Herdecke/Hagen. Eine Angeklagte hat wenig Interesse am Gericht. Einer Strafe entgeht die „Reichsbürgerin“ aus Herdecke deshalb aber nicht
Was war da los, am 21. Februar, spätabends in Herdecke? Unglaubliche 27-mal wurde an jenem Montag von dort aus die Notrufnummer der Polizei angewählt. Als schließlich ein Streifenwagen an der Adresse vorfuhr, erwartete die Beamten dort eine hysterisch herumschreiende Frau (43), die, bewaffnet mit einer Axt, bereit schien, einen Angriff zu starten.
Dieser Prozess vor dem Schöffengericht Hagen ist kein gewöhnliches Strafverfahren. Die Angeklagte hat sich eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, hat ihren Rücken dem Zuschauerraum zugekehrt und liest demonstrativ in einem Buch. Geradeso, als ginge sie das alles nichts an, aber offensichtlich auch, um ihre Missachtung gegenüber dem Gericht deutlich zu machen. Justizwachtmeister gehen, noch bevor die Kammer den Saal betritt, durch die Zuschauerreihen und sammeln dort sämtliche Handys ein: Richter Michael Brass hat sitzungspolizeilich angeordnet, dass alle Tonaufzeichnungsgeräte abzugeben sind. Verhandelt wird gegen die 43-Jährige, die schon seit Jahren als ein hartnäckiges Mitglied der sogenannten Reichsbürger-Szene gilt. Die Vorwürfe lauten auf „Missbrauch von Notrufen in 25 Fällen“ sowie „bewaffneter Angriff auf Polizeibeamte“. Sie erklärt trotzig: „Ich mache keine Angaben.“
Verfolgt von der CIA
Am Tatabend ging um 21.26 Uhr der erste Anruf unter 1-1-0 ein: Sie würde vom CIA verfolgt, hatte die Anruferin in den Hörer gebrüllt und dann aufgelegt, um erneut den Notruf anzuwählen und die Leitstelle der Polizei zu blockieren. Immer, und immer wieder. Um 22.54 Uhr ging dort der 25 Anruf ein. Als ein Streifenwagen vor Ort erschien und die Polizisten ausstiegen, öffnete ihr Lebensgefährte die Haustür. „Er erschien ruhig und kooperativ“, berichtet der Polizeibeamte (25), der dort im Einsatz war. Doch im Hintergrund stand die angeklagte Frau „und schrie lautstark, wir sollten weggehen“. Sie griff plötzlich hinter den Türrahmen und holte eine Axt hervor.
„Mit dem Beil, gehalten in Brusthöhe, ging sie direkt auf uns zu“, schildert der junge Polizist im Zeugenstand: „Die Klinge zeigte, ein Meter Abstand, auf uns. Es war eine echte Gefahrenlage. Wir mussten deshalb unsere Schusswaffen ziehen und ihr den Gebrauch androhen.“ Als milderes Mittel kam schließlich Pfefferspray zum Einsatz, sie ließ das Beil fallen. Es war nicht einfach, die renitente Frau zum Streifenwagen zu bekommen: „Sie sperrte sich und musste an den vier Gliedmaßen gepackt die Treppe hochgetragen werden.“ Ein Rettungswagen wurde gerufen, der sie ins Krankenhaus bringen sollte. Eine angeordnete Blutentnahme ergab Cannabis-Konsum und 1,39 Promille Alkohol, sie hätte eine Flasche Weißwein getrunken.
Wegen Volksverhetzung im Bundeszentralregister
Richter Brass: „Ist diese Frau unsere Angeklagte?“ Sie hält das Buch, in dem sie noch immer liest, jetzt so hoch, dass es ihr Gesicht verdeckt. Der Polizeibeamte kann sie trotzdem eindeutig identifizieren: „Ja, das ist sie.“ Dann fügt er hinzu: „Sie ist polizeilich bekannt. Wir haben auf der Wache Lichtbildmaterial eingesehen.“ Und da liegt tatsächlich einiges vor: Das Bundeszentralregister weist zwölf Eintragungen auf. Betrug, mehrmals Erpressung, Verwendung von Nazi-Symbolen. Mehrere Verstöße gegen das Waffengesetz, Volksverhetzung. Gerichte quer durch die Republik haben die Frau bereits verurteilt. Wegen anderer Delikte sitzt die Frau seit dem 9. März in Haft. Dort hatte Thorsten Merz, ihr Hagener Pflichtverteidiger, sie noch einen Tag vor der Verhandlung im Frauengefängnis von Gelsenkirchen besucht. Da sie sich hartnäckig weigerte, eine Corona-Maske aufzusetzen, durften die Justizbeamten sie nicht in den Besprechungsraum bringen. Der Anwalt, der nicht der Reichsbürger-Szene angehört, musste - ohne mit ihr gesprochen zu haben - wieder gehen. Auch eine Stunde vor Prozessbeginn gelang es dem Pflichtverteidiger nicht, mit der Angeklagten in Kontakt zu treten.
Ein Versuch, mit ihr in der Vorführzelle noch ein Verteidiger-Gespräch zu führen, scheiterte an ihrer Hartnäckigkeit. Sie wollte nicht gestört werden und stattdessen in Ruhe ihr Buch weiterlesen. In diesem Buch las sie nicht nur während der gesamten Verhandlung, sondern auch, als das Gericht zur Urteilsverkündung zurück in den Saal trat: Wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall muss die Reichsbürgerin für 14 Monate ins Gefängnis. Dabei wurde ihr eine verminderte Schuldfähigkeit zuerkannt. Durch ihr Verhalten, sowohl in der Untersuchungshaft als auch während der Verhandlung, hätte sie deutlich zu erkennen gegeben, dass sie sich nicht an Regeln hält und sich auch in Zukunft nicht rechtstreu verhalten werde.