Koblenz. Im Fall der getöteten 12-Jährigen aus Freudenberg geben die Behörden neue Details bekannt. Darum macht die Tat auch erfahrene Ermittler sprachlos

Kinder bringen ein Kind um. Dieses erschreckende Ermittlungsergebnis macht selbst erfahrenen Ermittlern zu schaffen. „Nach über 40 Jahren gibt es immer noch Ereignisse, die einen sprachlos zurücklassen. Das ist sicherlich ein solches Ereignis“, sagt etwa Jürgen Süs, der Koblenzer Polizei-Vizepräsident.

Polizeipräsidium Koblenz, erster Stock, Raum 193. Ein Funktionssaal in einem Funktionsbau. Sachlich-nüchternes Behördenambiente. Am Dienstagmittag sitzt hier – vor etlichen Medienvertretern – ein emotional spürbar mitgenommenes Quintett von Polizei und Staatsanwaltschaft und versucht im karg eingerichteten Besprechungsraum 40 Minuten lang zu erklären, welches Drama sich am Wochenende im Grenzgebiet zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zugetragen haben muss, warum nach aktuellem Ermittlungsstand in der Nähe von Freudenberg-Hohenhain zwei Mädchen eine gleichaltrige Bekannte töteten.

Jürgen Süs und die anderen Behördenvertreter bestätigen am Dienstag offiziell, was sich bereits seit dem Vorabend angedeutet hatte: Das zwölf Jahre alte Mädchen aus Freudenberg, das seit Samstag zunächst vermisst, am Sonntag dann tot im Wald in der Nähe des 450-Seelen-Dorfs Hohenhain aufgefunden worden war, soll von einer zwölf- und einer 13-Jährigen umgebracht worden sein.

Ermittler: Mädchen wurde im Wald erstochen – von zwei Bekannten

Die mutmaßlichen Täterinnen kämen „aus dem Bekanntenkreis des Opfers“. Der Tod der Zwölfjährigen sei, das habe die in Mainz durchgeführte Obduktion ergeben, durch „zahlreiche Messerstiche“ und den dadurch ausgelösten Blutverlust eingetreten, erklärt Mario Mannweiler. Der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Koblenz spricht von einem „erschütternden Ereignis – in Ablauf und Ergebnis“ und betont: „Der Fall ist besonders. Die Tat ist sehr außergewöhnlich, auch für uns. Das ist kein Alltag.“

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Je erschreckender allerdings die Informationen zu dem tödlichen Ereignis, desto größer die Frage nach dem Warum, nach dem Motiv. Bei diesen und vielen anderen Details halten sich Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch bedeckt. Wieso die Leiche des Opfers, das zu Fuß die etwa drei Kilometer von Hohenhain nach Freudenberg habe zurücklegen wollen, in einem Gebiet gefunden wurde, das in entgegengesetzter Richtung zum Wohnort liegt? Wie genau die Tat ablief? Ob einer der Beschuldigten oder beiden die Tat zuzuordnen ist? In welchem Verhältnis genau die drei Mädchen zueinander standen?

Diese und weitere Fragen bleiben unbeantwortet. Immer wieder wird auf den Schutz der minderjährigen Beteiligten verwiesen, der über dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit stehe, sogar in einem solch schrecklichen Fall.

Lego-Vergleich bei Erklärung des Motivs

Oberstaatsanwalt Mannweiler geht auf die Frage nach dem Motiv immerhin so weit zu erklären, dass man das kindliche Alter der Tatverdächtigen berücksichtigen müsse. „Was für Kinder möglicherweise ein Motiv ist, würde sich einem Erwachsen unter Umständen nicht erschließen“, sagt er. Später greift der Leitende Oberstaatsanwalt noch auf den Vergleich zu einem Streit unter Kindern um Lego-Bausteine zurück, um das möglicherweise Unerklärliche ansatzweise zu erklären.

Ihm wie den anderen Ermittlern ist anzusehen und anzuhören, wie außergewöhnlich der ganze Fall ist. Immer wieder kommen Nachfragen zu den Details, immer wieder parieren die Ermittler. Weitere Angaben gebe es nicht, es gelte auch die – minderjährigen – Beschuldigten zu schützen.

Keine strafrechtlichen Konsequenzen für Beschuldigte

Die tatverdächtigen Mädchen sind laut Behörden-Angaben ins Visier der Ermittler geraten, weil ihre Aussagen aus einer ersten Anhörung im Widerspruch zu den Aussagen anderer Zeugen standen. Bei einer nochmaligen Anhörung im Beisein von Erziehungsberechtigten und Psychologen seien sie am Montag mit den Widersprüchen konfrontiert worden und hätten die Tat schließlich gestanden. Beide Mädchen seien der Polizei zuvor nicht aufgefallen.

Trotz der schrecklichen Vorwürfe müssen sich die beiden Mädchen nicht auf Konsequenzen einstellen – zumindest auf keine strafrechtlichen. „Aufgrund des kindlichen Alters der mutmaßlichen Täterinnen gehen wir von Strafunmündigkeit aus“, sagte Mannweiler. Die Grenze für eine Strafmündigkeit liegt bei 14 Jahren. Die beiden Mädchen liegen knapp darunter.

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Sie sollen aus Freudenberg (18.400 Einwohner) stammen, wo jeder jeden kennt. Derzeit befänden sie sich in der Obhut des Jugendamtes. Über den Aufenthaltsort machte Mannweiler keine Angaben, nur so viel: „Sie können davon ausgehen, dass sie sich in geschütztem Raum befinden.“

Suche nach der Tatwaffe geht weiter

Für die Strafermittler ist der komplizierte Fall nun weitgehend abgeschlossen. Da die mutmaßlichen Täterinnen aus NRW kommen, werde die Zuständigkeit demnächst wieder von Koblenz nach Siegen wechseln. Was unter anderem noch zu tun bleibt, ist das Auffinden der Tatwaffe (oder der Tatwaffen). Die Suche werde in dem hügeligen und zerklüfteten Gebiet an der alten Bahnstrecke zwischen Freudenberg und Rothemühle, von Anwohnern „Kleintirol“ genannt, fortgesetzt.

Ansonsten gilt: Es wird nach Lage der Dinge keine Anklage, keinen Prozess, kein Urteil geben. Dennoch sagt Mannweiler: „Die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an.“ Nämlich für das Jugendamt, Psychologen, Psychiater, Erzieher, vor allem aber für die Familien der Beschuldigten und die beiden Mädchen, die trotz des ihnen zur Last gelegten Gewaltverbrechens noch den Großteil ihres Lebens vor sich haben.