller kaputt gefahren als sie repariert werden können. Eine wütende Bürgerin wird aktiv.
Jetzt hat Jennifer Seitz die Nase voll. Straßen mit unzähligen, tiefen Schlaglöchern, kilometerlange Umleitungen, Stress pur: „Hier mit dem Auto fahren zu müssen, das ist eine Katastrophe“, sagt die junge Mutter. Die 37-Jährige ist eine ganz normale Bürgerin, und „hier“ ist in diesem Fall der Märkische Kreis. Seitz wohnt in Neuenrade und muss öfter nach Balve und Hemer. Fahrten, die einer Tortur gleichen. „Ich frage mich, warum das hier eigentlich seit Jahren immer schlimmer wird“, sagt sie.
Das lässt sich schnell beantworten: Meist wurde in der Vergangenheit nur geflickt statt saniert. Und dann kam die Sperrung der A 45. Seit nun mehr als zwei Jahren suchen sich jeden Tag zigtausende Fahrzeuge einen Umweg, darunter auch 40 Tonnen schwere Lkw. Das richtet die Umleitungsstraßen in der gesamten Region zugrunde.
Schon fast 1400 Unterschriften
Jennifer Seitz hat deshalb eine Online-Petition gestartet. Fast 1400 Menschen haben nach wenigen Tagen schon unterschrieben. Sie fordert vom Landesbetrieb Straßen-NRW unter anderem „sofortige Reparaturen an den Straßen und Brücken im Märkischen Kreis, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten und die Entwicklung langfristiger Lösungen zur nachhaltigen Instandhaltung der Infrastruktur, um zukünftige Probleme zu vermeiden“.
Das wird eine Mammutaufgabe: 225 Kilometer Bundesstraßen und 245 Kilometer Landesstraßen ächzen allein im Märkischen Kreis unter dem Umleitungsverkehr der gesperrten Autobahn. Insgesamt 296 Brücken befinden sich dort auf den Ausweichrouten der Sauerlandlinie. Das geht aus einer Auswertung von Straßen-NRW hervor.
Die Reparaturarbeiten laufen im Schneckentempo. Auf den Bundesstraßen im Märkischen Kreis hat Straßen-NRW erhaltungsbedürftige Streckenabschnitte von 81 Kilometern ausgewiesen, auf den Landesstraßen 75. In diesem Jahr können allerdings nur 8,4 beziehungsweise 20,3 Kilometer saniert werden. Viel schneller geht es nicht, denn für umfangreiche Arbeiten müssten Bundes- und Landesstraßen gesperrt werden. Dann aber würde der Verkehr in der Region zusammenbrechen.
Das ist das Thema Zeit. Und das Thema Geld? Darüber möchte noch niemand genau reden. „Art als auch Umfang der Maßnahmen und somit auch der Kostenrahmen können erst mit Kenntnis der zur Verfügung stehenden Ressourcen haushalterisch konkretisiert werden“, teilt Straßen-NRW mit. Unter dem Strich dürfte allein im Umfeld der Sauerlandlinie ein dreistelliger Millionenbetrag erforderlich sein.
Sanierungsoffensive gestartet
NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hat im vergangenen November die Sanierungsoffensive „Straßeninfrastruktur NRW“ gestartet. Sie sieht unter anderem vor, 400 Brücken in der Zuständigkeit des Landes innerhalb des nächsten Jahrzehnts zu erneuern. Allein in diesem Jahr steht NRW-weit der Ersatzneubau von 35 Brücken an. Am 15. März möchte Krischer beim landesweiten „Dialog Verkehrsinfrastruktur“ möglichst viele Beteiligte an einen Tisch bringen, um die anstehenden Maßnahmen zu koordinieren.
Die Brücken im bergigen Sauerland sind besonders herausfordernd. Allein im Märkischen Kreis sind sechs Bauwerke dringend sanierungsbedürftig: 1. B 229, Lüdenscheid/Brügge, Brücke über der Bahn; 2. B 236, Werdohl/Ütterlingsen, Behelfsbrücke über der Lenne in Betrieb; 3. B 237, Kierspe, Brücke über der Volme (Ausschreibung in Bearbeitung); 4. B 236, Altena, Brücke über der Bahn (in Entwurfsplanung); 5. B 236, Nachrodt-Wiblingwerde, Lennebrücke (gerade gesperrt; in Planfeststellung); 6. B 229, Balve, Brücke über der Hönne (Ersatzneubau im Bau).
Hinzu kommen zahlreiche Brücken etwa im Kreis Olpe und in Hagen, wo beispielsweise auf der B 54 seit Monaten Tempo 10 gilt.
Brücken, bei denen die Deutsche Bahn mit ihm Spiel ist, haben es besonders in sich. Die DB möchte nach Angaben von Straßen-NRW in der Regel drei bis fünf Jahre vor Baubeginn wissen, ob der Abschnitt gesperrt werden muss.
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Neben Krischers Terminen und dem Infrastrukturgipfel des Märkischen Kreises gibt es auch noch das Spitzentreffen A 45, das aber nach der Sprengung der Ramedetalbrücke wohl in eine Pause gegangen ist. „Die Spitzentreffen finden insbesondere zu Beginn oder dem Abschluss wichtiger Projektphasen statt. Ein weiteres Spitzentreffen wird anberaumt werden, sobald ein weiterer wichtiger Meilenstein ansteht“, teilte uns das Bundesverkehrsministerium mit.
Warum nun ganze drei Gremien erforderlich sind, um die Probleme zu lösen, erschließt sich vielen nicht. „Wir müssen aufpassen, dass die eine Ebene ihre Verantwortung nicht auf die nächste abschiebt“, sagt Ralf Geruschkat, Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer.
Großer Koordinierungsaufwand
Der Koordinierungsaufwand vor Ort ist immens. Neben der Bahn sitzen auch Anwohner, Energieversorger, Telekom-Anbieter, Wirtschaft, Baufirmen und andere Stakeholder mit im Boot. Um die Zusammenarbeit zu verbessern, wurde schon vor Jahren die Baustellenkoordinationsplattform TIC Kommunal ins Leben gerufen, allerdings sind dort nicht alle Kommunen aus Südwestfalen vertreten. Warum, das weiß Straßen-NRW auch nicht. „Eine verpflichtende Nutzung von TIC-Kommunal kann von Seiten des Landesbetriebs nicht vorgeschrieben werden, da es sich hier um eine freiwillige Nutzung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung handelt. Demzufolge kann der Landesbetrieb nur appellieren und für die flächendeckende Nutzung werben“, teilt die Behörde mit.
Das will auch Jennifer Seitz: appellieren. Dass es so nicht weitergehen kann. Sie hat auch Mails an den Petitionsausschuss des Bundestags geschrieben. Und an Straßen-NRW. Dort, sagt sie, lautete die automatische Antwort, dass die Bearbeitungszeit von Anfragen bis zu vier Wochen dauern könne.