Menden. In Krisenzeiten hat eine selbst ernannte Kräuterhexe wie Sabine Weber mehr Zulauf. Warum dies so ist und was die Expertin sagt.

„Ich bin eine Kräuterhexe“, sagt Sabine Weber. Die 58-Jährige aus Menden ist nicht in Schwarz gehüllt, wie es das Klischee vielleicht von einer Hexe erwarten würde. Sie trägt ein Kleid im Hahnentritt-Muster mit gelbem Akzent. So offen sie von sich selbst auch als Hexe spricht, so sehr sagt sie doch, dass sie aufpassen müsse, was sie sage, um nicht verurteilt zu werden. Als Kräuterhexe suche sie die Magie in den Dingen, die Verbindung mit der Natur und das Wissen rund um die heilenden Kräfte von Pflanzen.

Frauen wie Sabine Weber stoßen auf Interesse, das legen Zahlen nahe: Jeder vierte Deutsche ist laut der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus) aus dem Jahr 2021 aufgeschlossen gegenüber Wunder- und Geistheilern. Fast jeder Achte glaubt an Hexen. Rund 40 Prozent der Bevölkerung halten der Untersuchung zufolge etwas von Astrologie. Gar von einem Esoterikboom ist die Rede, in dem Experten aber auch Gefahren sehen.

Ur-Großmutter als Vorbild

Sabine Webers Spezialgebiet klingt zunächst einmal unverfänglich: Es ist das Kräuterwissen. Schon ihre Ur-Großmutter habe die Heilkraft von Pflanzen angewendet, erzählt sie. „Sie war Hebamme, eine Heilerin. Und die Triebfeder für mich, mich mit der Magie in den Dingen, vor allem in der Natur, zu beschäftigen.“ Fünf Jahre alt sei sie gewesen, als sie von der Ur-Oma in die Kräuterkunde eingeführt worden sei. In fünfter Generation. „So, wie man es lernen sollte. Riechen, anfassen, schmecken. Sie hat mich als Nachfolgerin auserkoren“, so die Mendenerin. Früh habe sie so gelernt, wie man Spitzwegerich und Huflattich gegen Erkältung als Schleimlöser einsetze oder dass Gänseblümchen ein hervorragendes Mittel gegen Bauchschmerzen seien.

Es kommen verstärkt viele Menschen mit Gesundheitsproblemen zu mir. Psychisch angeschlagen, schlaf- und kraftlos. Viele mit Existenzängsten.
Sabine Weber - „Kräuterhexe“

Sabine Weber Interesse geht aber über die Kräuter hinaus. Sie lädt ihre Batterien gern im Wald und an sogenannten Kraftplätzen auf. Dazu gehörten die Bruchhauser Steine bei Brilon oder die Externsteine bei Detmold. An diesen Orten spüre sie die Energie früher schon heiliger Orte, sagt sie. An den Bruchhauser Steinen trifft sich die 58-Jährige mit gleichgesinnten Freundinnen. „Alte Rituale im kleinen Kreis.“ Die Vorfreude auf Samhain, das Ahnenfest in der Nacht auf den 1. November, sei ungebrochen groß. Und auch hier sagt sie: Sie lebe den Glauben, den ihre Ur-Großmutter ihr weitergegeben habe.

Sabine Weber aus Menden nennt sich selbst eine Kräuterhexe.
Sabine Weber aus Menden nennt sich selbst eine Kräuterhexe. © Zentrale | Pistilli, Rudi

Als Buchhalterin tätig

Dabei weist ihr beruflicher Werdegang zunächst wenig Mystisches auf: Die aus Hagen stammende Sabine Weber hat Wirtschaftswissenschaften studiert, als Selbstständige führt sie für mehrere Firmen die Buchhaltung. „Das ist meine Haupteinnahmequelle“, betont sie. Doch seit 24 Jahren, seit sie in Menden lebt, betreibt sie auch einen Handel im Internet. Anfangs aus der Not geboren, weil es keinen Betreuungsplatz für ihre beiden Kinder gegeben habe und sie damals ihren Halbtagsjob als Bürokraft aufgab.

Mit Kräutern hat sie begonnen und inzwischen auch eine Heilkräuter-Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer abgelegt. Heute gehören aber auch Tees, Pendel, Heilsteine, Weihrauch aus Syrien, Salbei aus Nordafrika und Lavendel aus der Provence zu ihrem Angebot. Oder aber keltischer Silberschmuck, reinigende Harze und Duftmischungen, die magische Zwecke dienen sollen. Viele ihrer Stammkunden, erzählt sie, kämen aus dem Sauerland.

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Esoterik ist ein Wirtschaftsfaktor geworden: In Deutschland wird der Umsatz mit Esoterik laut einer Erhebung der Institute YouGov/Statista auf eine Summe zwischen 15 und 20 Milliarden Euro geschätzt. Und noch ein Indiz: Im Jahr 2022 erschienen 818 neue spirituelle Ratgeber aus diesem Bereich, fast 200 mehr als 2020.

Tatsächlich habe sich mit den aufeinanderfolgenden Krisen und Kriege die Kundenfrequenz bei ihr erhöht, sagt denn auch Sabine Weber aus Menden. „Es kommen verstärkt viele Menschen mit Gesundheitsproblemen zu mir. Psychisch angeschlagen, schlaf- und kraftlos. Viele mit Existenzängsten.“ Sie könne ihnen ihre Sorgen nicht nehmen, „aber ich kann sie wieder zur Ruhe kommen lassen“. Mit Passionsblumenkraut, das stimmungsaufhellend wirke oder mit Edelsteinen wie Rosenquarz.

Gründe für den Esoterik-Boom

Sarah Pohl leitet die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen in Freiburg.
Sarah Pohl leitet die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen in Freiburg. © Zentrale | Pistilli

Ist das seriös? Sarah Pohl von der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen (ZEBRA), die mit dem Kultusministerium Baden-Württemberg zusammenarbeitet, überrascht der Zulauf zu esoterischen Angeboten oder auch zu selbst ernannten Hexen nicht. „Die Faszination von Hexen bewegt nicht mehr nur Frauen in der Lebensmitte, sie ist durch TikTok bei der jüngeren Generation angekommen.“ Sie selbst will den Glauben an Hexen und ihren Kult nicht komplett verteufeln: „Es ist eine Form von selbstbestimmter Ritualausübung, die durchaus hilfreich sein kann.“ Kritisch werde es, wenn es nicht mehr selbstbestimmt sei, mit Ängsten und Drohungen gearbeitet werde.

Die Faszination von Hexen bewegt nicht mehr nur Frauen in der Lebensmitte, sie ist durch TikTok bei der jüngeren Generation angekommen.
Sarah Pohl - Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen (ZEBRA)

Gründe für den Esoterik-Boom liegen nach Ansicht von Sarah Pohl in Individualisierungstendenzen. Der zunehmende Individualismus und eine Selbstbezogenheit, bei der es darum gehe, das eigene Leben zu verbessern, fördere den Trend. Sie spricht gar von einer „spirituellen Revolution“, die sich auch in Deutschland ausbreite. Und auch von den Folgen: „Die Anfragen von Menschen, die sich Sorgen um Angehörige machen, nehmen bei uns zu“, berichtet Sarah Pohl. Auch die Kontakte zu Beratungsstellen, wie der Sekten-Info NRW oder kirchlichen Trägern, deuteten darauf hin. Corona, Ukraine- und Nahost-Krieg spielten für den Boom ebenso eine Rolle wie die bröckelnde Bindung zu den Kirchen. Sie spricht von spirituellen Wanderern, die sich einer Patchwork-Mentalität bedienten. „Jeder sucht sich das, was er braucht.“

Dass bei Sabine Weber in Menden eine schwarze Katze durch die Küche läuft („Das ist nur Fred“), hat indes nur wenig damit zu tun, dass sie sie sich als (Kräuter-)Hexe bezeichnet. Und auch, dass sich die Wetter-App mit lauter Blitz- und Donner-Tonspur meldet.