Herdecke/Hagen. Tina W. soll einst einen Adeligen erpresst und einen Polizisten mit einer Axt bedroht haben. Nun ist sie erneut in Untersuchungshaft.

Es war nicht der erste Polizeieinsatz in dem Haus in der gut-bürgerlichen Wohngegend in Herdecke. Doch diesmal war extra ein Spezialeinsatzkommando (SEK) angereist. Die Verhaftung von Tina W. (44) am 8. Dezember ist der vorläufige Höhepunkt einer wenig rechtskonformen „Karriere“ als mutmaßliche „Reichsbürgerin“. Nicht irgendeine, sondern die selbsternannte „Außenministerin der Regierung Deutsches Reich“.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge Gruppierungen und Einzelpersonen, die „die Existenz der Bundesrepublik und deren Rechtssystem ablehnen“. So ignorierte Tina W. den Untersuchungshaftbefehl, der erst mit Hilfe des SEK vollstreckt werden konnte.

Vorwurf: 22 politische Straftaten

Die Anklage werfe ihr 22 politische Straftaten vor, sagt der Hagener Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli, vorwiegend handele es sich „um die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung“. Die Frau habe zum Beispiel im russischen Internet-Netzwerk „VK.com“ Hakenkreuze benutzt.

Den Haftbefehl begründet er mit Flucht- und Verdunklungsgefahr. Tina W. gelte als wohnsitzlos: „Sie war nicht beim Einwohnermeldeamt registriert, weil sie auch eine solche Einrichtung nicht akzeptiert.“ Zudem habe man nicht ausschließen können, dass sie Druck auf Zeugen ausübe.

Schwerbewaffnete Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK): Weil man im Haus der 44-Jährigen Waffen vermutete, ging die Hagener Polizei bei der Verhaftung auf Nummer sicher.
Schwerbewaffnete Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK): Weil man im Haus der 44-Jährigen Waffen vermutete, ging die Hagener Polizei bei der Verhaftung auf Nummer sicher. © Hagen | Alex Talash

Dass bei der Festnahme schweres Geschütz aufgefahren wurde, so Pauli, habe damit zu tun, dass die 44-Jährige bereits mit dem illegalen Besitz von Waffen aufgefallen sei. Eine gewisse Aggressivität habe sich in ihrem Verhalten gegenüber Mitmenschen gezeigt: So soll Tina W. Nachbarn in Herdecke massiv rassistisch beleidigt und bedroht haben. Was sie selbst dazu sagt, ist ungewiss. In der Untersuchungshaft war sie für die Redaktion nicht zu erreichen, ein Anwalt ist bislang auch der Staatsanwaltschaft nicht bekannt.

Auf den ersten Blick passt das nicht zu dem harmlos wirkenden Profilbild auf ihrem seit 2019 nicht mehr genutzten Facebook-Account, das sich auch in dem Profil bei VK.com findet: Tina W. steht im Bikini im hohen Gras. Doch am Fuße des Bildes ist nichts mehr mit Romantik: Zu sehen ist die Reichsflagge sowie die Aufschrift „Nationalist“.

Keine Unbekannte bei Experten

Unter Szene-Kennern ist Tina W. keine Unbekannte. „Sie ist seit mehr als einem Jahrzehnt innerhalb des ,Reichsbürger‘-Milieus aktiv“, sagt Jan Rathje, Politikwissenschaftler bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie). Aber: „Auch wenn sie in führenden Positionen in Erscheinung getreten ist, darf man dies nicht überschätzen: In dem Milieu tummeln sich sehr viele unterschiedliche Gruppierungen.“ In ihren Äußerungen werde die für die Szene „typische Verzahnung von Reichsideologien und Antisemitismus deutlich“. So habe sie 2012 in einem Brief an den Zentralrat der Juden in Deutschland den Holocaust geleugnet.

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Zu der Zeit war Tina W. schon in der Boulevardpresse bekannt: ab 2004 als „Burgfräulein“ von Alexander zu Schaumburg-Lippe. Die angebliche Liaison mit dem Bückeburger Schlossherrn gipfelte 2015 in einem Prozess vor dem Landgericht Paderborn, der für Tina W. mit einer einjährigen Bewährungsstrafe wegen versuchter Erpressung endete.

NS-Devotionalien im Wohnhaus

Die damals 36-Jährige war Monate zuvor vom Staatsschutz in einem alten Forsthaus im Kreis Höxter aufgespürt worden. Die Ermittler fanden laut Polizei in dem Gebäude NS-Devotionalien, ein Hitler-Porträt und illegale Schusswaffen.

Jan Rathje, Politikwissenschaftler bei CeMAS in Berlin
Jan Rathje, Politikwissenschaftler bei CeMAS in Berlin © CeMas | CeMas

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Tina W. zusammen mit einem mitangeklagten Ex-Anwalt aus Herdecke den Adeligen mit Handy-Nachrichten „brisanten Inhalts“ erpresst hatte. Der Anklage zufolge sollte das Mobiltelefon meistbietend versteigern werden, wenn „Schaumi“, so sein Spitzname auf dem Boulevard, nicht 235.000 Euro zahle. Im Zeugenstand fand der Fürst Presseberichten zufolge wenig Schmeichelhaftes über das „Burgfräulein“: Sie sei eine „begabte Hochstaplerin“ und „die größte Lügnerin, der ich je begegnet bin.“

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Was hatte Tina W. als „Spruch des Tages“ auf ihrer einstigen Facebook-Seite hinterlegt? „Du kannst lügen, aber du kannst die Wahrheit nicht ändern.“

Die Wahrheit: Das Polizeipräsidium Bielefeld sprach nach dem Zugriff in dem alten Forsthaus 2014 - von „mehr als 60 Straftaten seit 2008 (unter anderem Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen (...) Diebstahl, Betrug, Verstoß gegen das Waffengesetz, gefährliche Körperverletzung, Bedrohung“. Weil sie sich behördlicher Ermittlungen entzogen habe, hätten „14 Aufenthaltsermittlungen verschiedener Justizbehörden gegen sie bestanden“.

Das Bild der ,harmlosen Spinner‘ ist leider häufig noch Teil der öffentlichen Wahrnehmung von ,Reichsbürgern‘.
Jan Rathje - Politikwissenschaftler

Aufsehen erregte eine filmreife Verfolgungsjagd mit der Polizei in Bückeburg (Niedersachsen) und Umgebung 2010. Einen Führerschein besaß sie nicht mehr, nur einen selbstgefertigten Ausweis mit dem Wappen des Deutschen Reiches. Statt eines amtlichen Autokennzeichens nutzte sie ein Fantasie-Nummernschild.

Die „Schaumburger Zeitung“ überschrieb 2010 einen Artikel über Tina W. mit: „Ein Leben zwischen Irrsinn und Rechtsbruch“. Damals schon habe an ihrem Haus in Bückeburg die Reichsflagge geweht. Wie sie zur „Reichsbürgerin“ wurde, ist jetzt Teil der Ermittlungen der Hagener Polizei. Politikwissenschaftler Jan Rathje zufolge ist das Milieu „sehr heterogen“. Das gelte auch bei der Frage, wie man hineingerät: „Ein Bruch im Leben allein reicht nicht aus. Bei den meisten waren schon bestimmte Einstellungsmuster vorhanden, die durch eine Krise dann zum Vorschein kamen.“

Auch in Herdecke - dort wohnte Tina W. mit ihrem mutmaßlich auch der „Reichsbürger“-Szene anhörenden Lebensgefährten -, kam sie mit dem Gesetz in Konflikt. 2022 soll sie bei einem Polizeieinsatz die Beamten mit einer Axt bedroht haben. Zuvor soll sie 27 Mal bei der Leitstelle angerufen und unter anderem berichtet haben, dass der US-Auslandsgeheimdienst CIA hinter ihr her sei.

Hohes Gefahrenpotenzial

Beim folgenden Prozess vor dem Hagener Schöffengericht kam heraus, dass Tina W. zum Tatzeitpunkt Cannabis und Alkohol intus hatte - und zwölf Einträge im Bundeszentralregister. Das Gericht verurteilte sie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer 14-monatigen Freiheitsstrafe.

Aus Sicht von Jan Rathje ist die Verhaftung von Tina W. am 8. Dezember ein Beispiel dafür, „dass die Sicherheitsbehörden den Repressionsdruck“ erhöht haben. Rathje warnt: „Das Bild der ,harmlosen Spinner‘ ist leider häufig noch Teil der öffentlichen Wahrnehmung von ,Reichsbürgern‘.“ Problematisch sei zudem, dass die meisten Sicherheitsbehörden das Milieu „nicht als Teil des Rechtsextremismus begreifen, obwohl ihre Ideologie extrem rechts ist“.

Das aus Rathjes Sicht hohe Gefahrenpotenzial ergebe sich daraus, dass in der Verschwörungsideologie von „Reichsbürgern“ Gewalt verankert sei: „Man sieht die Welt als ein Schlachtfeld, auf dem das Böse von dem Guten vernichtet werden muss. Also zieht man im Zweifel auch Gewalt gegen Bedienstete jenes Staates in Betracht, den man ablehnt - oder auch gegen Menschen, die nicht zu einem, aus ,Reichsbürger‘-Sicht souveränen Deutschland gehören sollen.“

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