Freudenberg. Zwei Mädchen töten brutal eine Zwölfjährige in Freudenberg. Es bleibt die bohrende Frage nach dem Motiv. Was wir dazu wissen und was nicht.

Es gibt Geständnisse. Es gibt die traurige Gewissheit, dass zwei Mädchen (12 und 13 Jahre) aus Freudenberg ein 12-jähriges Mädchen getötet haben. Aber es bleibt die bohrende Frage nach dem Motiv: Warum machten sich die beiden Mädchen schuldig? Wie konnte es zu einer so brutalen Tat kommen?

Am Tag, nachdem Polizei und Staatsanwaltschaft öffentlich gemacht haben, dass die beiden als Tatverdächtige gelten und dass sie aufgrund ihres Alters nicht strafrechtlich belangt werden können, wird viel spekuliert. In Medien und im Internet in sozialen Netzwerken. Diese Redaktion hat intensiv recherchiert, Erkenntnisse und Einschätzungen zusammengetragen, um das Puzzle in diesem so unglaublich erscheinenden Fall zusammenzusetzen.

Es fehlen Teile, viele konnten aber gesammelt werden, so dass das Bild klarer wird, dass eine vorläufige Einschätzung der Tat und auch der Tatverdächtigen möglich wird. Viele Details werden hier nicht veröffentlicht – weil die Tatverdächtigen noch Kinder sind und ihre schutzwürdigen Interessen trotz der Brutalität schwer wiegen. Was wir wissen und was wir nicht wissen:

Was hat die Tat ausgelöst?

Die Ermittler schweigen hierzu, es gibt nur allgemeine Andeutungen. Der Leiter der Koblenzer Staatsanwaltschaft, Mario Mannweiler, ließ am Dienstag durchblicken, dass der Anlass nichtig gewesen sein muss: „Was für Kinder ein Motiv ist für eine Tat, würde sich einem Erwachsenen möglicherweise nicht erschließen. Die Sache ist höchst komplex.“ Die Ermittler sagten zudem, dass das Opfer und die beiden Tatverdächtigen sich kannten und alle aus Freudenberg kamen. Nach Erkenntnissen dieser Redaktion gab es keinen länger andauernden Streit. Wie die drei Mädchen in dieser Konstellation am vergangenen Samstag, dem Tag, an dem die Zwölfjährige schließlich getötet wurde, an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt zusammengekommen sind, ist nicht bekannt. Vieles deutet darauf hin, dass bei dem Zusammentreffen ein Streit eskalierte.

Haben beide tatverdächtige Mädchen zugestochen?

Die Ermittler haben hierzu während der Pressekonferenz auch auf Nachfrage keine konkreten Angaben gemacht. Beide haben ihre Tatbeteiligung laut Staatsanwaltschaft eingeräumt. Nach Recherchen dieser Zeitung war die Tatbeteiligung der Mädchen unterschiedlich intensiv. Eine soll eine aktivere Rolle gehabt haben. Die Tatwaffe ist bislang nicht gefunden worden, obwohl am Dienstag noch einmal mit einem größeren Aufgebot der Polizei und Metalldetektoren danach gesucht worden war. „Es ist nach derzeitiger Lage mangels Erfolgssausichten keine weitere Suche in dem Gebiet geplant“, erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Siegen. Polizeibekannt waren die beiden Mädchen vor der Tat nicht. Auch sonst ist nach den bisherigen Erkenntnissen kein Hang zu Aggression oder Gewalt aktenkundig.

Wo sind die beiden tatverdächtigen Mädchen nun untergebracht?

Strafrechtlich haben die 12 und 13 Jahre alten Kinder nichts zu befürchten. Nach dem Gesetz gelten sie als strafunmündig. Allerdings werden sie jetzt durch das Jugendamt des Kreises Siegen-Wittgenstein betreut. Dies hat bekannt gegeben, dass die Mädchen außerhalb ihres häuslichen Freudenberger Umfelds untergebracht sind und auch nicht ihre bisherigen Schulen besuchen. Mit ihren Familien hätten sie weiter Kontakt. Die Familien bräuchten „intensive Unterstützungsleistungen“. Es handele sich um einen komplexen, zeitlich nicht eingrenzbaren Prozess.

Was ist mit der Familie der Getöteten?

Hierzu ist nichts bekannt – und zum Schutz der Familie der getöteten Zwölfjährigen ist auch höchste Zurückhaltung geboten. Der Kreis Siegen-Wittgenstein hat lediglich mitgeteilt: „Sobald die Familie dies wünscht, steht das Kreisjugendamt der Familie jederzeit zur Unterstützung zur Verfügung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes haben der Familie ein entsprechendes Angebot über den Opferschutz der Polizei übermittelt.“

Welche gesellschaftlichen und politischen Schlussfolgerungen lassen sich ziehen?

Nach dem Fall aus Freudenberg haben sich mehrere Politiker zu Wort gemeldet. Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der am Dienstag sagte: „Nach allem, was wir wissen, ist diese Tat ein zutiefst verstörender Höhepunkt der Gewalt von Minderjährigen.“ Die Ursachen dieser Entwicklung müssten untersucht und Präventionsarbeit geleistet werden. Und Andreas Müller (SPD), Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein, lässt sich zitieren: „Dass bei uns in NRW offenbar nun auch zunehmend Kinder und Jugendliche zu Tätern werden, lässt mich zutiefst erschaudern. Dem entgegenzuwirken ist eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir alle gemeinsam anpacken müssen.“

Doch in der Gesamtschau muss man sagen: Aus diesem Fall lassen sich nach den bisherigen Erkenntnissen nur schwer allgemeine Schlussfolgerungen ziehen: So gibt es zum Beispiel bislang keine Hinweise, dass ein schärferes Waffengesetz die tödlichen Messerstiche hätte verhindern können oder dass es sich bei den Täterinnen um Kinder handelt, die zuvor einschlägig auffällig geworden waren und nicht ausreichend begleitet wurden. Dass soziale Medien hier der ausschlaggebende Punkt sein könnten, ist ebenso bislang nicht erkennbar. Auch aus Ermittlerkreisen gibt es die Einschätzung, dass die Dimension und Umstände dieses Falls einzigartig seien.

Wie sind die Reaktionen im Netz nach der Tat?

Wie die Polizei Siegen-Wittgenstein erklärt, beobachte man auch aufgrund von Anrufen und Hinweisen von Bürgern die Aktivitäten von Nutzern in den Sozialen Medien, in denen auch die beiden mutmaßlichen Täterinnen Profile unterhalten haben sollen. Seit Bekanntwerden der Tat kommt es im Internet zu Beschimpfungen und Beleidigungen, zum Teil sollen auch persönliche Informationen des Opfers und der Beschuldigten geteilt worden sein. „Wir haben das auf dem Schirm“, erklärte ein Polizei-Sprecher zu den Vorgängen, man überprüfe, ob „strafrechtlich relevante Inhalte“ vorlägen.